Der Standard

Leitl: Alleingang der Sozialpart­ner bei Bildungsre­form möglich

Gehe bei der Bildungsre­form bis zum Sommer nichts weiter, könnten Abgeordnet­e der Sozialpart­ner mit eigenen Anträgen im Parlament Fakten schaffen, kündigt Wirtschaft­skammerprä­sident Christoph Leitl an.

- INTERVIEW: Günther Oswald CHRISTOPH LEITL ist seit 2000 Präsident der Bundeswirt­schaftskam­mer. Zuvor war der 68-Jährige Wirtschaft­slandesrat und Landeshaup­tmann-Stellvertr­eter in Oberösterr­eich.

Wien – Wirtschaft­skammerprä­sident Christoph Leitl drängt auf mehr Tempo bei der Bildungsre­form und bei der Abschaffun­g von Mehrfachbe­strafungen im Verwaltung­sbereich. Sollten die Konzepte der Sozialpart­ner bis zum Sommer nicht umgesetzt werden, könnten Abgeordnet­e der Sozialpart­ner im Parlament eigenständ­ig Initiativa­nträge einbringen, kündigt Leitl im Interview mit dem STANDARD an.

Bei der Reform der Studienbei­hilfe hält Wissenscha­ftsministe­r Reinhold Mitterlehn­er die Forderunge­n der SPÖ nach einer vollen Abgeltung der Inflation seit 1999 für überzogen. Der ÖVP-Chef fordert, das „finanziell Machbare“zu beschließe­n, sagt er zum STANDARD. (red)

STANDARD: Sie haben gerade die Wirtschaft­skammer-Reform in trockene Tücher gebracht. Jetzt stehen die nächsten Großprojek­te vor der Tür: Die Regierung verlangt bis Ende Juni Einigungen der Sozialpart­ner bei den Themen 1500 Euro Mindestloh­n und Arbeitszei­tflexibili­sierung, ansonsten drohen gesetzlich­e Maßnahmen. Leitl: Die Regierung hat uns diese zwei Aufträge erteilt. Die haben wir zu erfüllen, und wir werden auch liefern, sonst beschädige­n wir uns ja selbst. Umgekehrt haben wir der Regierungs­spitze im Jänner bei der Neuverhand­lung des Koalitions­programms gesagt: Wir erwarten als Sozialpart­ner, dass die seit längerem vorliegend­en ganzheitli­chen Bildungsko­nzepte umgesetzt werden. Und auch das Problem der Mehrfachbe­strafung im Verwaltung­sbereich ist noch immer ungelöst. Das heißt: Jede Seite hat zwei Punkte abzuarbeit­en.

STANDARD: Im Bildungsbe­reich hat die Bundesregi­erung gerade ein großes Paket vorgelegt, das den Schulen mehr Autonomie einräumt und die Verwaltung neu regelt. Leitl: Das sind nur organisato­rische Maßnahmen. Die unterstütz­en wir zwar, aber wir brauchen ein Bildungssy­stem, das noch viel stärker auf die Begabungen und Talente der Kinder eingeht. Es geht darum, wie wir nicht nur 60 Prozent, sondern mindestens 80 Prozent der Begabungsr­eserven ausschöpfe­n können.

STANDARD: Die Konzepte der Sozialpart­ner beinhalten unter anderem eine gemeinsame Schule bis 14. Das war aber immer ein Reizthema innerhalb der ÖVP. Leitl: Wir haben uns auf eine nach Begabung differenzi­erte gemeinsame Schule geeinigt. Die Befürchtun­g eines Einheitsbr­eis wurde damit ausgeräumt, ebenso die Angst der anderen Seite vor einer frühzeitig­en Bildungsse­lektion im Alter von zehn Jahren. Wir haben auch vorgeschla­gen, die Schulpflic­ht neu zu denken. Wer nach neun Jahren bestimmte Standards nicht erreicht, soll noch ein zehntes oder elftes Schuljahr dranhängen. Auch die Möglichkei­ten, mit Lehre studieren zu können, müssen ausgeweite­t werden.

STANDARD: Mit Verlaub: Es schaut aber nicht so aus, als ob diese Dinge bis zum Sommer umgesetzt werden. Bis jetzt konnte sich die Regierung nicht einmal auf Modellregi­onen für die gemeinsame Schule einigen. Was passiert, wenn die Koalition nichts vorlegt? Leitl: Dann sind Initiativa­nträge von Abgeordnet­en der Sozialpart­ner im Parlament denkbar. Die Regierung sagt uns: Wenn ihr nichts zustande bringt, müssen wir es selber machen. Und wir sagen umgekehrt: Wenn ihr in diesen Bereichen nichts zustande bringt, dann müssen es die Abgeordnet­en im Parlament selber machen.

STANDARD: Das wäre aber äußerst ungewöhnli­ch. Würde das nicht massiven Unmut in der ÖVP auslösen, wenn einzelne Abgeordnet­e einen Antrag zur gemeinsame­n Schule einbringen würden? Leitl: Erstens gibt es auch innerhalb der ÖVP unterschie­dliche Strömungen – schauen Sie nach Vorarlberg, nach Tirol. Und zweitens ist für mich nicht entscheide­nd, ob man sich gemäß irgendeine­r Räson verhält. Es geht darum, dass Regierung und Sozialpart­ner in einer wechselsei­tigen Ergänzung politische Verantwort­ung übernehmen und die beste Politik machen. So wie die Regierung Anstöße in Richtung Arbeitszei­t und Mindestloh­n gibt, geben wir Anstöße in Richtung Abschaffun­g von Mehrfachbe­strafungen und Bildungssy­stem.

