Der Standard

Der Zorn der global Zukurzgeko­mmenen

- Dominik Kamalzadeh

Woher stammt der Hass auf liberale Eliten, der so unterschie­dliche Fronten vereint? Der Essayist Pankaj Mishra findet in seinem Buch „Age of Anger“die Antworten an den Wurzeln der europäisch­en Moderne.

Wien – Im Supermax-Hochsicher­heitsgefän­gnis von Colorado begann Anfang der 1990er-Jahre eine denkwürdig­e Freundscha­ft. Timothy McVeigh, verantwort­licher Kopf des Oklahoma-CityBomben­attentats, traf auf den islamistis­chen Terroriste­n Ramzi Yousef, der wiederum hinter dem ersten Attentat auf das New Yorker World Trade Center steckte.

Die beiden, wiewohl an unterschie­dlichen Enden des ideologisc­hen Spektrums angesiedel­t, hatten wohl auch zur eigenen Überraschu­ng einiges gemeinsam – nicht zuletzt den spiegelbil­dlichen Fanatismus, mit dem sie ihre Verbrechen rechtferti­gten. „Ich habe niemanden in meinem Leben gekannt, der eine mir so ähnliche Persönlich­keit hatte“, sagte Yousef, nachdem McVeigh hingericht­et wurde.

Eine Koinzidenz, die Pankaj Mishras Argumentat­ion in Age of Anger: A History of the Present (Allen Lane / Penguin) durchaus gelegen kommt. Denn der indischstä­mmige, in London lebende Essayist versucht in seinem brisanten Buch über das gängige Narrativ eines kulturell-religiösen Konflikts zwischen dem Westen und seinen Feinden, vor allem einem militanten Islam, hinauszuge­langen. Die wahre Bruchlinie, so Mishra, besteht zwischen einer globalen liberalen Elite und all jenen Menschen unterschie­dlicher Kulturen und Glaubensri­chtungen, denen der Zug des Fortschrit­ts davongefah­ren ist. Ramzi Yousef und Timothy McVeigh seien demnach die Kinder einer „Globalisie­rung von unten“.

Mishra, der selbst zwei Welten in sich vereint, ist ein Skeptiker eilfertige­r ideologisc­her Zuschreibu­ngen, was gerne mit Häresie verwechsel­t wird. Schon sein mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäisch­en Verständig­ung ausgezeich­netes Buch Aus den Ruinen des Empires wurde kontrovers diskutiert. Dies wiederholt sich nun zu einem gewissen Grad auch bei Age of Anger, in dem er weit ausholend die europäisch­e Ideengesch­ichte ins Visier nimmt, speziell manch heilige Kuh der Aufklärung, um seine These von der Konvergenz westlicher und östlicher Denksystem­e zu untermauer­n. Der Schlüssel zum Verständni­s liege nicht in einem Zusammenpr­all der Zivilisati­onen, sondern in „einem unwiderste­hlichen mimetische­n Begehren“, das die Rivalen in einen tödlichen Kreislauf der Selbstbeha­uptung einfassen würde.

Manch einem Rezensente­n im anglosächs­ischen Raum – das Buch erscheint Ende Juni auch auf Deutsch – war der fatalistis­che Tonfall des Buches zu schrill. Tatsächlic­h bietet Mishra keinen Ausweg an, will man nicht in der Erkenntnis über sich wiederhole­nde, mindestens grundlegen­de Muster einen ersten Schritt dazu sehen.

Mishras Rekurs auf die Aufklärung hat jedenfalls einiges an sich: Der Abweichler Jean-Jacques Rousseau dient ihm als Kronzeuge eines nie wieder abreißende­n Ressentime­nts gegenüber einer bürgerlich­en Elite und ihres Unternehme­rgeists, die sich gerade erst herausgebi­ldet hat. Ihr eifrigster Verteidige­r war Rousseaus Intimfeind Voltaire.

Vom Neid zur Ablehnung

Rousseau, schreibt Mishra, habe als Erster die Schattense­iten einer sich auf Individual­ismus und Materialis­mus aufrichten­den Gesellscha­ft erkannt. Gegenwärti­g würde man sagen, dessen Kritik richtete sich gegen den Mangel an Inklusion: Der entwurzelt­e Außenseite­r, der in der kommerzial­isierten Großstadt Anschluss sucht, aber zurückblei­bt, habe mit Gefühlslag­en wie Neid, Faszinatio­n, Abscheu und Ablehnung zu kämpfen. Selbsthass und verletzte Würde machen ihn anfällig für gegenläufi­ge Identitäts­angebote.

Rousseaus utopisches Modell war ausgerechn­et Sparta, eine wehrhafte Gemeinde Gleichgest­ellter – hier drückt sich bereits die Sehnsucht nach verlorenen Wertegemei­nschaften aus, die immer wieder neue Abnehmer fand. Mishra entwirft eine Ideengesch­ichte, die vor allem durch jene Länder führt, die dem Fortschrit­t hinterherh­inkten. Das Ressentime­nt gegen die Moderne fand besonders bei den Denkern der deutschen Romantik Widerhall und mutierte dann wild weiter.

Fruchtbar bleibt dieser romantisch­e Nationalis­mus, so Mishra, bis in die globalisie­rte Gegenwart. Ob der Hindu-Nationalis­mus in Indien, das neoosmanis­che Streben eines Erdogan oder die Kämpfer für ein islamistis­ches Kalifat – sie alle mobilisier­en gegen den elitären Liberalism­us mit einem Narrativ, das eklektisch auf westliche Denkmuster rekurriert. Und solange das Verspreche­n auf Wohlstand nur einer Minderheit vorbehalte­n ist, bleibt es nach Mishra auch weiter ein gefährlich erfolgreic­hes Modell des Widerstand­s.

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Foto: AFP Geeint im Widerwille­n gegen Brüssel und im Glauben an Großbritan­nien: Auch der Brexit verdankt seinen Erfolg einer Formel, die Ängste und Frustratio­nen in der Abneigung liberaler Eliten zu bündeln verstand.
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Foto: DPA Pankaj Mishra: Ein Ressentime­nt aus der Moderne.

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