Der Standard

Treiben lassen von Poniente e und Levante

An mehr als 300 Tagen im Jahr weht um Tarifa der Wind. Das lockt Surfer und Kiter schon im Frühjahr nach Südspanien. Doch auch Naturliebh­aber kommen um diese Jahreszeit beim Radeln im Korkeichen­wald und beim Wale-Schauen vor der Küste auf ihre Kosten.

- Monika Hippe

Der Wind schlägt das Meer schaumig, wirbelt durch die Haare und schmirgelt die Haut mit feinem Sand. Am Himmel schiebt er bunte Drachensch­irme hin und her. Sucht man mit den Augen die dazugehöri­gen Kiter auf dem Wasser, müssten sich die Drachensch­nüre hoffnungsl­os ineinander verheddern. Doch offenbar flitzen die Kiter mit genügend Abstand auf ihren Brettern über die Wellen. Braucht man viel Kraft dafür? „Nein, Kitesurfen ist sozusagen ein Mädchenspo­rt“, meint Andreas aus Flensburg, der regelmäßig zum Kiten nach Tarifa kommt. „Frauen lernen das in der Regel schneller, weil es weniger auf Kraft ankommt als auf die richtige Technik.“

Der windverwöh­nte Norddeutsc­he nimmt die Anreise mit dem Flugzeug nach Tarifa an der Südspitze Spaniens gerne in Kauf. Kilometerl­ange unverbaute Strände bieten Platz für Hunderte von Surfern, und die Saison beginnt bereits im April. Vor allem aber weht an mehr als 300 Tagen im Jahr der Wind mit durchschni­ttlich 4,5 Beaufort: der Poniente aus dem Westen und der Levante aus dem Osten – Übeltäter für Badegäste, aber echte Wohltäter für die Kiter. So manche Böe stupst sie für einen Luftsprung in den Himmel.

Tarifa, die südlichste Stadt des europäisch­en Festlands, besitzt einen besonders lässigen Charme. In den Straßen reihen sich die Surfschule­n aneinander, braun gebrannte Typen mit Dreitageba­rt latschen in Flip-Flops herum oder frühstücke­n mittags in den hippen Cafés. Die Nächte beginnen spät und sind lang. Selten vor 22 Uhr tummeln sich die Feierlauni­gen abends in der Altstadt vor den Tapas-Bars. Tagsüber kann man von der Burg am Hafen bei guter Sicht die 14 Kilometer entfernte afrikanisc­he Küste sehen.

Sommerhitz­e zerschneid­en

Auch im Hinterland ist der Wind spürbar, auf küstennahe­n Hügeln drehen sich Windräder um die Wette. Wie überdimens­ionale Häcksler werden sie im Sommer die Hitze in angenehmer­e Temperatur­en zerschneid­en. Hier beginnt der Naturpark Alcornocal­es, das Reich der Korkeichen. Mit 1700 Quadratkil­ometern ist dieser Wald einer der größten naturnahen im Mittelmeer­raum.

Am besten durchquert man das geschützte Gebiet im Frühling per Fahrrad. Auf Lehm- und Schotterwe­gen geht es auf und ab. Die Bäume, aus deren Rinde unter anderem Weinkorken hergestell­t werden, wachsen windschief an den Hängen, manche gar waagerecht. Die Wälder profitiere­n von der feuchten Atlantiklu­ft, die der Poniente mit sich bringt. Kaum eine Menschense­ele ist unterwegs, stattdesse­n stapfen Ziegen, Schafe, schwarze Schweine und Stiere „in Pension“über die Felder. Haben Letztere in der Arena von Tarifa, wo Stierkämpf­e noch immer nicht verboten sind, überlebt, grasen sie hier bis zu ihrem natürliche­n Tod.

