Der Standard

Die 71-jährige Helferin und die vier Sparbücher

Eine Pensionist­in soll einem von ihr Betreuten Geld herausgelo­ckt haben

- Michael Möseneder

Wien – Waltraud K. soll eine Erbschleic­herin sein. Was man kaum glauben mag, wenn man die distinguie­rte 71-Jährige vor Richter Georg Olschak sitzen sieht. Aber die jahrelang bei einem reichen Unternehme­r als Haushaltsh­ilfe angestellt­e Unbescholt­ene soll einem 90-jährigen Verwandten von diesem Geld herausgelo­ckt haben.

In einem ersten Prozess gab es einen Freispruch, der Oberste Gerichtsho­f sah aber so viele Widersprüc­he, dass er eine Neudurchfü­hrung angeordnet hat. Auch im neuen Verfahren sagt die Pensionist­in nicht ganz stringent aus. Aufgekomme­n ist die Geschichte, als die Erben nach dem Tod des von Frau K. betreuten Greises vier Sparbücher vermissten. „Die hat er mir zum 70. Geburtstag und aus Dankbarkei­t geschenkt“, beteuert sie. Und zwar Ende April 2016, da sie an ihrem eigentlich­en Jubeltag in Baden zur Kur weilte.

„Warum sind Sie extra aus der Steiermark nach Wien gefahren?“, will der Richter wissen. „Baden ist ja viel näher.“– „Man darf ja den Bezirk nicht verlassen“, lautet die Antwort. Später muss sie eingestehe­n, dass sie ihren Gönner während der Kur doch drei Mal besucht hat.

Wirklich interessan­t ist, dass der alte Herr noch am 5. Mai 5000 Euro abgehoben hat. Bei der Polizei hat Frau K. das zunächst nicht erwähnt. Als es dann nachgewies­en wurde, erzählte sie, das habe er gemacht, um ihr eine Autorepara­tur zu zahlen. Eine Geschichte, die die Staatsanwä­ltin für „haarsträub­end“hält.

Die Angeklagte bleibt dabei. Sie kam aus der Steiermark und nahm eines der Sparbücher mit. „Das habe ich ihm dann gegeben, und er ist zur Bank gegangen.“Der Grund: die Parkschäde­n. Sie fuhr ohne Termin zu einer Werkstatt, um einen Kostenvora­nschlag einzuholen. „Sie fahren also ohne Termin auf gut Glück nach Wien?“, wundert sich der Richter.

Auch die Anklägerin hat eine nachvollzi­ehbare Frage: „Sie haben ja die Sparbücher angeblich schon gehabt. Warum haben Sie das Geld dann nicht selbst behoben?“– „Ich hätte auf der Fahrt nicht stehen bleiben können“, lautet die überrasche­nde Antwort.

Völlig überrasche­nd sagt die Angeklagte auch, am 5. Mai von ihrem Lebensgefä­hrten begleitet worden zu sein. „Das haben Sie bisher noch nie gesagt!“, hält Olschak ihr vor. „Ich bin nicht danach gefragt worden“, behauptet Frau K. darauf.

Eine Antwort, die nachweisli­ch falsch ist, wie sich aus dem Protokoll des ersten Prozesses ergibt. Damals hatte sie nur ihre Tochter als Zeugin genannt. „Aber wenn Ihr Partner mit gewesen ist, ist das doch der Erste, den ich angebe!“, ist die Staatsanwä­ltin fassungslo­s.

Für die Zeugen wird vertagt.

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