„Ich bin selten auf die Schnauze gefallen“
Vor kurzem ist Kurt Palms neuer Roman „Strandbadrevolution“erschienen. Am Mittwoch feiert der Autor und Regisseur seinen 62. Geburtstag. Grund genug, den heutigen Tag noch einmal zum „Palmsamstag“zu machen.
Andere mögen Blumen kaufen. Kurt Palm entschuldigt sich mit selbstgefangenen Forellen bei seinen Betreuerinnen vom Verlag. Im Gefühl, sie hätten bei der Veröffentlichung seines neuen Romans nicht genug getan, um jenen zu promoten, habe er sich „nicht nur beschwert, sondern fürchterlich aufgeregt. Sie haben gesagt, das Glas ist halbleer und wird immer voller, und ich habe gesagt, nein, es ist halbleer und wird immer leerer.“
Nicht nur das, was er erzählt, sagt etwas über Palm aus. Auch wie und dass er es überhaupt erzählt, tut das. Hochsympathisch zum einen, legt Palm sich andererseits ebenso gern an. „Nein. Ich würde mich nicht als eitel bezeichnen. Aber ich verstecke nicht, was ich mache. Es muss nicht gewürdigt werden, aber ich will, dass es wahrgenommen wird“, erklärt Palm die obige Szene. Dazu kommt, dass er sich „immer sofort persönlich angegriffen“fühle.
Wie dem auch sei, die Damen bei Deuticke hatten recht. Seit ein paar Wochen ist Strandbadrevolu
tion am Markt und „wirklich sehr, sehr erfolgreich“. Darin erzählt der Autor, Theatermacher und Filmregisseur vom Sommer 1972 in der österreichischen Provinz und ist überzeugt, dass dieser „nicht von der Bedeutung der Musik und den politischen Verhältnissen, aber von der Lebenssituation her für einen 17-Jährigen nicht anders war als ein Sommer heute“. 17 war er damals selbst. „Es ist in erster Linie Verunsicherung und Angst.“
Lebendig werden die 260 Seiten anhand einer Gruppe von Freunden zwischen Freibadflirt und politischen Störaktionen gegen das ländliche Establishment sowie eines Familienurlaubs. Die Nachprüfungen sind ja erst im Herbst. Die Langhaarigen sind Konsumverweigerer, Theoriefutter wird folgerichtig heimlich und gratis unter dem Sakko des Vaters aus dem Geschäft getragen. „Willst du den Adorno haben? – Nein, ich muss noch den Sartre lesen.“Über den „bürger“können sich die GitanesRaucher und Brecht-Interpreten in selbstverfassten Traktaten nur wundern, ist er doch „leicht zu regieren“, indem er „an stelle der macht die autorität“und „an stelle der verantwortung das abstim- mungsverfahren“gesetzt habe. F*ck the police!
Mit Witz, aber niemals nach dem Kalauer schielend erzählt Palm. Das Scheitern sei der Grundton. Es ist die Zeit, da Kinder arbeitender Mütter als verwahrlost gelten. Exotik sind Mädchen aus Düsseldorf und Oberwart, und sie haben noch Schamhaare. Die durchwegs guten Kritiken für das Buch machen ihn fast stutzig. Ist man eine Ikone, wenn keiner mehr etwas dagegen schreibt? „Ich fürchte fast.“
Bluna, Vietnamkrieg, Hochwasserhosen – alles drin. Manches ist autobiografisch. Etwa die kroatischen Wurzeln des Icherzählers, der eigentlich und natürlich Ernst heißt. Mick nennt er sich aber aus demselben Grund, aus dem einer seiner Freunde auf Hendrix hört. Seine Großmutter spricht gebrochenen Dialekt. „Soll i dir an Mogabitter bringa?“
1944 sind Palms Eltern vor dem Bürgerkrieg in Jugoslawien geflohen und nach Österreich gekommen – „staatenlos, arbeitslos, besitzlos, rechtlos. Als ich 1955 geboren wurde, hatten sie sich schon einigermaßen etabliert. Mein Vater war Arbeiter im Kraftwerk und nebenbei hat er Garagentore gemacht, meine Mutter war Hausfrau und Schneiderin, und ich weiß nicht, was noch alles. Aber sie waren Opfer der Verhältnisse. Sie hatten kein selbstbestimmtes Leben.“Das wollte er auf keinen Fall, und so sei ihm früh klar gewesen, dass „ich nie in ein Abhängigkeitsverhältnis kommen will, wenn ich arbeite“.
Schon als Ministrant in Vöcklabruck kannte Palm bei diesem Vorsatz kein Pardon. „Sehr getaugt“habe ihm diese „naive Ader“der Kirche, für die Armen da zu sein. Aber „dann habe ich mich mit den Pfarrern zerstritten.“So wurde er Kommunist. „Nicht weil ich Marx gelesen hätte, sondern weil ich mich umgehört habe, was die Leute am meisten hassen.“Sogar in der DDR hat er nach seiner Dissertation in Salzburg kurz gelebt.
