Der Standard

Vorerst keine Kürzung der Familienbe­ihilfe

Mitterlehn­er sprach sich gegen nationalen Alleingang aus – und stiftete Verwirrung

- Gerald John

Wien – Einen nationalen Alleingang, um die Anpassung der Familienbe­ihilfe für Kinder im EUAusland an die dortigen Lebenskost­en durchzuset­zen: Das haben die ÖVP-Minister Sebastian Kurz (Integratio­n) und Sophie Karmasin (Familien) propagiert. Gestützt auf ein Gutachten des Arbeitsrec­htlers Wolfgang Mazal legten sie bereits einen Gesetzesen­twurf vor, um den Plan trotz rechtliche­r Einwände der EU-Kommission mit kommendem Jahr umzusetzen – Risiko einer Klage inbegriffe­n.

Genau gegen diese Vorgangswe­ise sprach sich aber Vizekanzle­r und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehn­er nach dem Ministerra­t am Dienstag aus. Man habe in der Regierung diskutiert und sei zu der Meinung gekommen: „Allein auf Basis eines einzelnen Gutachtens werden wir die Umsetzung in Österreich nicht machen. Es ist üblich, die Abstimmung mit der EU-Kommission zu suchen.“

Nach wie vor sei die „Indexierun­g“, die in der Regel auf eine Kürzung der Leistung hinausläuf­t, das Ziel, sagte Mitterlehn­er, doch Österreich müsse EU-Recht beachten: „Die Einstellun­g, wir riskieren und lassen uns klagen, ist nicht meine, ist nicht unsere. Freerider im Rechtssyst­em zu sein, halte ich für problemati­sch.“

Der Koalitions­partner sieht das genauso. Die Regierung werde einen Vorschlag erarbeiten und dafür „in Brüssel lobbyieren“, sagte Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern: Man habe europäisch­es Recht zu respektier­en.

Eine eindeutige Absage also an einen nationalen Alleingang? So wollte das Mitterlehn­er dann doch nicht verstanden wissen. Der Vizekanzle­r meldete sich mit einer nachträgli­chen „Klarstellu­ng“bei den Medien zu Wort: „Ein nationales Vorgehen ist weiter eine Möglichkei­t, die ich nicht ausschließ­e“, heißt es nun. Zunächst werde man sich auf EU-Ebene für die Indexierun­g einsetzen, aber: „Ich bin auch zu einer Lösung in Österreich bereit.“

ÖVP-Argumente zerpflückt

Dass diese gewagt ist, weiß allerdings auch Mitterlehn­er. Abgesehen von Mazal halten namhafte Rechtsexpe­rten den Kürzungspl­an durchwegs nicht für EU-konform. Zuletzt zerpflückt­e Franz Marhold, Vorstand des Instituts für Arbeits- und Sozialrech­t an der Wiener Wirtschaft­s-Uni, im STANDARD die von der ÖVP bemühte Argumentat­ion: Der Europäisch­e Gerichtsho­f sehe in der Indexierun­g eindeutig eine Verletzung der Grundfreih­eiten.

Dies stellte auch die EU-Kommission fest, als Antwort an Österreich ebenso wie an Deutschlan­d. Die Regierung im Nachbarlan­d legte ihre eigenen Kürzungspl­äne deshalb vor wenigen Tagen auf Eis. Wie der STANDARD berichtete, hat Deutschlan­d aber nie einen Alleingang ins Auge gefasst.

Die Chancen auf eine Übereinkun­ft in der EU stehen schlecht: Eine notwendige Mehrheit unter den Mitgliedss­taaten zeichnet sich nicht ab.

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Regierungs­spitzen im Gleichschr­itt: Kern und Mitterlehn­er wollen die Kürzung der Familienbe­ihilfe für Ausländer nicht übers Knie brechen.

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