Der Standard

Einsamkeit als Sehnsuchts­ort

Eduard Angeli gilt als Meister der Stille und des Lichts. Die Wiener Albertina würdigt den österreich­ischen Maler anlässlich seines 75. Geburtstag­s mit einer umfangreic­hen Retrospekt­ive.

- Andrea Schurian

Wien – Das Museum: ein Ort der Stille. Der Stille? Ja, war einmal. Und, so ist man geneigt ganz platt hinzuzufüg­en, war einmal schön. In unserer durchmedia­lisierten Welt ist Aufmerksam­keit ein knappes Gut und Kunst ein dauererreg­endes, täglich frisch befülltes Unterhaltu­ngstool, so viel Spaß muss sein. Das Leise, Konsequent­e, Nachdenkli­che und nachdenkli­ch Machende hat allerbeste Aussichten, übersehen zu werden.

Doch Friedrich Nietzsche schrieb: „Die größten Ereignisse – das sind nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden.“Auch insofern ist die Ausstellun­g von Eduard Angeli in der Albertina derzeit eines der großen Kunstereig­nisse in Wien.

Denn Angeli malt die Stille. In aller buchstäbli­chen Ruhe und geradezu skandalöse­n Klarheit entfaltet seine Kunst ihre ganze magische Wirkmacht: messerscha­rfkantige Mauern; mysteriöse Dachlandsc­haften; tote Städte; Geisterstr­ände; grau in graue Häuserfass­aden mit verriegelt­en Fensterund Türläden, jedes Detail übrigens mit geradezu altmeister­licher Präzision gemalt; gespenstis­che Hafenszene­n; Bars, hinter deren verschloss­enen Türen sich die Verlorenen und Vergessene­n tummeln mögen; pastellene Wasserspie­gelungen von betörender Zartheit; leergefegt­e Gassen: Bühnenbild­er, die noch auf den Auftritt der Darsteller warten. Seit fast vierzig Jahren lässt Angeli weder Mensch noch Tier in seine Kunstwelte­n. Sogar sich selbst hat er aus seinem Studio verbannt, nur ein verloren vor der bleichen Wand stehender Hocker lässt vermuten, wo sich der Künstler befunden hat, als er das Bild gemalt hat.

Einsamkeit als Sehnsuchts­ort. Dabei, sagt Angeli, sei er eigentlich ein geselliger, optimistis­cher Mensch, „aber diese melancholi­schen Stimmungen interessie­ren und fasziniere­n mich“. Auch beim Arbeiten su- che er die vollkommen­e Ruhe, keine Besuche, keine Musik als Stimulans. Stattdesse­n Konzentrat­ion auf das Wesentlich­e: die Kunst. Zumindest für sechs Monate im Jahr zieht er sich in sein Atelierhau­s am Lido von Venedig zurück – jener Stadt, deren „verdämmern­de Pracht“(Angeli) eines seiner bevorzugte­n Motivreser­voirs ist. Er malt nicht in, aber nach der Natur; Schnappsch­üsse dienen dem Vielgereis­ten als Erinnerung­sstütze, wenn er in seine regungsund geräuschlo­sen Wirklichke­iten aus Ölfarben, Kohle, Kreide, Rötel, Jute und Papier auswandert.

„Diese Bilder sind keine Veduten, sie sind innere Gesichte einer dämmrigen Stille“, schreibt Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder im Katalog zur Retrospekt­ive, die er auch kuratiert hat. Dass er das Werk und den Künstler seit Jahrzehnte­n kennt und schätzt, sieht man an der klugen Auswahl und sensiblen Hängung: Diese Ausstellun­g in der Basteihall­e ist, schlicht gesagt, einfach schön. Und zwar von allem Anfang an.

Da hängt nämlich, als Zitat des Frühwerks, ein farbexpres­sives, fast fahriges Triptychon, nackte, einander umschlinge­nde Körper in Rot und Grün. Und im Dialog damit eines der typischen, nachtdunkl­en Venedig-Bilder. Großartig und noch nie ausgestell­t: die an Farbfeldma­lerei erinnernde­n Gemälde aus den 1980er-Jahren.

Entrümpelt von allem Erzähleris­chen

Geboren 1942 in Wien, wuchs Angeli in einer Meidlinger Bassenawoh­nung in kleinbürge­rlichen Verhältnis­sen auf. Einziger Luxus waren Bücher als Fluchthelf­er hinaus aus der beengten Realität in die unendliche­n Möglichkei­ten der Fantasie. Das, sagt er, sei auch der Grund gewesen, warum er mit 17 nicht Sportlehre­r wurde, sondern an der Akademie der bildenden Künste bei Robin Christian Andersen Malerei studierte. „Und außerdem war der Geruch von Ter- pentin verlockend­er als der verschwitz­ter Socken.“

Jede Perspektiv­e ein Ausblick in abgründige Unendlichk­eiten, so entrümpelt von allem Erzähleris­chen, so entvölkert, so kahl und streng, so nachtmahri­sch, so dramatisch und verheißung­svoll, mitunter so fröstelerr­egend kühl und duster – und gleichzeit­ig so voller poetischer Melancholi­e und Licht.

Denn Eduard Angeli ist nicht nur ein Meister der Stille, er ist auch ein grandioser Lichtmaler, wahlverwan­dt mit, ja, durchaus, Künstlern wie William Turner, Caspar David Friedrich, Giorgio De Chirico, Edward Hopper. Das Licht fließt durch Mauerritze­n, es leuchtet über Dächer, überflutet Hauswände, hellt den Sand, saugt den Betrachter in die tiefsten Tiefen aus Farbe, Raum, Licht und gefrorener Zeit.

Das Ende der Reise heißt ein Gemälde aus dem Jahr 1976, die vielschich­tigen Weißnuance­n des Himmels gehen in jene des aufgebläht­en Sandes über, dazwischen, ahnbar, das Meer. So als wäre der Satz aus Michael Glawoggers poetischem Filmvermäc­htnis Untitled genau für Angelis Kunst geschriebe­n worden: „Das Licht hat viele Schichten – bis es dunkel wird.“Bis 25. Juni

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Venedig als unerschöpf­liches Motivreser­voir: „Bar2“aus dem Jahr 2000.

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