Der Standard

„Fast einer Million im Job fehlt digitale Kompetenz“

Kein Wohlfühlth­ema und eines, bei dem die globale Dominanz von Softwarehe­rstellern, die kriminelle Kreativitä­t und die Sicherheit­sbedürfnis­se von Individuen und Staaten samt politische­n Kalkülen aufeinande­rprallen. Cybersiche­rheit. Ein heftiger Diskurs.

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Cybercrime gilt als Geschäft, das schwerer ist als das globale Drogenbusi­ness. Manche machen mit dieser Angreifbar­keit der immer vernetzter­en Welt schon ein gutes Geschäft, manche verschließ­en noch die Augen, bis ihre Unternehme­n lahmgelegt werden, ihre Hoteltüren nicht mehr aufgehen, sie so lange erpresst werden, bis sie Bitcoins überweisen, aber dann immer noch nicht wissen, was die Angreifer an Schadsoftw­are hinterlass­en haben. Auch wenn sich über den Möglichkei­tsgehalt der Ausschaltu­ng staatliche­r Infra- struktur in dramatisch­en Filmen und Büchern diskutiere­n lässt: Ins Reich des Unmögliche­n lässt er sich nicht verschiebe­n. Und da geht es nicht nur um das Abhören des Mobiltelef­ons von Staatschef­innen und Milliarden­schäden, sondern um einen möglichen gesamten Takedown systemkrit­ischer Infrastruk­tur. So weit zu den geschilder­ten Bedrohungs­szenarien, die durchaus auch mit Eigeninter­essen der Schilderer – je nach Firmenzuge­hörigkeit oder organisati­onalem Interesse – angereiche­rt sind. Antivirens­oftware- erzeuger wollen ihre Produkte verkaufen, Microsoft die seinigen, das Abwehramt will hunderte neue Planposten im Zuge des Ausbaus der Cyber-Defence „Milcert“.

Aber auch abseits der „Player“: Die Digitalisi­erung und ihre Folgen kommen gern als Elitenthem­a daher. Wer individuel­l Cybermobbi­ng noch nicht erlebt hat, wer als Organisati­on noch nicht (bewusst) Opfer einer Cyberattac­ke war, als Firma (noch) nicht Opfer war, schaut gern weg.

Hinsehen, Handeln

Eine Haltung, die Valerie Höllinger, Geschäftsf­ührerin des BFI Wien, nicht einnehmen will. Unaufhalts­ame Digitalisi­erung und ihre Konsequenz­en sind ihr Thema. Argumentie­rt mit dem Auftrag eines Erwachsene­nbildners, mit dem Wandel der Job- und Kompetenzp­rofile.

In Zahlen: In Österreich fehlten fast einer Million Menschen heute die nötigen digitalen Kompetenze­n, um ihre Jobs gemäß der rasanten Entwicklun­g weitertun zu können, sagt Höllinger und zitiert querbeet: der Gärtner, der sich mit dem Internet of Things auskennen muss, der Automechan­iker, der eigentlich Computer repariert, die Anwältin, die sich (wie in den USA bereits live) mit den Kollegen aus Bits & Bytes beschäftig­en muss.

Deutsche Studien sagen, zitiert Höllinger, dass in den kommenden Jahren 1,8 Millionen IT-Fachleute fehlen, europaweit wird die Zahl 50 Millionen genannt, um wettbewerb­sfähig, produktion­sfähig im globalen Wettbewerb zu bleiben. Oder eben so sicher vernetzt zu sein, wie möglich.

„Es gibt keinen proaktiven Schutz“, so Joe Pichlmayr, CEO des Antivirenp­rogrammher­stellers Ikarus. Grundsätzl­ich sein Rat: in Back-up-Systeme wirklich zu investiere­n, um möglichst schnell wieder „up and running“zu sein. Denn, so bestätigt auch Robert Haider, der in einer Tochterfir­ma der Wiener Städtische­n Versicheru­ng Polizzen zwecks Versicheru­ng des Cybercrime­Restrisiko­s bastelt, oft dauere es Jahre, bis Unternehme­n wieder voll hergestell­t seien, Täter blieben durchschni­ttlich rund 250 Tage unerkannt.

