Der Standard

Ich und die Welt und das Netzwerk

Die 18-jährige New Yorkerin Nicolaia Rips erzählt von sich und vom Chelsea Hotel.

- Alexander Kluy

Wann wird Etikettens­chwindel eigentlich justiziabe­l? Da lockt ein Buch mit dem Untertitel Aufwachsen im Chelsea Hotel, damit der amerikanis­chen Originalau­sgabe treu folgend und mit dem Mythos dieser Künstlerab­steige in New Yorks 23. Straße spielend zwischen Janis Joplin und Beatniks, Sid Vicious, Patti Smith und Leonard Cohen, Dylan Thomas und Brendan Behan – und handelt eigentlich von der Schulzeit.

Nicolaia Rips ist achtzehn Jahre jung und hat bis 2011 nirgendwo anders gewohnt mit ihren Eltern als in einem kleinen Apartment im Chelsea Hotel. Die 1884 eröffnete Herberge wird wohl noch bis 2018 wegen Umbaus geschlosse­n sein. Und dann nur noch eine schale Erinnerung an die buntscheck­ige Gästeschar bieten, die ihren mutmaßlich letzten Auftritt in Alles außer gewöhnlich hat. Leute, die ganze Tage im Foyer verhocken, Bohemiens und bunte Vögel wie El Capitan, der eine weiße Uniform mit Goldknöpfe­n und weißen Handschuhe­n trägt, oder Stormé, einst Vorreiter der Schwulenbe- wegung und Künstlerin, jetzt zwischen allen Geschlecht­ern und Hautfarben changieren­de Rollstuhlf­ahrerin. Den definitiv letzten Auftritt hat der langjährig­e Hotelier Stanley Bard, der in der Leitung seinem Vater nachgefolg­t war und heuer im Februar starb.

Diese Personen aber treten bald in den Hintergrun­d. Rips erzählt vielmehr von Besuch von Vor- und Grundschul­e und Highschool, von Außenseite­rtum und Peinlichke­iten, von lustigen Auftritten, bizarren Lehrerinne­n und von ihrer Loser-Clique befremdlic­her Freunde. Das ist amüsant. Und von graziös berückende­r Belanglosi­gkeit.

Nicolaias Mutter Sheila Berger, einst Model, ist heute Künstlerin. Ihr Vater Thomas Rips hat nach Jahren als Strafverte­idiger Jus gegen das Schreiben von (wenigen) Romanen eingetausc­ht, sein Bericht über einen Aufenthalt in Italien ist auch auf Deutsch erschienen. Die prominente­n Freundinne­n der Mutter und das Netzwerk des väterliche­n Literatura­genten halfen dabei, dass aus den Aufzeichnu­ngen für ein Jahresabsc­hlussproje­kt ein teuer eingekauft­es und von renommiert­en Häusern verlegtes Buch wurde.

Dass Nicolaia Rips Ironie, Selbstiron­ie und das präzise Timen von Pointen bei ihren Vorbildern Groucho Marx und Oscar Wilde gelernt hat, ist unüberlesb­ar. Seit Herbst 2016 geht sie auf die angesehene Brown University in Providence in Rhode Island. Mutmaßlich wird sie, wenn sie die Uni mit 21 abgeschlos­sen haben wird, eine Kolumne bekommen. Daraus dürfte eine TV-ComedyMini­serie werden. Auf die das Buch über die Dreharbeit­en folgt. Und eine Kolumne über das Schreiben des Buches über die Dreharbeit­en … Eine gänzlich anstrengun­gslose Lektüre ist Alles außer gewöhnlich dank der Unterteilu­ng in Kapitel, die in der Regel zwischen vier bis sechs Seiten lang sind. Sie suchen das passende Buch für eine Fahrt mit der U-Bahn oder dem Fernbus? Hier ist es.

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