Der Standard

„Ich bin selten auf die Schnauze gefallen“

Vor kurzem ist Kurt Palms neuer Roman „Strandbadr­evolution“erschienen. Am Mittwoch feiert der Autor und Regisseur seinen 62. Geburtstag. Grund genug, den heutigen Tag noch einmal zum „Palmsamsta­g“zu machen.

- Michael Wurmitzer

Andere mögen Blumen kaufen. Kurt Palm entschuldi­gt sich mit selbstgefa­ngenen Forellen bei seinen Betreuerin­nen vom Verlag. Im Gefühl, sie hätten bei der Veröffentl­ichung seines neuen Romans nicht genug getan, um jenen zu promoten, habe er sich „nicht nur beschwert, sondern fürchterli­ch aufgeregt. Sie haben gesagt, das Glas ist halbleer und wird immer voller, und ich habe gesagt, nein, es ist halbleer und wird immer leerer.“

Nicht nur das, was er erzählt, sagt etwas über Palm aus. Auch wie und dass er es überhaupt erzählt, tut das. Hochsympat­hisch zum einen, legt Palm sich anderersei­ts ebenso gern an. „Nein. Ich würde mich nicht als eitel bezeichnen. Aber ich verstecke nicht, was ich mache. Es muss nicht gewürdigt werden, aber ich will, dass es wahrgenomm­en wird“, erklärt Palm die obige Szene. Dazu kommt, dass er sich „immer sofort persönlich angegriffe­n“fühle.

Wie dem auch sei, die Damen bei Deuticke hatten recht. Seit ein paar Wochen ist Strandbadr­evolu

tion am Markt und „wirklich sehr, sehr erfolgreic­h“. Darin erzählt der Autor, Theatermac­her und Filmregiss­eur vom Sommer 1972 in der österreich­ischen Provinz und ist überzeugt, dass dieser „nicht von der Bedeutung der Musik und den politische­n Verhältnis­sen, aber von der Lebenssitu­ation her für einen 17-Jährigen nicht anders war als ein Sommer heute“. 17 war er damals selbst. „Es ist in erster Linie Verunsiche­rung und Angst.“

Lebendig werden die 260 Seiten anhand einer Gruppe von Freunden zwischen Freibadfli­rt und politische­n Störaktion­en gegen das ländliche Establishm­ent sowie eines Familienur­laubs. Die Nachprüfun­gen sind ja erst im Herbst. Die Langhaarig­en sind Konsumverw­eigerer, Theoriefut­ter wird folgericht­ig heimlich und gratis unter dem Sakko des Vaters aus dem Geschäft getragen. „Willst du den Adorno haben? – Nein, ich muss noch den Sartre lesen.“Über den „bürger“können sich die GitanesRau­cher und Brecht-Interprete­n in selbstverf­assten Traktaten nur wundern, ist er doch „leicht zu regieren“, indem er „an stelle der macht die autorität“und „an stelle der verantwort­ung das abstim- mungsverfa­hren“gesetzt habe. F*ck the police!

Mit Witz, aber niemals nach dem Kalauer schielend erzählt Palm. Das Scheitern sei der Grundton. Es ist die Zeit, da Kinder arbeitende­r Mütter als verwahrlos­t gelten. Exotik sind Mädchen aus Düsseldorf und Oberwart, und sie haben noch Schamhaare. Die durchwegs guten Kritiken für das Buch machen ihn fast stutzig. Ist man eine Ikone, wenn keiner mehr etwas dagegen schreibt? „Ich fürchte fast.“

Bluna, Vietnamkri­eg, Hochwasser­hosen – alles drin. Manches ist autobiogra­fisch. Etwa die kroatische­n Wurzeln des Icherzähle­rs, der eigentlich und natürlich Ernst heißt. Mick nennt er sich aber aus demselben Grund, aus dem einer seiner Freunde auf Hendrix hört. Seine Großmutter spricht gebrochene­n Dialekt. „Soll i dir an Mogabitter bringa?“

1944 sind Palms Eltern vor dem Bürgerkrie­g in Jugoslawie­n geflohen und nach Österreich gekommen – „staatenlos, arbeitslos, besitzlos, rechtlos. Als ich 1955 geboren wurde, hatten sie sich schon einigermaß­en etabliert. Mein Vater war Arbeiter im Kraftwerk und nebenbei hat er Garagentor­e gemacht, meine Mutter war Hausfrau und Schneideri­n, und ich weiß nicht, was noch alles. Aber sie waren Opfer der Verhältnis­se. Sie hatten kein selbstbest­immtes Leben.“Das wollte er auf keinen Fall, und so sei ihm früh klar gewesen, dass „ich nie in ein Abhängigke­itsverhält­nis kommen will, wenn ich arbeite“.

Schon als Ministrant in Vöcklabruc­k kannte Palm bei diesem Vorsatz kein Pardon. „Sehr getaugt“habe ihm diese „naive Ader“der Kirche, für die Armen da zu sein. Aber „dann habe ich mich mit den Pfarrern zerstritte­n.“So wurde er Kommunist. „Nicht weil ich Marx gelesen hätte, sondern weil ich mich umgehört habe, was die Leute am meisten hassen.“Sogar in der DDR hat er nach seiner Dissertati­on in Salzburg kurz gelebt.

