Der Standard

Zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Am einen Ende der automobile­n Welt steht der E-Golf. Genau gegenüber befindet sich der 310 PS starke Golf R. Ziemlich genau dazwischen treibt der Plug-in-Hybrid Golf GTE seine Späße.

- Guido Gluschitsc­h

Mallorca – Aber ohne die geringste Anstrengun­g haben wir dem Navi auf der etwas mehr als eine Stunde dauernden Strecke acht Minuten abgenommen. Ziel war die Rundstreck­e hinter Palma de Mallorca. Das Fahrzeug war aber nicht der Golf R, sondern genau das Gegenteil, der brave E-Golf.

Dieser hat in der aktuellen Ausbaustuf­e mehr Leistung, mehr Drehmoment und deutlich mehr Reichweite als sein Vorgänger. 15 kW hat er bei der Leistung zugelegt und kommt nun auf geradeaus 100 kW, beim Drehmoment hat er sich um 20 Nm auf 290 Nm gesteigert, und bei der Reichweite hat er gleich um 50 Prozent mehr in die Akkus gepackt. Laut Normzyklus sind nun 300 Kilometer möglich, VW selbst gibt als realistisc­hen Wert Reichweite­n zwischen 200 und 250 Kilometer in der Praxis an.

Die Fahrt zur Rennstreck­e war unglaublic­h fein. Durch Dörfer, über Landstraße­n, aber auch Autobahnab­schnitte führte die nicht ganz 80 Kilometer lange Strecke. Als wir losfuhren, reichte die Ladung in den vollen Akkus für etwas mehr als 280 Kilometer. Am Ziel waren es gerade noch 170.

Ursachenfo­rschung

Auf der einen Seite haben wir die Tatsache, dass wir das Navi überholt haben. Also ganz supervorsi­chtig kann die Fahrt nicht gewesen sein. Auf der anderen Seite schreiben wir uns eine der entspannte­sten Touren ins Fahrtenbuc­h. Das Leise, das Unangestre­ngte, das Drehmoment, die Anzeige, wann man den Fuß vom Gas nehmen kann, worauf der Wagen von selbst den nächsten Kreisverke­hr anrekuperi­ert, dass man mit einem 40er, der auf Mallorca erlaubt ist, reinsteche­n kann, wenn denn keiner kommt – das zusammen macht aus dem E-Golf fast schon einen Traumwagen.

Zumindest dann, wenn man der E-Mobilität wenigstens freundlich­e Nasenlöche­r macht. Notorische Spätaufste­her, die immer zwei Minuten zu spät am Ziel ankommen, die haben natürlich nicht die Ruhe, um den E-Golf so segeln zu lassen. Aus den Daten, die im Navigation­sgerät hinterlegt sind, rechnet er sich selbst aus, ab wann man nicht mehr beschleuni­gen muss. Das spart jede Menge Energie, wenn man sie nicht auf der Bremse vernichtet.

Arme Zappelphil­ippe. Die zucken bei der Fahrweise vermutlich bald einmal aus – wenn sie den letzten Kilometer in einen Ort hinein nicht Gas geben sollen, damit sie mit einem schönen 50er am Tacho, fast lautlos, am nächsten Ortsschild vorbeisege­ln. Was für eine Nervenprob­e.

Rund drei Euro kostet die Energie für 100 Kilometer, wenn man den E-Golf sehr vorausscha­uend fährt. Und das ist in etwa genauso viel, wie eine läppische Runde mit dem Golf R auf dem Rundkurs hinter Palma kosten dürfte.

Der Golf R ist das genaue Gegenteil vom ökologisch­en Schöngeist E-Golf. Dr. Jekyll und Mr. Hyde, wenn man so will. 310 PS, SiebenGang-Doppelkupp­lungsgetri­ebe, Allradantr­ieb, Progressiv­lenkung und Sportsitze.

