Von roten Linien, Strategien und Wendungen
Nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien ist für die USA doch wieder alles offen: Auch ein Militärschlag gegen das Assad-Regime steht nun im Raum.
Was ein paar Tage doch für einen Unterschied machen! Noch am Wochenende hatte es den Anschein, als hätten sie im Kabinett Donald Trumps endgültig beschlossen, das Kapitel „Regime-Change“in Syrien zu den Akten zu legen. UNBotschafterin Nikki Haley erklärte, der Sturz des Diktators Bashar al-Assad habe für Amerika keine Priorität mehr. Außenminister Rex Tillerson warf einen Satz von geradezu zynischer Kälte in die Debatte. Es sei allein am syrischen Volk, über die Zukunft seines Landes zu entscheiden, sagte er, als hätten die Syrer ein demokratisches Mitspracherecht.
Die Botschaft schien klar: Trump wird keinem Potentaten der arabischen Welt ins Handwerk pfuschen, nicht einmal Assad, den sein Chefstratege Steve Bannon im Übrigen für einen Stabilitätsfaktor hält. Der Isolationist des „America first“wird nicht im Nahen Osten intervenieren, um ein mörderisches Regime aus den Angeln zu heben. Dann wurden im Norden Syriens mutmaßlich Chemiewaffen eingesetzt, und unter dem Eindruck schockierender Fernsehbilder sprach Trump davon, dass Assad jenseits einer roten Linie „viele, viele Linien“überschritten habe. Auf einmal ist alles wieder offen, selbst ein Militärschlag gegen die Regierung in Damaskus denkbar.
Neue Spekulationen
Indem Trump betont, dass er flexibel sei, leicht bereit, frühere Ansichten zu ändern, hat er den Spekulationen zusätzliche Nahrung gegeben. Andererseits weiß man aus Erfahrung, dass seine Aufmerksamkeitsspanne nicht die längste ist, dass er gern von einem Thema zum nächsten springt. Ob seine hochemotionalen Worte nach der Giftgasattacke eine Wende um 180 Grad bedeuten? Ob es nur ein paar aus dem Stegreif formulierte Sätze waren, der auf maximale Medienwirkung bedachte Kommentar eines Experten für Medieneffekte, dem an Taten nichts folgt? Im Moment gibt es keinen in Washington, der darauf eindeutige Antworten geben könnte.
Wofür Trump von seinen Instinkten her steht, hat er über Jahre deutlich gemacht, nicht erst seit seiner Kandidatur fürs Weiße Haus. Als Barack Obama eine Mi- litäraktion erst ankündigte und dann abblies, nachdem Assads Truppen im August 2013 zu Chemiewaffen gegriffen hatten, gab ihm der New Yorker Bauunternehmer vorbehaltlos recht.
„Präsident Obama, greifen Sie Syrien nicht an“, er sehe keine Vorteile, nur Nachteile, schrieb er damals auf Twitter. „Halten Sie Ihr Pulver für einen anderen (und wichtigeren) Tag trocken“, riet er, was nichts daran ändert, dass er seinen Vorgänger im Oval Office mittlerweile wegen des Verzichts auf einen Angriff durch den Kakao zieht. Obama, sagt Trump heute, habe eine Gelegenheit zur Lösung des Syrien-Konflikts verpasst, als er versäumte, seiner roten Linie Geltung zu verschaffen.
Keine militärischen Pläne
Allein schon die irrlichternde Rhetorik macht es so gut wie unmöglich, Trumps wahre Absichten einzuschätzen. Zudem lehnt er es ab, militärische Pläne auch nur zu skizzieren. Den Gegner vorab wissen zu lassen, was man zu tun gedenke, wäre grundfalsch, lautet seine Standardformel.
Im Wahlkampf hatte es noch so geklungen, als wäre Trump zu einer stillschweigenden Allianz mit Damaskus, Moskau und Teheran bereit, um den „Islamischen Staat“, im amerikanischen Diskurs meist Isis genannt, zu besiegen. „Ich mag Assad überhaupt nicht“, sagte einmal während einer Kandidatendebatte. „Aber Assad tötet Isis. Russland tötet Isis, und der Iran tötet Isis.“Für den Fall, dass er nun tatsächlich eine Kehrtwende vollzieht, dürfte er genauso in einer Zwickmühle stecken, wie sich Obama im Spätsommer 2013 in einem Dilemma befand. Es sind dieselben Diskussionspunkte wie damals, mit einem wichtigen Unterschied: Diesmal ist Russland als Schutzmacht des Autokraten militärisch präsent, was die Gefahr einer Eskalation erheblich erhöht.