Ein Naturstein­pfad, der schon zu Römerzeite­n angelegt wurde, führt zwischen Schöpflave­ndel und Sonnenrösc­hen den Hügel hinauf nach Castellar de la Frontera. Oben thront auf einem Felsvorspr­ung eine alte Festung aus maurischer Zeit, die Besucher mit ihren dicken Mauern in die Arme nimmt. Im Innern scheint die Zeit stehengebl­ieben zu sein. In trutzigen Gassen hängen Geranien in Blumentöpf­en vor den weiß ge-

kalkten Häusern, Katzen streichen übers Kopfsteinp­flaster. Das Castillo ist eine der wenigen bewohnten Festungen. Einige Aussteiger haben sie vor Jahren für sich entdeckt. Von oben hat man einen wunderbare­n Blick über die Korkeichen­wälder und auf den Guadarranq­ue, einen von sechs Stauseen im Naturpark. Dort zieht gerade ein Adler seine Kreise. Der Südzipfel Spaniens zählt für Vogelbeoba­chter zu den lohnendste­n Gegenden Europas: Schwarzmil­ane, Wespenbuss­arde, Schlangena­dler und jede Menge Störche gibt es zu entdecken.

Orcas auf Thunfischj­agd

Wenn über dem Meer aufgeregte Sturmtauch­er kreisen, ist meist ein Fischschwa­rm in der Nähe, der auch Delfine anlockt. Weil an der Meerenge nährstoffr­eiches Tiefenwass­er aus dem Mittelmeer aufsteigt, finden Fische und somit auch Wale reichlich Nahrung. Im Frühjahr und Herbst, wenn die Thunfische durch die Meerenge von Gibraltar schwimmen, folgen die Orcas den Fischerboo­ten. Mit einem Labyrinth aus Netzen, der sogenannte­n Almadraba, werden die Thunfische kilometerw­eit vor der Küste eingekesse­lt und in eine Richtung gedrängt.

Außerhalb der Fangzone warten schon japanische Kühlschiff­e auf den besonders beliebten roten Thunfisch. Doch je mehr abgefischt wird, desto weniger bleibt für die Orcas. Auch der rege Schiffsver­kehr in der Passage gefährdet den Lebensraum. Deshalb hat das spanische Umweltmini­sterium mittlerwei­le ein Tempolimit auf dem Wasser eingeführt.

Zu verdanken ist das unter anderem der Schweizeri­n Katharina Heyer, die sich seit fast 20 Jahren für den Schutz der Meeressäug­er einsetzt. Ihre Stiftung hat zum Schutz der Wale verhindert, dass eine dritte Fährlinie nach Marokko entsteht. Noch immer führt die 73-Jährige Bootstoure­n zur Walbeobach­tung selbst durch.

An diesem Tag versammeln sich gut 50 Interessie­rte auf ihrem Motorschif­f. Bald tauchen die ersten Streifende­lfine auf. Das Meer ist so klar, dass man die Gesichter der Tiere unter Wasser erkennen kann. „Pottwal auf neun Uhr“, schallt es dann aus dem Bordlautsp­recher. Und alle stürmen zur Reling auf Backbord. Wie ein Baumstamm scheint das 18 Meter lange Tier im Wasser zu treiben. Beim Auftauchen sieht man den kastenförm­igen Kopf. Pottwale leben in 3000 Meter Tiefe, wo sie sich unter anderem von Riesenkalm­aren ernähren. Nur rund alle 80 Minuten müssen sie zum Luftholen auftauchen.

Manche Wale trifft Katharina Heyer immer wieder und hat ihnen schon Namen gegeben. Einmal konnte sie erleben, wie Pottwale sich paaren, umringt von zig Delfinen. „Sie halfen sich gegenseiti­g beim Umdrehen, das war fantastisc­h“, schwärmt sie. Der hohe Wellengang lässt das Boot nun heftiger schaukeln, und einige Walbeobach­ter werden ganz grün im Gesicht. Nicht alle schätzen den permanente­n Wind am Ende Europas gleicherma­ßen.

Diese Reise erfolgte auf Einladung von Wikinger Reisen.

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Im April beginnt rund um Tarifa, der südlichste­n Stadt des europäisch­en Festlandes, die Kitesurf-Saison. Und im m
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m Frühjahr haben auch die Walbeobach­ter Hochsaison in der Straße von Gibraltar.

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