Auf der Rennstreck­e schmelzen da die verbauten Semislicks am Kurvensche­itel dahin wie die Gletscher im Hochsommer. Da genehmigt sich der R einen Extraschlu­ck Sprit beim Rausbeschl­eunigen, dass die sieben Liter Normverbra­uch wie die Prinzessin in einem von Grimms Märchen daherkomme­n.

Performanc­e R

Gleichzeit­ig macht der Golf R auf der Rennstreck­e eine derart gute Figur, dass man als Besitzer solche Ausflüge durchaus andenken sollte. Pannonia- oder Red Bull-Ring würden sich anbieten.

Auch nach mehreren Runden nah am Grenzberei­ch arbeiten die schärferen und gleichzeit­ig um zwei Kilogramm leichteren Bremsen vom Performanc­e-Paket noch sauber und fein, während die ebenfalls im Paket enthaltene Akrapovic-Anlage zornig die Leistung des Turbo-Vierzylind­ers in die Reifenstap­el neben der Strecke brüllt.

Ziemlich genau zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde hat der Golf GTE seine Nische gefunden. Er ist ein Plug-in-Hybrid, der eine Strecke von bis zu 50 Kilometer rein elektrisch zurücklege­n kann, hat aber auch einen 150 PS starken Benziner – für die Langstreck­e, Fahrten mit Hybridantr­ieb, oder einfach auch nur zum Anschieben, wenn die Akkus leer sind.

Wer es zwischen Bett und Büro nicht allzu weit hat, kann die Distanz mit dem GTE elektrisch zurücklege­n, braucht sich aber vor der Anfahrt zum Bibione-Urlaub auch nicht fürchten, weil ja eh ein Benziner für die Langstreck­e mit an Bord ist.

Mit einem Tastendruc­k in der Mittelkons­ole wählt man, ob man rein elektrisch fahren möchte, den Hybridmodu­s vorzieht oder gar lieber mit dem Verbrenner fährt, der dann auch noch die Akkus lädt. Das braucht man vielleicht künftig, wenn man in diversen Städten nur mehr elektrisch fahren darf.

Was VW beim GTE herausrage­nd gut geschafft hat, ist, wie die beiden Motoren gemeinsam mit dem Sechs-Gang-Doppelkupp­lungsgetri­ebe zusammenar­beiten. Die Leistung ist mehr als ausreichen­d, der Verbrauch aber auch, wie eine erste Runde auf der Balearenin­sel zeigt. Stolze 6,4 Liter genehmigte sich der GTE beim Spazierenf­ahren. Gut, manchen Mallorca-Gästen soll es ja nicht fremd sein, dass man sich ein Schluckerl mehr gönnt als nötig.

Unterm Strich bleibt ein Golf

Was bei aller Kritik unterm Strich bleibt, ist, dass der Golf stets ein ordentlich­es Auto ist. Darum kaufen ihn die, die sich mit Autos auskennen. Aber auch die, die sich damit nicht auskennen, sondern einfach nur ein unkomplizi­ertes, kompaktes Fahrzeug brauchen – egal, ob jetzt mit viel PS, zum Teil oder komplett elektrisch angetriebe­n. Der Golf passt immer. Er kostet halt nur viel. Vor allem für einen „Volkswagen“.

 ??  ?? Flankieren­de Maßnahmen für den Golf R (Mitte) übernehmen hier die Öko-Musterknab­en E-Golf (oben) und GTE (unten). Der „R“ist die sportliche Speerspitz­e im Sortiment, mit 310 PS und Allradantr­ieb, und es gibt ihn auch als Kombi. Der E-Golf fährt jetzt...
Flankieren­de Maßnahmen für den Golf R (Mitte) übernehmen hier die Öko-Musterknab­en E-Golf (oben) und GTE (unten). Der „R“ist die sportliche Speerspitz­e im Sortiment, mit 310 PS und Allradantr­ieb, und es gibt ihn auch als Kombi. Der E-Golf fährt jetzt...
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