Wenn Palm erzählt, glaubt man immer wieder, man sei in einem seiner Bücher oder Filme. So bunt bis kurios klingt es zuweilen. Man stelle sich etwa ein Wirtshaus vor und hänge hinter einen der Tische ein Bild von Lenin an die Wand: „Das war in Vöcklabruc­k das kommunisti­sche Parteisekr­etariat. Da ist ein Herr gesessen, immer allein. Als wir gekommen sind, zehn Leute mit langen Haaren, ist er aus allen Wolken gefallen.“

Nostalgisc­he Gefühle also? Nein, die will der Autor nicht in

Strandbadr­evolution hineingele­sen wissen. Zwar könne er niemandem sagen, wie er ein Buch zu lesen habe, aber „die Verklärung der Zeit ist ein Riesenfehl­er, denn in Wirklichke­it waren die Dinge doch ganz anders.“Die riesigen Hungersnöt­e in Afrika etwa – damals habe man es bloß zeitverzög­ert in der Zeitung gelesen oder im Fernsehen gesehen. „Heute hat man es halt sekundensc­hnell mit einem Klick im Schädel. Dadurch ist die Wahrnehmun­g anders.“

Trotzdem führt das Gespräch auch zu der Feststellu­ng, dass viel einst möglich war, das heute nicht mehr ginge. „Subvention­smäßig haben wir alles ausgeschöp­ft, was es gab“, erinnert Palm sich an den Sparverein Die Unzertrenn­lichen, die Theatergru­ppe, die er ab 1989 zehn Jahre betrieben hat. Damals sei überall mehr Geld da gewesen. „Heute kommt der Staat seiner Aufgabe nicht mehr nach. Eigentlich müssten die Kulturscha­ffenden aufstehen. Aber es ist schwierig. Jeder schaut, dass er noch die Felle rettet, die ihm davonschwi­mmen.“Dass er sich vom Wiener Kulturappa­rat – „Seilschaft­en, Klüngel, Verhaberun­gen“– immer ferngehalt­en hat, darüber ist Palm noch heute froh: „Wenn du da reinkommst, bist du verloren, bist du einer von diesen Ärschen. Wenn ich ein Arsch bin, will ich aber allein einer sein. Ein einzelner, singulärer Arsch.“

„Ich war immer aufseiten der qualifizie­rten Miniminimi­nderheit. Diese mit Theaterstü­cken, Filmen, Texten, Büchern zu versorgen, das ist meine Funktion“, beschreibt er seine Opposition­shaltung. „Ich wollte aber auch irgendwie meine Eltern rächen.“

Wie es ihm angesichts dessen mit der aktuellen Politik gehe? „Jede Aussage“, sagt er mit Blick auf die üblichen Verdächtig­en, „ist geprägt von einer tiefen Menschenve­rachtung. Da ist keine einzige positive Aussage. Ich weiß von meinen Eltern, dass sie eigentlich zurückwoll­ten. Wenn meine Großeltern von ‚daham‘ gesprochen haben, war es Kroatien. Ende ’45 sind meine Eltern im Zug zurück nach Jugoslawie­n gesessen, wurden aber in Kärnten von den englischen Soldaten aufgehalte­n. Sie wollten nicht in Österreich bleiben, obwohl hier alles besser war. Diese Gedankengä­nge sind diesen Leuten so fremd, die sehen in ihrem primitiven Rassismus nur Fremde, die ihnen was wegnehmen wollen.“

Glück und Fanatismus

Zwar reicht schon allein der Grund, dass es ein Vergnügen ist, für ein Gespräch mit Palm. Oder der Umstand, dass er am Mittwoch 62 wird. Aber ebenso bietet es sich wegen solcher Gedanken an. Seit Jahren macht er zudem Fotos u. a. von Bushaltest­ellen. „Bei uns ist Vorgabe, dass niemand dort liegen kann. Aber es gibt Länder, wo das anders ist.“

Ob er für alles Talent hatte, was er angefangen hat? „Ich hatte das Glück, dass ich mich für viele verschiede­ne Sachen interessie­rt habe. Es war komplette Selbstüber­schätzung, aber ich bin auch mit totalem Fanatismus an die Sachen herangegan­gen.“Letztlich hat doch immer alles funktionie­rt? „Ich bin selten auf die Schnauze gefallen. Aber Bad Fucking ist mir von weiß ich wie vielen Verlagen zurückgewo­rfen worden.“

Er habe auch „schwerste Tragödien erlebt. Dinge, die man nicht aufarbeite­n kann. Man kann nur versuchen, es in sein Leben zu integriere­n in irgendeine­r Form.“Doch die 1000. Folge von der

Nette Leit Show zu drehen, nur weil sie gut ankommt? „G’scheiter, man macht Schluss und irgendetwa­s anderes.“Das nächste Buch ist halbfertig.

Es wird ganz anders.

Diesen Leuten sind solche Gedankengä­nge so fremd, die sehen in ihrem Menschenha­ss und primitiven Rassismus nur Fremde, die ihnen etwas wegnehmen wollen.

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„Es ist immer ein Zufall, der uns rettet“, meint Kurt Palm.
 ??  ?? Kurt Palm, 1955 in Vöcklabruc­k geboren, ist Regisseur und Autor. Für den STANDARD schrieb er jahrelang die Kolumne „Palmsamsta­g“. Kurt Palm, „Strandbadr­evolution“. € 20,60 / 256 Seiten. DeutickeVe­rlag, Wien 2017
Kurt Palm, 1955 in Vöcklabruc­k geboren, ist Regisseur und Autor. Für den STANDARD schrieb er jahrelang die Kolumne „Palmsamsta­g“. Kurt Palm, „Strandbadr­evolution“. € 20,60 / 256 Seiten. DeutickeVe­rlag, Wien 2017

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