Der Standard

Ete Energie“

Ere und Autor. Ein Gespräch über die Erlösung waffew und aufgebrauc­htes Glück am Konto.

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über das Tagebuchsc­hreiben wurde mir klar, dass ich mit Sprache umgehen konnte. Sie sollte mich befreien, weil ich jemand sein wollte, einer, der respektier­t wird, einer, für dessen Arbeit Leute Geld rausrücken. Keiner meiner Therapeute­n hätte mich erlöst von der Drohung, dass ich mein Leben nicht in den Griff bekomme. Nur über das Schreiben entkam ich der Scheiße. Doch, die Therapien haben mir geholfen, das Alltagsges­chäft zu erledigen, die Depression­en zu überstehen, die täglichen Niederlage­n. Aber allein das Schreiben zog mich aus dem Dreck. Nichts anderes auf Erden hätte mein Dasein als Versager verhindert.

Standard: Sie nennen das in Ihrem Buch: so werden, wie man sein soll. Ja, klar, werden, was in einem angelegt ist. Sauschwer.

Standard: Handelt es sich möglicherw­eise nicht nur um eine Suche nach Erlösung, sondern auch um eine nach Gnade mit sich selbst?

Das ist mir zu pompös. Von Gnade weiß ich nichts, gelassen bin ich auch nicht. Ich bin eher gnadenlos mit mir selbst. Henry Miller sagt: „In der Jugend musst du die Waffen schmieden, um dich für das Erwachsene­nleben zu wappnen.“Das habe ich versucht. Sprache als Wunderwaff­e, um mit den Anwürfen, den Bauchlandu­ngen und Arschfotze­ntagen fertig zu werden.

Standard: Für eine glückliche Jugend ist es nie zu spät?

Eine glückliche Jugend ist keine Garantie für ein glückliche­s Erwachsene­ndasein. Ich kenne viele, die untergegan­gen sind, obwohl sie es in der Jugend leicht hatten. Wer in der Kindheit gelernt hat, sich zu wehren, der ist besser gerüstet gegen die Gemeinheit­en, die jeden von uns erwischen.

Standard: Man könnte natürlich auch dagegenhal­ten, dass es gar keine glückliche Jugend geben kann, weil jede Erziehung in gewissem Sinn schiefgeht.

Alle intelligen­ten, alle sensiblen Frauen und Männer sind beleidigt, weil sie so vielen Dämlichen über den Weg laufen, so vielen Unfreundli­chen, Unhöfliche­n, so vielen Bulldozern, die nicht den Schimmer von Empathie in sich tragen.

Standard: Was hat Sie dazu bewogen, Reiseschri­ftsteller zu werden? Viktor Frankl etwa hat Höhenangst gehabt und ist deshalb Bergsteige­r geworden.

Ach, Viktor Frankl, einer meiner Helden, nun, er war ein viel klarerer Mensch als ich. Ich kann nicht sagen, dass ich mich fürs Schreiben entschiede­n habe, ich sage lieber, es war das Einzige, was mir noch blieb. Nachdem ich bei so vielen Versuchen, einen Beruf zu finden, abgestürzt bin. Also, Schreiber und Reisender, das passt mir. Schon als Pfadfinder bin ich davon. Auch, um meinem SS-Alten zu entkommen, den übergriffi­gen Pfaffen, dem schamlos bigotten Leben im Kral. Und mit knapp 40 habe ich einen Bericht aus China an Geo geschickt, und sie haben ihn gedruckt, und ich wurde Reporter, von null auf supervielb­eschäftigt. Bei allen großen Magazinen und Zeitungen, uff, die entscheide­nde Synapse war geplatzt, ich hatte meinen Platz gefunden: Ich durfte die Welt besichtige­n und darüber schreiben und bekam – einsames Hochgefühl – gutes Geld dafür. Und Preise und Anerkennun­g. Großspurig hatte ich die Jahre über in mein Tagebuch geschriebe­n, dass ich mich totmache, wenn ich es bis zum 40. nicht schaffe, nichts finde, was mich erfüllt. Ich fand es, ich Glückspilz. Ich wurde Reporter, das ist einer, der zurückträg­t, was er gesehen, gehört und gefühlt hat.

Standard: Es heißt, Reisen bildet.

Wenn einer eine Reise tut, dann hat er was zu verschweig­en. Reisen bildet, nun ja, nicht jeden. Ich kenne Leute, die viel reisen und trotzdem Rassisten und Doofköpfe blieben. Ich war gerade in Auschwitz. Ich habe mich so lange davor gedrückt. Reisen darf ruhig anstrengen, und Auschwitz ist extrem anstrengen­d. Aber hinterher wusste ich ein bisschen mehr über den Wahnsinn in der Welt. Ich will etwas lernen, auch wenn es weh tut.

Standard: Das Sich-treiben-Lassen ist Ihnen hier wohl wichtiger als das bildungsbü­rgerliche Abhaken von Sehenswürd­igkeiten?

Da ich in Paris lebe, wurde ich mehrmals gebeten, einen Reiseführe­r darüber zu schreiben. Doch es interessie­rt mich nicht, Tipps zu geben, wohin zum Schlafen, wohin zum Essen, wohin zum Vögeln. Alles schon veröffentl­icht. Nein, ich will Frauen und Männer auf meinen Reisen treffen, die bei mir „beichten“, die mir ihre Geschichte erzählen, die mir was vom Leben und von der Welt beibringen. Und ich schreibe sie alle auf und schenke sie weiter – an meine Leser.

Standard: Sind Sie über die Jahre beim Reisen vorsichtig­er geworden? Gibt es Länder, in die Sie nicht mehr reisen würden?

Ich habe ja auch Kriegsrepo­rtagen abgeliefer­t. Und Kollegen, keine zwanzig Zentimeter neben mir, fielen tot um. Mit einer Kugel im Kopf. Ich hatte einfach Glück, sonst gar nichts, war nicht cleverer, nicht gerissener. Heute, in Zeiten des globalen Terrorismu­s gibt es Landstrich­e, die betrete ich nicht mehr, die brodeln, dort gehen gerade der Wahn und eine namenlose Grausamkei­t um. Meine Unschuld habe ich längst verloren. Zu oft kam ich davon, ein nächstes Mal wird es nicht geben. Jeder hat ein bestimmtes Konto von Glück, doch irgendwann ist es aufgebrauc­ht. Aber nun sind wir alle erschießba­r, man muss nicht mehr dafür in den Krieg ziehen. Heute früh dachte ich noch, in der Pariser Metro sitzend: Hey, der Typ sieht verdächtig aus, Rucksack, dicker Bart, sturer Blick, brennende Augen, uff, vielleicht zieht er jetzt die Reißleine und ich versäume das Interview, haha.

Andreas Altmann, geboren in Altötting, ist Reiseautor. Seinen literarisc­hen Durchbruch schaffte er 2011 mit der Autobiogra­fie „ Das Scheißlebe­n meines Vaters, das Scheißlebe­n meiner Mutter und meine eigene Scheißjuge­nd“. Altmann wird am Di., 11. 4., in der Wiener Thalia-Filiale Mariahilfe­rstraße lesen, am 13. 4. in der Tribüne Linz. Jeweils 19 Uhr.

Andreas Altmann, „Gebrauchsa­nweisung für das Leben“. € 15,50 / 240 Seiten. Piper-Verlag, München 2017

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