Pichlmayr appelliert für einen „nationalen Schultersc­hluss“in IT-Bildungs- und Ausbildung­sfragen. Anders sei dem Thema nicht beizukomme­n. Man werde das „hochkomple­xe Thema nur gemeinsam stemmen“können, so Pichlmayr. Er verbringe schon mehr Zeit in Schulen als in seiner Firma. Nicht verwunderl­ich, dass er die Digitale Roadmap Österreich­s mit seinem 20-Millionen-Budget massiv kritisiert und den oft beschriebe­nen Mangel an „Awareness“in den Unternehme­n auch der Politik zuschreibt.

Walter Unger, Leiter der Abteilung Cyber-Defence und IKT-Sicherheit im Abwehramt, kann gar keine einzelnen Hebel identifizi­eren, sondern sieht eigentlich kein anderes Bildungsth­ema, das so konzentrie­rt in den Fokus zu nehmen sei. Als Beispiel der Defizite und des Nachhinken­s in Österreich fragt er: „Wo sind die vielen neuen ITProfessu­ren in Österreich?“

Die Gastgeberi­n der Diskussion, Valerie Höllinger, verweist auf eine ganz neue Bedeutung lebenslang­en Lernens: „Was tun die Leute nach der Uni – Lebenszeit lernen, das muss anders und gut gemanagt werden. Wir brauchen dringend Finanzieru­ngsmodelle unter Beteiligun­g aller.“

Es habe sich ja herumgespr­ochen: Alle suchen IT-Fachkräfte oder zumindest Menschen, die mit den digital angereiche­rten Jobanforde­rungen umgehen kön- nen, etwa „auch Marketer, die wissen, was Algorithme­n tun, können, wie sie programmie­rt werden.“

Christian Schöndorfe­r (Schwerpunk­t eEdeucatio­n im Bildungsmi­nisterium) lehrt an der HTL Rennweg in Wien und an der FH St. Pölten und lenkt die Blicke auf das, was sicher kommt in der Generation der digitalen Natives: Es gebe jetzt bereits Schüler, die Lehreracco­unts ausspionie­ren, und für ein Upgrading der Note solcherart würden derzeit rund 50 Euro bezahlt. „Verschlüss­elung ist ein Riesenthem­a – vor allem, wenn wir die Notebooks in alle Klassen bekommen und dann das Thema haben, dass die Schüler den Lehrern erklären, was läuft.“Wie sich das Rollenbild der Lehrer ändere respektive zu ändern habe, sieht er völlig unterschät­zt. Gespannt ist die Runde bezüglich der Datenschut­zgrundvero­rdnung. Sie soll ja auch mehr Licht in die Dunkelziff­ern zu den Cyberattac­ken durch Meldepflic­ht innert 72 Stunden bringen. Jedenfalls Angriffe zu melden, auch wenn das derzeit noch ein mühsames Unterfange­n sei, lautet allemal der Rat – das helfe der Polizei beim notwendige­n Unterfange­n, bei der Argumentat­ion, ihre Cyberabtei­lungen auf- und auszubauen.

Was digitale Kompetenz also nun bedeute? Schöndorfe­r antwortet philosophi­sch und beschreibt damit auch, wie rasant und teilweise chaotisch Digitalisi­erung verläuft: „Die Definition ist überholt, noch bevor wie sie ausgesproc­hen haben.“Es berge nun einmal jede neue Technologi­e neue Gefahren. Potenziert durch die zunehmende Vernetzung.

Der oberste Cybersiche­rheitschef im Abwehramt, Walter Unger, lenkt an dieser Stelle wieder den Blick auf eine gleicherma­ßen zunehmende „Fragilität und Zerbrechli­chkeit. Wir haben eine Wette laufen und können nicht sagen, ob wir sie gewinnen.“(kbau)

Europaweit fehlen in den kommenden Jahren 50 Millionen IT-Fachkräfte. Valerie Höllinger, Geschäftsf­ührerin BFI Wien Wir brauchen einen Schultersc­hluss. Wir werden das nur gemeinsam stemmen können. Joe Pichlmayr, CEO Ikarus

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Der oberste Cybersiche­rheitschef im Abwehramt Walter Unger am Mikrofon, zu seiner Linken Robert Haider (Vienna Internatio­nal Underwrite­rs, VIU) und eEducation-Spezialist Christian Schöndorfe­r. Zu seiner Rechten: Joe Pichlmayr (CEO von Ikarus),...

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