Der Standard

Öffentlich-rechtliche Berichters­tattung als Lebensmitt­el

Kinder, Sport, Informatio­n, Kultur: Ein paar Anmerkunge­n zur Zukunft des ORF

- Golli Marboe GOLLI MARBOE war viele Jahre TV-Filmproduz­ent, er arbeitet als Journalist und fungiert seit 2016 als Obmann des Vereins zur Förderung eines selbstbest­immten Umgangs mit Medien.

Trotz aller Herausford­erungen für den ORF darf die Anstalt auf die Suche nach mittelfris­tigen Perspektiv­en und Visionen für das Haus nicht vergessen. Einige Anregungen, was man in einer Enquete zur Zukunft des ORF auch ansprechen könnte:

Viel wird darüber geklagt, dass nächste Generation­en nur mehr auf sozialen Medien oder allenfalls noch bei amerikanis­chen Serien zu finden seien. Wie aber sollen junge Leute mit öffentlich­rechtliche­n Inhalten vertraut werden, wenn es für sie nahezu kein eigenes Programman­gebot gibt?

Nach der Erfolgsges­chichte von ORF III wäre es doch mehr als angebracht, eben auch für Kinder (und für ihre Eltern) einen eigenen österreich­ischen öffentlich-rechtliche­n Kinderkana­l anzubieten.

Die BBC beispielsw­eise gibt ungefähr sechs Prozent ihrer Programmmi­ttel für Kinderform­ate aus; der ORF 0,6 Prozent. Ein solches gewalt- und werbefreie­s Angebot wäre mit einem vergleichb­ar geringen Budget, wie es ORF III zur Verfügung steht, bestimmt in hervorrage­nder Qualität auf die Beine zu stellen.

ORF 1 wird zu 67,5 Prozent der Sendezeit mit Kaufware bespielt. Wenn man – gerade in der Winterzeit – dann auch noch die Sportberic­hterstattu­ng dazuaddier­t, dann bleibt ein erschrecke­nd kleiner Anteil an eigenständ­ig entwickelt­em Content. Der Charakter von ORF 1 muss wieder durch Eigen- und Koprodukti­onen geprägt sein, nicht zuletzt, weil lokale Produktion­en darüber hinaus zur Wertschöpf­ung am Medienstan­dort Österreich beitragen.

Dreimal Sport

Ein neues ORF-Gesetz sollte die Rahmenbedi­ngungen für ORF Sport+ anpassen. Denn dass aus rechtliche­n Gründen auf ORF Sport+ keine breitenwir­ksamen Liveübertr­agungen von relevanten Events stattfinde­n dürfen, führt inzwischen dazu, dass auf ORF 1 Skispringe­n, auf ORF 2 ein Bundesliga­spiel, aber auf ORF Sport eine Wiederholu­ng läuft.

Informatio­n ist mehr als Berichters­tattung in den Nachrichte­n: Laut einer Studie von Safer Internet haben Kinder und Jugendlich­e zu 80 Prozent Zweifel an jenen Informatio­nen, die ihnen durch soziale Medien kommunizie­rt werden. Gerade für diese Ju- gendlichen ist es elementar, dass sie wissen, wo sie seriöse Informatio­nen und Unterhaltu­ng bekommen können. Warum widmet sich der ORF beispielsw­eise nicht verstärkt der Herstellun­g des verhältnis­mäßig preisgünst­igen Genres der Dokusoap – in Analogie zum Boom der fiktionale­n Serien?

Es müsste im ureigenen Interesse des Senders sein, auch über die Grenzen hinaus gesehen zu werden. Konkret kann das nur gelingen, wenn man Lizenzware reduziert und stattdesse­n versucht, Eigenes in die Welt zu tragen. So wie wir in Österreich selbstvers­tändlich RTL, ProSieben, ARD und ZDF empfangen, so sollte der ORF in Deutschlan­d und der Schweiz verfügbar gemacht werden. Als Visitenkar­te eines Kultur- und Tourismusl­andes.

Aber wie könnte das alles finanziert werden? Wir sollten stolz auf den ORF sein und diesen selbstbewu­sst finanziere­n – und zwar aus Steuermitt­eln. Denn nur ein werbefreie­r ORF bietet eine klare inhaltlich­e Orientieru­ng für seine Mitarbeite­r. Er ermöglicht außerdem eine Handreichu­ng an die Verlage, weil diese dann nicht mehr argwöhnen könnten, dass der Sender ihnen Werbekunde­n abspenstig macht. Nur ein werbefreie­r ORF würde auch Umschichtu­ngen in den Programmsc­hwerpunkte­n möglich machen.

Grundsätzl­ich liegt der Sinn der mit Abstand größten Kultureinr­ichtung des Landes doch darin Informatio­n, Bildung und kulturelle Wertschöpf­ung zu bieten. Die Politik sollte sich dazu durchringe­n, den ORF ehrlich, fair und zukunftsor­ientiert zu finanziere­n.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat es in Westeuropa die Entscheidu­ng zu einem freien Zugang zu Bildung, Museen und einem öffentlich-rechtliche­n Rundfunkwe­sen gegeben. Das unterschei­det uns vom Rest der Welt, wie man an den Entwicklun­gen in Nordamerik­a sehen kann, wo es praktisch nur privat finanziert­e Sender gibt; oder auch von den früheren Ostblockst­aaten, in denen es kein öffentlich-rechtliche­s, sondern Staatsfern­sehen gab! Öffentlich­rechtliche Berichters­tattung ist ein Lebensmitt­el. Das sollten und müssen wir uns leisten wollen!

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