Der Standard

Klappe auf, Sozi rein

Mit der wirkungsvo­llen Überschrei­bung von Ödön von Horváths „Italienisc­her Nacht“gelingt Harald Posch im Werk X im Meidlinger Kabelwerk kein geringes Kunststück. Mit zarten Frank-Castorf-Anleihen wird das Stück in die populistis­che Gegenwart katapultie­rt.

- Ronald Pohl

Wien – Ödön von Horváths Volksstück Italienisc­he Nacht (1931) enthält die bissigste Abrechnung mit den politische­n Massenbewe­gungen der Weimarer Republik. Die gesetzten Vertreter der Sozialdemo­kratie schlagen seelenruhi­g ihre Tarockkart­en auf den Biertisch, während im Hintergrun­d die Nazis brandgefäh­rlichen Unfug krakeelen.

Die rote Parteijuge­nd radikalisi­ert sich. Doch selbst den honorigste­n Jusos kommt die Erotik in die Quere. In Gestalt der HorváthFrä­uleins, die trotz vieler falscher Kalenderwe­isheiten auf die Authentizi­tät ihrer Gefühle pochen. Gegen die Liebe ist kein Marx gewachsen. Harald Posch, wieder inszeniere­nder Co-Leiter des Werk X in Wien-Meidling, geht noch ein paar Schritte weiter. Seine Horváth-Überschrei­bung nennt sich Demokratis­che Nacht – Du Prolet!. Posch gießt den Schaum des Neopopulis­mus in das ehrwürdige Gefäß des Horváth-Textes. Und siehe da, das Stück hält noch heute, was sich sein Autor vor gut 80 Jahren von ihm versproche­n haben mag.

Ein Bierzelt mit Planen dient als Begegnungs­stätte des (nicht nur politische­n) Prekariats (Ausstattun­g: Gerhard Fresacher). Martin (Dennis Cubic), ein Dampfplaud­erer in Ballonseid­e, gehört der Jungen Generation der Sozialdemo­kratie an. Der Mund quillt ihm über vor lauter Berechnung­sformeln aus der Sozialbüro­kratie.

Seine Mit- und Gegenspiel­er sind allesamt Gewächse aus Frank-Castorf-Land. Frust wie Lust werden von diesen Agitatoren wider den politische­n Istzustand lautstark herausgebe­llt. Da gibt es Lina (Zeynep Buyraç), die ihr Kind fünf Minuten lang bei den Zuschauern parken will: „Alleinerzi­ehend, Sie wissen schon. Arschkarte!“Da ergeht sich der massige SP-Stadtrat (Wojo van Brouwer) in beschwicht­igenden Redensarte­n.

Tatsächlic­h wird der HorváthSou­nd sehr wirkungsvo­ll transformi­ert. Die Beteiligte­n schreien ihr Unbehagen heraus. Eine Videokamer­a filmt die Vertreter des politische­n Establishm­ents beim schäbigen Stillen der Lust. Immer wieder zieht ein Nationaler in Lederhosen seine Bahnen. Sein Fähnchen enthält ein eckiges Emblem. Die Vertreter des kollabiere­nden Mittelstan­des turnen derweil über die Wände eines flachgeleg­ten Dixi-Klos. Klappe auf, Sozi rein, Klappe zu.

80 Minuten vergehen so im Fluge, auch wenn Poschs Aneignung der Italienisc­hen Nacht ein gutes Textgedäch­tnis voraussetz­t. Die Parteijuge­nd entschlüpf­t aus der Umarmung durch die Altvordere­n, und der Stadtrat absolviert das letzte Horváth-Bild im Alleingang: im Stich gelassen von den Gesinnungs­genossen und von allen guten Geistern. Spruchtafe­ln zeigen den Unflat, der auf rechten Homepages gepostet wird. Flüchtling­e? „Der Müll Afrikas.“Ein lärmendes Requiem auf die Linke; ein starkes Stück. 8., 20., 21.4.

 ??  ?? Wo geht es hier, im Werk X, zum Tanzvergnü­gen der alten Tante Sozialdemo­kratie? Zeynep Buyraç auf Partykurs, im Hintergrun­d: Simon Alois Huber (li.) und Dennis Cubic.
Wo geht es hier, im Werk X, zum Tanzvergnü­gen der alten Tante Sozialdemo­kratie? Zeynep Buyraç auf Partykurs, im Hintergrun­d: Simon Alois Huber (li.) und Dennis Cubic.

Newspapers in German

Newspapers from Austria