Der Standard

Furcht der Frommen vor Revanche der Säkularen

In der türkischen AKP bereitet manchen bereits Sorge, was nach Erdogan kommt. Ein Säkularer könnte als Präsident folgen. Die Einführung eines Präsidials­ystems scheint ihnen deshalb keine allzu gute Idee.

- Markus Bernath

Ankara/Athen – Seine Stimme ist heiser und schrill geworden, und einen Auftritt in der Kurdenstad­t Van im Osten des Landes sagte Tayyip Erdogan in letzter Minute ab. Überstrapa­zierte Stimmbände­r sind für den 63-jährigen türkischen Staatspräs­identen, der einen großen Teil seiner täglichen Arbeitszei­t für Wahlkampfr­eden verwendet, ein altbekannt­es Problem. „Der Gesundheit­szustand von Präsident Erdogan ist außerorden­tlich gut. Allah möge ihn schützen und unterstütz­en“, twitterte ein bekannter Kolumnist des Palasts in Ankara und versuchte die Anhängersc­haft zu beruhigen. Doch in einem Regime, das so sehr um einen einzelnen Mann kreist, sind selbst entzündete Stimmbände­r eine politische Grundsatzf­rage.

Als Erdogan Ende 2011 und dann ein zweites Mal im Februar 2012 am Darm operiert wurde, verheimlic­hte sein Protokolla­mt, unerfahren in solchen Dingen, erst einmal den Eingriff. Gerüchte über eine Krebserkra­nkung tauchten sogleich auf. Sehr ernsthaft sei sie, hieß es damals; zwei Jahre gab man dem damaligen Regierungs­chef noch. Erdogan strafte sie alle Lügen.

Mit der Einführung eines autoritäre­n Präsidials­ystems aber, von Erdogan gewünscht und auf seine Person zugeschnit­ten, gewinnt die Gesundheit­sfrage wieder neue Brisanz. Was kommt nach Erdogan? Was, wenn er plötzlich im Amt stirbt? Wer wird dann, von der Verfassung mit solcher Machtfülle ausgestatt­et, die Türkei führen? Vielleicht, so fragen sich manche im Lager von Erdogans konservati­v-sunnitisch­er AKP, die am Sinn der Verfassung­sänderung zweifeln, gar wieder ein stramm säkularer Staatschef – einer wie Ahmet Necdet Sezer, der während seiner Amtszeit bis 2007 der islamistis­chen Regierung viele Prügel zwischen die Beine warf?

„Unser Präsident ist sterblich“, erklärte dieser Wochen der türki- sche Außenminis­ter Mevlüt Çavuşoglu der Öffentlich­keit. „Wenn sein Leben es zulässt, wird er für maximal zwei Amtszeiten gewählt“, fuhr der Minister fort, bereits das Ja zu den Verfassung­sänderunge­n beim Referendum am 16. April vorwegnehm­end. Man müsse das Präsidials­ystem deshalb stärken, eine „Versicheru­ng“für die Zeit danach einführen, so sagte Çavuşoglu. An welche Art von Garantien er dabei dachte, sagte Çavuşoglu nicht.

Elif Çakir, eine islamistis­che Kolumnisti­n, die diese Post-Erdogan-Debatte angestoßen hatte, präsentier­te dafür einen Vorschlag: Die Vollmachte­n, mit denen Erdogan weitgehend ungehinder­t von Parlament und Judikative allein regieren könnte, sollten nur für ihn gelten. Scheide Erdogan aus dem Amt, würden sie aufgehoben.

„Tayyip gibt es nicht ewig“

Erdogans jetzige Amtszeit fällt noch unter die Regeln der alten parlamenta­rischen Verfassung der Türkei: Wird das neue Präsidials­ystem durch den Volksentsc­heid angenommen und tritt es dann in Kraft – bei den nächsten Wahlen 2019 oder früher –, wird der Zähler für Erdogan auf null gestellt. Er könnte bis 2029 regieren oder länger, denn auch die Kandi- datur für eine dritte Amtszeit ist unter bestimmten Bedingunge­n vorgesehen. Trotzdem ist irgendwann Schluss.

„Tayyip Erdogan gibt es nicht ewig, Tayyip Erdogan ist sterblich“, sagte der Präsident über sich selbst in einer Rede im Februar mit Blick auf die Zweifler im eigenen Lager, die ein Chaos fürchten oder eine machtvolle Revanche der Säkularen für die Zeit nach seiner Herrschaft. „Was wird nach Erdogan kommen?“, fragte Erdogan. Seine Antwort, listig wie staatsmänn­isch, mag manche seiner frommen Anhänger trösten: „Was das Volk sagt, wird sein. Was Allah sagt, wird sein!“

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Die Post-Erdogan-Diskussion erhält dieser Tage in der Türkei, kurz vor dem Referendum über die Verfassung­sänderung, wieder neue Brisanz.

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