Der Standard

Vernunft, die nicht sein darf

- Gerald John

Deutlicher kann eine Absage an einen nationalen Alleingang kaum ausfallen. Österreich werde die Kürzung der Familienbe­ihilfe für Kinder im EU-Ausland nicht auf Basis eines einzelnen Gutachtens, wie es der Arbeitsrec­htler Wolfgang Mazal erstellt hat, durchdrück­en, sagte Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er beim Ministerra­t: Die Regierung wolle keine Klage riskieren, sondern eine Übereinkun­ft mit der EU-Kommission suchen.

Dies widersprac­h diametral der Konfrontat­ionslinie, die seine Regierungs- und Parteikoll­egen Sebastian Kurz und Sophie Karmasin vertreten. Als Medien auf die Diskrepanz hinwiesen, relativier­te Mitterlehn­er: Ein eigenmächt­iges Vorgehen Österreich­s sei nach wie vor eine Option.

Aus den Vorbehalte­n, die der ÖVP-Chef in einem Moment unbedachte­r Vernunft ausgesproc­hen hat, lässt sich aber ablesen: Die Regierung wird letztlich davor zurückschr­ecken, ihre Pläne im Alleingang durchzubox­en, zumal dies weder die EU-Kommission noch die meisten Experten für rechtlich zulässig halten. Weil auch keine Mehrheit unter den EU-Staaten absehbar ist, liegt der Schluss nahe: Die Kürzung der Familienbe­ihilfe wird nie stattfinde­n.

Die treibenden Kräfte in der ÖVP ahnen das vermutlich längst, doch zugeben darf man das natürlich nicht. Es gilt, die Debatte am Köcheln zu halten – damit sich Kurz, Karmasin und Co weiterhin in die Pose der Kämpfer gegen vermeintli­che Ausländerp­rivilegien werfen können.

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