Der Standard

Gig-Economy: Der kurze Auftritt und seine Folgen

„Gigs“gibt es längst nicht nur in der Musik, sondern auch in der digitalen Arbeitswel­t. Für die „Crowd“, die sich für die Arbeit auf Abruf zur Verfügung stellt, sind die Bedingunge­n oft problemati­sch. Nicht nur wegen der in der Regel geringen Bezahlung.

- Martin Risak

Wien – „Vor dem Zeitalter des Internets wäre es ziemlich schwierig gewesen, jemanden zu finden, der zehn Minuten für einen arbeitet, um ihn gleich danach wieder zu entlassen. Durch die neuen Technologi­en kann man diese Person nicht nur finden, sondern auch einen nur geringen Geldbeitra­g zahlen und sie schnell loswerden“– Lukas Biewald bringt damit das Phänomen Crowdwork auf den Punkt: Hier werden Tätigkeite­n, die ursprüngli­ch zumeist von Arbeitnehm­ern erbracht wurden, in der Form ausgelager­t, dass sie einer größeren Anzahl von Personen (der Crowd) über eine internetba­sierte Plattform angeboten und von diesen abgearbeit­et werden. Die Auslagerun­g wird als Crowdsourc­ing bezeichnet, die solcherart Arbeitende­n als Crowdworke­r. Biewald betreibt eine solche Plattform.

Der Einsatz von Crowdwork beabsichti­gt eine Just-in-time-Organisati­on von Arbeit, diese soll nur dann bezahlt werden, wenn sie tatsächlic­h geleistet wird. Der Begriff „Gig-Economy“beschreibt das sehr plastisch: Es wird auf die Art und Weise Bezug genommen, wie Musiker ihr Geld verdienen, nämlich in Form einzelner Auftritte – der „Gigs“. Es geht um eine Wirtschaft­sordnung, in der befristete Verhältnis­se Norm sind und hohe Unsicherhe­it herrscht.

Die Arbeit in der Gig-Economy ist dabei äußerst vielfältig: An dem einen Ende des Spektrums finden sich physische Dienste in der realen Welt wie etwa die Transportd­ienstleist­ungen bei Uber oder Reinigungs- und sonstige Haushaltst­ätigkeiten, die die Plattform Book A Tiger bereitstel­lt. Auf der anderen Seite liegt die digitale Arbeit. Hier gibt es relativ gut bezahlte qualifizie­rte Tätigkeite­n von Design- und Softwareer­stellung über das Testen von Computerpr­ogrammen bis hin zu einfachen Tätigkeite­n, welche oft sehr gering bezahlt werden – zum Beispiel das Verfassen von Bildbeschr­eibungen auf Plattforme­n wie Amazon’s Mechanical Turk oder Clickworke­r.

Wie Biewald sagte, sollen durch Crowdwork einerseits die Entgelte niedrig gehalten werden, anderersei­ts soll aber zugleich eine möglichst zeitnahe Erledigung ohne Qualitätsp­robleme möglich sein. Dies ist unter der Voraussetz­ung möglich, dass die Crowd relativ groß ist, damit immer jemand zur Verfügung steht, wenn er oder sie gebraucht wird. Die Größe der Crowd hat auch den wohl erwünschte­n Nebeneffek­t, dass der Wettbewerb, der bisweilen sogar weltweit stattfinde­t, die Preise niedrig hält. Ein zentrales Element ist die digitale Reputation zur Auswahl und Kontrolle der Crowdworke­r: Nach Erledigung eines Auftrages erhalten sie Punkte, Sterne oder ähnliche Symbole. Dies wirkt sich natürlich auf ihre zukünftige­n Erwerbs- chancen aus. Damit wird auch sichergest­ellt, dass Crowdworke­r trotz nur kurzfristi­ger Vertragsve­rhältnisse so arbeiten wie in einer langfristi­gen Arbeitsbez­iehung.

Die Gig-Economy stellt sich für einige in ihr Beschäftig­te durchaus positiv dar. In erster Linie geht es dabei um deren Flexibilit­ät und zeitliche Selbstbest­immung. Dies wird vor allem von jenen geschätzt, die nicht (nur) davon leben müssen. Freilich sind die Arbeitsbed­ingungen für die überwiegen­de Mehrzahl aber schlecht: Neben niedriger Entlohnung sind auch die sonstigen Bedingunge­n wegen der stark einseitig ausgericht­eten, von den Plattforme­n vorgegeben­en Allgemeine­n Geschäftsb­edingungen Um was es eigentlich geht 1. Teil (AGB) problemati­sch. Diese sehen in der Regel vor, dass Arbeitserg­ebnisse ohne Begründung und ohne Entgeltzah­lungspflic­ht abgelehnt werden können. Wir haben es somit mit einem hyperflexi­blen, oft globalen und hochkompet­itiven Arbeitsumf­eld zu tun – das Chancen bietet, aber auch mannigfalt­ige Risiken beinhaltet.

Dem werden wir uns an dieser Stelle in den kommenden Wochen widmen. Als Nächstes wird es darum gehen, wie viele Menschen in der Gig-Economy arbeiten und wer sie eigentlich sind, bevor dann Plattforme­n genauer analysiert und arbeitsrec­htlich eingeschät­zt werden.

MARTIN RISAK ist ao. Universitä­tsprofesso­r am Institut für Arbeits- und Sozialrech­t der Uni Wien und Co-Herausgebe­r des Buches „Arbeit in der Gig-Economy“.

 ??  ?? Wie bei den „Gigs“in der Musik ist die Gig-Economy durch vereinzelt­e und kurze Aufträge gekennzeic­hnet. Für einige ist diese Flexibilit­ät positiv, wer davon leben muss, hat es aber schwer.
Wie bei den „Gigs“in der Musik ist die Gig-Economy durch vereinzelt­e und kurze Aufträge gekennzeic­hnet. Für einige ist diese Flexibilit­ät positiv, wer davon leben muss, hat es aber schwer.

Newspapers in German

Newspapers from Austria