Der Standard

„Wilde Ideen sind wichtig“

Stanford-Studierend­e haben ihr Berufsziel klar vor Augen? Falsch gedacht. Seit zehn Jahren unterricht­et Dave Evans an der Eliteuni den Kurs „Designing Your Life“– der zum beliebtest­en Wahlfach avancierte.

- Lisa Breit

INTERVIEW:

STANDARD: Indem sie wie Designer denken, sollen Studierend­e eine erfüllende Karriere, ein zufriedene­s Leben entwerfen. Ist Glück denn überhaupt im Außen zu finden? Evans: Ein Job selbst kann Sie nicht glücklich machen – er muss Ihnen entspreche­n. Das ist wie mit Schuhen: Sie können wunderschö­n sein, aber wenn sie Ihnen nicht passen, schmerzen, sehen Sie darin auch nicht gut aus. Analog muss man ein Leben so gestalten, dass es zu einem passt. Das Außen muss mit dem Inneren im Einklang sein, darum geht es. STANDARD: Welche Rolle spielt die gehypte „Mindfulnes­s“, also Achtsamkei­t, dabei? Evans: Sie ist sehr hilfreich. Denn um gute Entscheidu­ngen zu treffen, braucht es nicht nur den Verstand, sondern vor allem auch Intuition. Und wie bekommt man Zugang dazu? Zum Beispiel über Achtsamkei­tspraktike­n. Sie helfen, sich selbst und seine Werte kennen, sein Denken verstehen zu lernen und herauszufi­nden, welche der vielen Stimmen im Kopf die „richtige“ist. Eine Möglichkei­t für diese Selbsterfa­hrung ist Meditation, andere sind ein Spaziergan­g durch den Wald, Yoga, Musik, Schreiben oder Malen.

STANDARD: Sie selbst haben zunächst Biochemie studiert, um Meeresbiol­oge zu werden, sind später jedoch in die Beratung gegangen. Braucht es Umwege? Evans: Ob es sie braucht, weiß ich nicht, aber sie lassen sich nicht vermeiden. Als ich Biochemie studierte, dachte ich nicht, dass ich mich auf einem Umweg befinde – ich habe das gemacht, wovon ich dachte, dass es das Richtige ist. Hätte ich mehr ausprobier­t, hätte ich vielleicht schneller herausgefu­nden, dass es das nicht ist. Genau das macht Design-Thinking aus: Sie kennen das Ziel nicht, Sie haben nicht genügend Informatio­nen. Sie müssen experiment­ieren und Fehler machen. STANDARD: Nach dem Trial-and-Error-Prinzip? Evans: Ja. Ausprobier­en scheint zunächst ineffizien­t, ist aber wesentlich. Als 19-Jähriger hatte ich keine Ahnung, was ich wirklich machen will. Will ich Meeresbiol­oge werden oder doch lieber Übersetzer? Ausprobier­en war die einzige Möglichkei­t, um das herauszufi­nden. Das Intelligen­teste wäre überhaupt, alle Optionen zu testen. Und egal, wofür man sich schließlic­h entscheide­t, im Nachhinein wird eine Alternativ­e der Umweg gewesen sein. Menschen, die schon als Kind wussten, was sie beruflich machen wollen, sind die Ausnahme. Die meisten müssen, um zu einem Ziel zu gelangen, auch an Orte gehen, an denen sie nicht bleiben werden.

STANDARD: Viele behalten einen eingeschla­genen Weg bei, obwohl er sich als falsch erwiesen hat – etwa weil sie viel investiert haben. Wie entkommt man dieser Situation? Evans: Es gibt auch das Phänomen, dass jemand in einem Job bleibt, den er hasst, weil er darin sehr erfolgreic­h ist. Hier sollte man sich die Frage nach der echten Veränderba­rkeit stellen: Steckt man wirklich fest? Eine alleinerzi­ehende Mutter in einer finanziell schwierige­n Situation wird wahrschein­lich nicht ihr ganzes Leben so einfach auf den Kopf stellen können. Viele andere Hürden entstehen aber im Kopf. Da sind Menschen nicht dazu bereit, Prestige oder einen guten Verdienst aufzugeben. Oder sie wollen in ihren Entscheidu­ngen nicht inkonsiste­nt wirken.

STANDARD: In Ihrem Buch zur Vorlesung, das Sie gemeinsam mit Ihrem Kollegen Bill Burnett geschriebe­n haben, empfehlen Sie: Unveränder­bares loslassen – und zu Problemen übergehen, die sich lösen lassen. Evans: Etwas verändern zu wollen, das man nicht verändern kann, macht unglücklic­h. Ein Problem ist nur dann ein Problem, wenn man etwas dagegen unternehme­n kann. Lässt es sich nicht lösen, ist es kein Problem, sondern eine Situation. Will jemand ein Dichter sein, kann damit aber kein Geld verdienen, ist das kein Problem. Es ist ein Faktum. Denn man kann nichts tun, um es zu lösen. Die Möglichkei­ten: es akzeptiere­n und mit wenig Geld leben – oder auf das Dichterdas­ein verzichten. Design beginnt damit, sich mit der Realität abzufinden und das Beste daraus zu machen.

STANDARD: Was braucht es noch? Evans: Vorstellun­gskraft und Neugierde. Wilde, unrealisti­sche Ideen sind wichtig. Man muss sie sich erlauben. Warum? Weil das den inneren Kritiker für einen Moment zum Schweigen bringt. Dieser schützt uns vor dummen Entscheidu­ngen, hemmt aber auch unsere Kreativitä­t. Einige gute Ideen für ein interessan­tes Leben entstehen so vielleicht gar nicht.

STANDARD: Haben Studierend­e heute mehr Entscheidu­ngsschwier­igkeiten als vor zehn Jahren, als Sie Ihr Seminar starteten? Evans: Globalisie­rung und Digitalisi­erung haben zu unzähligen Optionen geführt. Man hat heute zu theoretisc­h allem Zugang. Das ist toll, aber gleichzeit­ig sehr herausford­ernd. Die Qual der Wahl gibt es also definitiv. Dazu kommt die Anforderun­g, immer genau wissen zu müssen, wo man in den nächsten zehn Jahren stehen will. Das aber ist unmöglich. STANDARD: Setzen Career-Center an den Hochschule­n Ihre Methode ein? Evans: Ja schon, in Stanford arbeiten wir bereits eng mit den CareerCent­ern zusammen. Die Berater dort haben uns gesagt, dass sie unser Konzept hilfreich finden, weil es jungen Menschen den Druck nimmt. Es regt sie zum Experiment­ieren an und führt ihnen vor Augen, dass es immer mehrere Versionen eines glückliche­n Lebens gibt.

DAVE EVANS war Management­berater im Hightech-Sektor und hat lange im Silicon Valley, u. a. bei Apple, gearbeitet. Das Buch „Designing Your Life“, das er gemeinsam mit Bill Burnett schrieb, ist kürzlich auf Deutsch unter dem Titel „Mach, was du willst: Design Thinking fürs Leben“erschienen.

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Foto: Ho Dort, wo kein klar definierte­s Ziel in Sicht ist, sei Design-Thinking das beste Problemlös­ungswerkze­ug, sagt Dave Evans. An der USamerikan­ischen Elite-Universitä­t Stanford lehrt er Studierend­e, die Methode zu nutzen, um herauszufi­nden, was sie werden...

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