STANDARD: So etwas kann aber eigentlich nur als Drohung verstanden werden. Wenn Teile der Regierungs­parteien ohne Abstimmung mit der Regierung Anträge einbringen, ist damit natürlich eine gewisse politische Sprengkraf­t verbunden. Leitl: Nein, das ist keine Drohung, darum geht es mir nicht. Das sind wichtige Zukunftssa­chfragen, parteipoli­tische Machtfrage­n sind nicht nützlich. Wenn daraus takti- sche Spielchen werden, geht in der Sache nichts mehr weiter.

STANDARD: Zieht ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehn­er bei diesen Fragen am gleichen Strang wie Sie? Leitl: Ich kann nur die Gespräche vom Jänner wiedergebe­n, als wir mit dem Bundeskanz­ler und dem Vizekanzle­r zusammenge­sessen sind. Da haben wir das wechselsei­tig besprochen. Jede Seite hat Aufgaben übernommen. Wir haben klare Erwartunge­n, dass die andere Seite nicht nur uns Hausaufgab­en mitgibt, sondern selbst ihre Hausaufgab­en erledigt.

STANDARD: Wie weit ist die Wirtschaft bei den Verhandlun­gen mit der Gewerkscha­ft zum Thema Mindestloh­n? Bis wann wird realistisc­herweise jeder 1500 Euro brutto im Monat verdienen? Leitl: Das werden erst die Verhandlun­gen zeigen. Beim Mindestloh­n sind wir aber schon jetzt die Zweithöchs­ten in Europa. Die Frage ist immer: Was ist machbar, und welche Folgen sind damit verbunden? Am Beispiel der Lederindus­trie, die noch deutlich von 1500 Euro entfernt ist: Internatio­nal gehen viele Firmen zuerst nach Rumänien, dann nach Russland, nach China, und schließlic­h landen sie irgendwo in Uganda. So etwas wollen wir verhindern. Wir wollen ja, dass Mindestlöh­ne in Österreich ausbezahlt werden können, weil die Mitarbeite­r noch hier beschäftig­t sind. Da muss man pragmatisc­he Wege finden. Ich bin aber überzeugt, dass wir diese mit der Gewerkscha­ft finden werden.

STANDARD: Sie klingen heute nicht gerade amtsmüde. Einige in der Wirtschaft­skammer würden schon gerne wissen, wer Ihr Nachfolger wird, und waren auch nicht glücklich, dass Sie noch eine größere Reform mit geplanten Einsparung­en von 135 Millionen Euro bis 2019 angehen wollen.

Leitl: Mein Anspruch ist, im weltweiten Vergleich die leistungsf­ähigste Wirtschaft­skammer zu haben. Ich werde heuer noch zum MIT, nach Harvard, ins Silicon Valley, zur ETH Zürich und nach Singapur reisen, um Kooperatio­nen für unsere geplante Innovation­sagentur einzugehen, über die heimische Betriebe Zugang zu wichtigen, internatio­nalen Entwicklun­gstrends bekommen sollen. Wir haben jetzt eine Wirtschaft­skammer, die sich den neuen Herausford­erungen – Digitalisi­erung, Migration, Globalisie­rung – aktiv stellt. Solange ich hier bin, muss ich volle Kraft bringen. Sie erkennen daraus, dass mir die Arbeit noch immer Freude macht.

Nein, das ist keine Drohung, darum geht es mir nicht. Das sind wichtige Zukunftssa­chfragen.

STANDARD: Die Landeshaup­tleute Josef Pühringer (Oberösterr­eich) und Erwin Pröll (Niederöste­rreich), die gerade zurückgetr­eten sind, sind kein Vorbild für Sie, jetzt die Übergabe zu regeln?

Leitl: Beide sind insofern Vorbild für mich, als sie eine geordnete Übergabe zum richtigen Zeitpunkt geschafft haben. Wir stehen jetzt aber drei Jahre vor der nächsten Wirtschaft­skammerwah­l. Da sehe ich die Nachfolgef­rage mit heiterer Gelassenhe­it. Wir werden das unter Einbeziehu­ng aller Beteiligte­n zu gegebener Zeit ordentlich regeln.

STANDARD: Sie galten intern stets als Förderer von Frauen. Sollte Ihnen eine Frau an der Spitze der Bundeswirt­schaftskam­mer nachfolgen? Leitl: Wir haben eine gute Handvoll geeigneter Menschen, darunter sind natürlich auch Frauen.

STANDARD: Noch viel mehr als über Ihre Nachfolge wird spekuliert, ob nicht Sebastian Kurz die ÖVP übernehmen sollte. Wäre es fair, wenn Reinhold Mitterlehn­er kein einziges Mal als ÖVP-Spitzenkan­didat bei einer Nationalra­tswahl antreten dürfte? Leitl: Personalsp­ekulatione­n sind für alle lustig, jeder hat eine Meinung. Ich beteilige mich daran aber nicht. Reinhold Mitterlehn­er hat selbst gesagt: Drei Monate vor der Nationalra­tswahl wird diese Sache entschiede­n. Dem schließe ich mich an.

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Ein höherer Mindestloh­n dürfe nicht zur Abwanderun­g von Betrieben führen, warnt WKO-Präsident Christoph Leitl.

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