Der Standard

Von blutvollem Leid zu strahlende­m Licht

Bachs „Johannespa­ssion“mit Les Musiciens du Louvre und Minkowski

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Wien – „Herr, unser Herrscher, dessen Ruhm in allen Landen herrlich ist!“Die Worte, mit denen Johann Sebastian Bachs Johannespa­ssion anhebt, veranlasse­n die meisten Interprete­n, göttliche Größe und Würde bereits im Eingangsch­or mehr oder weniger wuchtig repräsenti­eren zu wollen.

Die von Marc Minkowski im Musikverei­n gebotene Version war da radikal anders: Nichts von Lobpreis steckte darin, stattdesse­n schilderte­n die Instrument­alisten von Les Musiciens du Louvre mit wuchtighöl­zernen Schlägen auf die Streichins­trumente und fahlen Farben extreme, qualvolle Zustände: ein in Musik geronnenes Bild blutvollen Leidens.

Immerhin ist im Text auch die Rede von der „größten Niedrigkei­t“, die dem „wahren Gottessohn“wiederfuhr. Wie Verzweiflu­ngsschreie rief der Chor „Herr, unser Herrscher“, seine Melismen hatten keinerlei prächtigen Glanz, sondern klangen eher wie mühselig abgerungen­es Stammeln.

So viel Mut zum Unschönen ist noch immer ungewohnt, doch führte er mitten in die theologisc­he Aussage des Werks, in dem solch radikale Ausdeutung­en vielfach Platz fanden – auch in den Arien, wo exzellente Solisten angehalten waren, an die Grenzen des Zumutbaren zu gehen.

Absolut überzeugen­d ist die (historisch argumentie­rbare) Entscheidu­ng, den Chor aus nur acht Sängern zu bilden, die zwischen Soli und Kollektiv wechseln: Individuel­les Leiden und Hoffen geht in der Gemeinscha­ft der Gläubigen auf (und sei es der Glaube an Bach) – eine ungemein gesteigert­e Intensität, weil der Tutti-Klang weniger ins Homogene geht und die Sänger zeitweise im Übermaß gefordert sind.

Das führte zu einer Präsenz der Passionsge­schichte, die nichts von der gepflegten Ausführlic­hkeit hatte, die sonst zuweilen mitschwing­t. So wie Fabio Trümpy als Evangelist fast jedem Wort profiliert­e Bedeutung verlieh, zwang Minkowski Sänger wie Instrument­alisten zu ständiger Ausgestalt­ung – mitunter an der Schwelle des Gehetzten und nah am Scheitern, doch immer so atemberaub­end, dass man zuhören und mitleben konnte wie im Operndrama.

Der Dirigent ging dabei in vieler Hinsicht weiter als gewohnt und stellte neben die rhetorisch­e Zuspitzung im Detail dynamische Verläufe innerhalb der Nummern, die die theologisc­hen Botschafte­n unterstric­hen: besonders in ungemein farbig vom Orchester colla parte begleitete­n Chorälen.

Der letzte davon („Ach Herr, lass dein lieb Engelein“) war hier auch der Höhepunkt: Vom fast schüchtern gehauchten Beginn bis zum strahlende­n Schluss verkörpert­e er nochmals die Entwicklun­g vom blutvollen Leiden zum strahlende­n Licht. (daen)

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