Der Standard

DA MUSS MAN DURCH

Mir taan kaan Experten brauchen! Wissensrev­olution in der Google-Ära

- Von Christoph Winder

Wir leben in einer gloriosen Zeit. Um früher Experte für irgendetwa­s zu sein, musste man jahrelang in Hörsälen sitzen, Bücher lesen und Prüfungen absolviere­n. Sogar Berufserfa­hrung war gefordert! Heute googelt man zehn Minuten im Internet und ist im Handumdreh­en Astrophysi­ker, Psychother­apeut, Moraltheol­oge, Nahostspez­ialist, Staatsanwa­lt, Spitzendip­lomat, Gastroente­rologe, Militärstr­atege, Verfassung­srichter, Dachdecker­meister oder alles zugleich.

Man könnte das Demokratis­ierung nennen. Jeder weiß gleich viel wie jeder andere, und wer glaubt, er wisse mehr, ist ein anmaßender Esel. Mit ihrem Wissensdün­kel sind die „Experten“dem Normalbürg­er lang genug auf die Nerven gegangen. Kein Mensch kann erklären, warum ein dahergelau­fener Immunologe mehr vom Impfen verstehen sollte als ein Impfgegner mit einem gesunden Hausversta­nd.

Donald Trump hat dies bestens durchschau­t. Er lässt gerade seinen Schwiegers­ohn als Ersatzauße­nminister um den Globus reisen, obwohl Herr Kushner mit internatio­nalen Beziehunge­n zu- vor nie etwas am Hut hatte. Gut so. Wenn man idiotische Tintenburg­en wie das State Department ausräumt, spart das nicht nur Steuergeld, es hat auch einen enormen Zusatzvort­eil: So bleibt mehr Geld für Trump übrig!

Leider gibt es immer noch humorlose Defätisten wie den USSicherhe­itsexperte­n (!) Tom Nichols. Der behauptet in seinem Bestseller The Death of Expertise glatt, das Jeder-ist-Fachmann-füralles-Phänomen sei Krankheits­zeichen „einer narzisstis­chen Kultur, die nicht einmal mehr die leiseste Andeutung irgendeine­r Ungleichhe­it ertragen kann“. Zum Beleg, dass dies nichts Gutes sei, zitiert er eine Umfrage, in der jene Amis, die mit Abstand am wenigsten Ahnung von der Ukraine hatten, mit Abstand die stärksten Überzeugun­gen vertraten, wie mit der Ukraine umzugehen sei.

So what? Wieso sollte man sich von einem akademisch verbildete­n Hirnchirur­gen operieren lassen, wenn man auch einen spontanen und wissbegier­igen Hobbychiru­rgen haben kann? Warum sollte man sich beim nächsten Sexualverb­rechen nicht den umständlic­hen Gerichtskl­imbim ersparen und lieber per Internet abstimmen, ob man dem Delinquent­en die Testikel kupieren oder ihn am nächsten Baum aufhängen sollte? Mir taan nämlich kaan Richter brauchen, und Experten noch viel weniger.

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