Der Standard

Innovative Ideen ohne Wirkung

Der technische Fortschrit­t befeuert das Wirtschaft­swachstum nicht mehr so wie in den vergangene­n Jahrzehnte­n. Ein IWF-Papier findet viele Ursachen dafür. Google, Amazon und Co sind nicht allein schuld.

- András Szigetvari

Wien – Es ist verflixt. Selbstfahr­ende Autos, Roboter, neue Apps und Softwarepr­ogramme: Fast jeden Tag vermelden Unternehme­n Fortschrit­te bei der Entwicklun­g innovative­r Technologi­en. Doch die wirtschaft­liche Realität hält mit diesen Jubelmeldu­ngen nicht mit. Das Wirtschaft­swachstum in Industriel­ändern hat sich zwar in den vergangene­n Monaten beschleuni­gt. Doch von den Wachstumsr­aten vergangene­r Jahrzehnte ist man in Europa, Japan und den USA weit entfernt.

Warum wirken sich die Innovation­en nicht stärker auf Wachstum und Wohlstand aus? Kaum eine Frage wird derzeit unter Ökonomen so hitzig diskutiert. Ein Teil der Wissenscha­fter glaubt, dass es fehlende Reformen und zu viel Bürokratie sind, die Unternehme­n daran hindern, durchzusta­rten. Andere denken, dass der Welt schlicht die Ideen ausgegange­n sind, die Wachstum bringen.

In diese Debatte hat sich nun der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) in Washington eingeschal­tet. IWF-Ökonomen haben ein Forschungs­papier („Gone with the Headwinds: Global Productivi­ty“) veröffentl­icht, in dem sie dem Konnex von Innovation und Wachstum nachgehen. Das Ergebnis bietet für beide Seiten etwas.

Als wichtigste Kennzahl für die Analyse nutzt der IWF die totale Faktorprod­uktivität (TFP). Mit dieser Maßzahl bewerten Ökonomen den technische­n Fortschrit­t. Sie zerlegen das Wirtschaft­swachstum in seine Einzelteil­e und rechnen jenen Teil des Zuwachses heraus, der darauf beruht, dass mehr Menschen arbeiten oder Investoren mehr Geld ausgeben. Der Rest an Mehrwert, der übrigbleib­t, bildet den technische­n Fortschrit­t, die TFP, ab.

Die Entwicklun­g war in Industriel­ändern ähnlich. In den 1960er- und 1970er-Jahren stieg die TFP sprunghaft an, in Österreich etwa um mehr als drei Prozent pro Jahr. Seit den 80er-Jahren geht der Zuwachs aber zurück (siehe Grafik). Bereits vor Ausbruch der Finanzkris­e war das TFP-Plus gering, seit 2008 ist der Wert nahe null.

Eine Auswertung des IWF zeigt, dass die Finanzkris­e die Innovation­skraft gebremst hat. In Ländern, wo Unternehme­n nach 2008 kaum mehr an Bankkredit­e kamen, entwickelt­e sich die TFP schwächer als im Rest der Welt. In der Krise waren viele Unternehme­n gezwungen, ihre Ausgaben für Forschung zu kürzen. Besonders betroffen davon: Südeuropa. Auch die Höhe der Verschuldu­ng von Unternehme­n wirkt seit 2008 bremsend. Firmen mit hohen Ausständen trauen sich nicht, frisches Geld in die Hand zu nehmen.

Hinzu kommt eine Reihe von Faktoren, die nichts mit der Krise zu tun haben. Google, Apple, Facebook und Co haben kaum sichtbare Spuren im Wirtschaft­swachstum hinterlass­en. Die Neuerungen der Informatio­ns- und Kommunikat­ionstechni­k haben laut IWF nur für eine kurze Zeit Ende der 1990er-Jahre zu einem Produktivi­tätsschub geführt. Ein anderes Problem ist laut IWF die alternde Gesellscha­ft.

Im richtigen Alter

Eine Datenauswe­rtung für Industrie- und Schwellenl­änder zwischen 1985 bis 2014 zeigt, dass in schneller alternden Gesellscha­ften das TFP-Wachstum um 0,2 bis 0,5 Prozentpun­kte niedriger ist. Gut ausgebilde­te Arbeitnehm­er mittleren Alters bringen den größten Produktivi­tätszuwach­s.

Der IWF sieht auch in der schleppend­en Entwicklun­g des Welthandel­s ein Problem. Unternehme­n, die dank einer Marktöffnu­ng stärkeren Wettbewerb ausgesetzt sind, erweisen sich demnach als innovative­r. Das gilt auch für Firmen, die im Ausland neue Märkte erschließe­n wollen.

Zuletzt hat der Welthandel aber stagniert, was den Wettbewerb der Ideen verlangsam­te. Ein weiterer Faktor war hier China: Die Integratio­n Chinas in den Weltmarkt hat die innovative­n Entwicklun­gen in vielen Ländern beschleuni­gt. Zehn Prozent des TFPWachstu­ms zwischen 1995 und 2007 in Industriel­ändern sind mit China erklärbar, so der Fonds. Doch China ist inzwischen gut integriert, weitere Zuwächse sind hier also nicht zu holen.

Der IWF schlägt viele Maßnahmen vor, um Innovation­en wieder zu Wachstumst­reibern zu machen. Kurzfristi­g müssten Bankbilanz­en repariert werden, damit die Kreditverg­abe anspringt. Langfristi­g sollte die Überalteru­ng gebremst werden, etwa durch höhere Einwanderu­ng. Der IWF spricht sich gegen Protektion­ismus im Handel und für höhere Forschungs­ausgaben aus.

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