„Überzeugt, dass wir Netflix nach Österreich holen können“
Privatsender sollen zu Investitionen in die Filmwirtschaft gezwungen werden, fordern die Produzentenvertreter Danny Krausz und Werner Müller. Und: Netflix & Co wollen sie mit Förderungen locken.
STANDARD: Die ATV-Übernahme durch den deutschen Medienkonzern ProSiebenSat1Puls4 ist über die Bühne gegangen. Zufrieden? Krausz: Die österreichische Filmwirtschaft ist nur Zaungast, weil Privatfernsehbetreiber für uns als Auftraggeber nahezu irrelevant sind. Wir bemängeln das seit Jahren. In keinem anderen europäischen Land werden die Privaten staatlich unterstützt – ohne jegliche Gegenverpflichtung, etwa indem sie mit der heimischen Branche arbeiten oder auch entsprechende Solidarbeiträge in Finanzierungstöpfe einbringen.
STANDARD: Warum? Krausz: Das können wir uns nicht leisten, bekommen wir zu hören, oder: Wir haben nicht genügend Werbevolumen. Man müsste den ORF mehr beschneiden. Das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Wir wissen schmerzvoll, dass die über 300 Millionen Euro, die jährlich über die Werbefenster von den Privaten lukriert werden, volkswirtschaftlich für Österreich einen Totalverlust darstellen. Also, im fiktionalen oder im dokumentarischen Bereich gibt es de facto kein Produktionsaufkommen. Was gemacht wird, ist ein bisschen Infotainment.
STANDARD: An welche Größenordnung denken Sie bei einer Solidarabgabe? Krausz: Man könnte sie an den Abgaben in Deutschland bemessen. Umgemünzt auf Österreich wären das in etwa fünf Millionen Euro pro Jahr für die österreichische Film-Fernsehförderung. Müller: Das Privatfernsehen wurde sehr spät – erst 2002 – in Österreich eingeführt, seitdem gibt es scheinbar eine Art gesetzliche Schonfrist. Das spiegelt sich seit mittlerweile 15 Jahren in der gesetzlichen Lage wider. Für den ORF gibt es ein grundsätzlich klares Regime, bei dem acht Millionen in die Kinofilmproduktion gehen, und immerhin eine, wenn auch vage Investitionsverpflichtung des ORF zugunsten der unabhängigen Filmwirtschaft.
STANDARD: Neben der Bringschuld der Privaten, von der Sie sprechen: Woran krankt es noch? Krausz: Bei der Fernsehförderung der RTR etwa sind die nonlinearen Programmanbieter noch gar nicht zugelassen. Da müsste man sehr schnell nachjustieren, um Produktionsinvestition aus diesem Bereich nach Österreich zu holen. Derzeit können wir solche Kooperationen gar nicht eingehen, weil etwa Streamingdienste nicht als Fernsehveranstalter gesehen werden, obwohl die rauf und runter produzieren. Müller: Netflix will laut eigenen Angaben alleine in Europa über eine Milliarde Euro in Produktionen investieren.
STANDARD: Könnte man mit Förderungsanreizen Netflix nach Österreich locken? Krausz: Ich bin überzeugt, dass wir Netflix nach Österreich holen können. Wir produzieren ja nicht so, dass das am Walserberg sein Interesse verliert. Im Gegenteil. Unsere Serien werden in Deutschland stark nachgefragt, weil sie eine sehr spezielle Note haben und wir vielleicht flexibler und mutiger sind. Diese Zugangsbeschränkungen bei den Förderungen gehören ausgeräumt. Warum arbeiten Andreas Prochaska oder Stefan Ruzowitzky in Deutschland? Vielleicht nur weil wir das derzeit nicht von unserem Standort aus bedienen können.
STANDARD: Manche argumentieren, dass man Konzernen wie Netflix, Amazon oder Sky nicht noch Geld in den Rachen werfen sollte. Müller: Über den Fernsehfonds werden bei Koproduktionen ja Inlandsausgaben gefördert. Das bedeutet, dass ich Produktionen mit einem Branchen- und Multiplikatoreffekt nach Österreich hole. Gefördert wird also genauso wenig Netflix, wie jetzt auch nicht ZDF oder ARD gefördert werden, sondern der Filmstandort und Österreichs Produktionswirtschaft. Krausz: Warum soll etwa Peter Morgan nicht für die Netflix-Serie The Crown die Bücher schreiben und Produzent sein? Das ist ein qualitativ hochwertiges Produkt, das Netflix finanziert und in Großbritannien realisiert. Warum soll es das nicht auch hier geben?
STANDARD: Die Habsburger wären prädestiniert. Krausz: Zum Beispiel, oder es poppt da ein Freud-Konzept auf und eines dort. Das geht bis zu den dunklen Zeiten des vergangenen Jahrhunderts, die wir im negativen Sinne mitgeprägt haben. Eine breite, qualitätsvolle und ausführliche Aufarbeitung ist ja jetzt nicht leistbar. Bei The Crown reden wir von einer Serie mit einem Budget von fast 70 Millionen Euro. Müller: Was die Norweger mit Lilyhammer schaffen, müsste analog auch in Österreich möglich sein. Das war eine Koproduktion der staatlichen norwegischen Rundfunkanstalt NRK und Netflix.
STANDARD: Was ist mit dem Kino? Krausz: Es muss auch nicht jeder Film, der für den Ort des Kinos produziert wird, zwangsläufig ins Kino kommen. Das Kino ist übervoll. Die guten Filme werden rausgeschmissen, obwohl sie noch ein Potenzial von 25 Prozent dort hätten, weil schon der nächste Film wartet und die Rotation immer schneller wird. 2016 war das erste Jahr im deutschen Sprachraum, das empfindlich Rückgänge für den physischen DVD-Verkauf gebracht hat.
STANDARD: DVD-Rückgänge sind kein Wunder, wenn Produktionen erst nach Monaten verfügbar sind. Krausz: Es gibt ein uneingeschränktes Bekenntnis, das Kino als Ort der Veranstaltung zu schützen. Gleichzeitige Starts mögen vielleicht für den Konsumenten attraktiv sein, bedeuten aber in der weiteren Vermarktung, dass es noch mehr in Richtung Kurzware geht. Im Kino haben wir jetzt schon eine Verweildauer von nur mehr vier bis maximal sechs Wochen. Indien war im Jahr 1993 mit zwölf Kopien ein Jahr lang im Kino und hatte 220.000 Kinobesucher.
STANDARD: Das Abkommen mit dem ORF über rund 100 Millionen Euro jährlich für die Filmwirtschaft läuft 2018 aus. Der ORF muss sparen, was ist realistisch? Krausz: Gehen wir vom jetzigen Gebührenaufkommen aus, handelt es sich um 118 bis 120 Millionen Euro jährlich – etwas mehr als jetzt. Ohne diese Schwungmasse des ORF wäre der Motor nicht am Laufen zu halten.