Wenn Palm erzählt, glaubt man immer wieder, man sei in einem seiner Bücher oder Filme. So bunt bis kurios klingt es zuweilen. Man stelle sich etwa ein Wirtshaus vor und hänge hinter einen der Tische ein Bild von Lenin an die Wand: „Das war in Vöcklabruck das kommunistische Parteisekretariat. Da ist ein Herr gesessen, immer allein. Als wir gekommen sind, zehn Leute mit langen Haaren, ist er aus allen Wolken gefallen.“
Nostalgische Gefühle also? Nein, die will der Autor nicht in
Strandbadrevolution hineingelesen wissen. Zwar könne er niemandem sagen, wie er ein Buch zu lesen habe, aber „die Verklärung der Zeit ist ein Riesenfehler, denn in Wirklichkeit waren die Dinge doch ganz anders.“Die riesigen Hungersnöte in Afrika etwa – damals habe man es bloß zeitverzögert in der Zeitung gelesen oder im Fernsehen gesehen. „Heute hat man es halt sekundenschnell mit einem Klick im Schädel. Dadurch ist die Wahrnehmung anders.“
Trotzdem führt das Gespräch auch zu der Feststellung, dass viel einst möglich war, das heute nicht mehr ginge. „Subventionsmäßig haben wir alles ausgeschöpft, was es gab“, erinnert Palm sich an den Sparverein Die Unzertrennlichen, die Theatergruppe, die er ab 1989 zehn Jahre betrieben hat. Damals sei überall mehr Geld da gewesen. „Heute kommt der Staat seiner Aufgabe nicht mehr nach. Eigentlich müssten die Kulturschaffenden aufstehen. Aber es ist schwierig. Jeder schaut, dass er noch die Felle rettet, die ihm davonschwimmen.“Dass er sich vom Wiener Kulturapparat – „Seilschaften, Klüngel, Verhaberungen“– immer ferngehalten hat, darüber ist Palm noch heute froh: „Wenn du da reinkommst, bist du verloren, bist du einer von diesen Ärschen. Wenn ich ein Arsch bin, will ich aber allein einer sein. Ein einzelner, singulärer Arsch.“
„Ich war immer aufseiten der qualifizierten Miniminiminderheit. Diese mit Theaterstücken, Filmen, Texten, Büchern zu versorgen, das ist meine Funktion“, beschreibt er seine Oppositionshaltung. „Ich wollte aber auch irgendwie meine Eltern rächen.“
Wie es ihm angesichts dessen mit der aktuellen Politik gehe? „Jede Aussage“, sagt er mit Blick auf die üblichen Verdächtigen, „ist geprägt von einer tiefen Menschenverachtung. Da ist keine einzige positive Aussage. Ich weiß von meinen Eltern, dass sie eigentlich zurückwollten. Wenn meine Großeltern von ‚daham‘ gesprochen haben, war es Kroatien. Ende ’45 sind meine Eltern im Zug zurück nach Jugoslawien gesessen, wurden aber in Kärnten von den englischen Soldaten aufgehalten. Sie wollten nicht in Österreich bleiben, obwohl hier alles besser war. Diese Gedankengänge sind diesen Leuten so fremd, die sehen in ihrem primitiven Rassismus nur Fremde, die ihnen was wegnehmen wollen.“
Glück und Fanatismus
Zwar reicht schon allein der Grund, dass es ein Vergnügen ist, für ein Gespräch mit Palm. Oder der Umstand, dass er am Mittwoch 62 wird. Aber ebenso bietet es sich wegen solcher Gedanken an. Seit Jahren macht er zudem Fotos u. a. von Bushaltestellen. „Bei uns ist Vorgabe, dass niemand dort liegen kann. Aber es gibt Länder, wo das anders ist.“
Ob er für alles Talent hatte, was er angefangen hat? „Ich hatte das Glück, dass ich mich für viele verschiedene Sachen interessiert habe. Es war komplette Selbstüberschätzung, aber ich bin auch mit totalem Fanatismus an die Sachen herangegangen.“Letztlich hat doch immer alles funktioniert? „Ich bin selten auf die Schnauze gefallen. Aber Bad Fucking ist mir von weiß ich wie vielen Verlagen zurückgeworfen worden.“
Er habe auch „schwerste Tragödien erlebt. Dinge, die man nicht aufarbeiten kann. Man kann nur versuchen, es in sein Leben zu integrieren in irgendeiner Form.“Doch die 1000. Folge von der
Nette Leit Show zu drehen, nur weil sie gut ankommt? „G’scheiter, man macht Schluss und irgendetwas anderes.“Das nächste Buch ist halbfertig.
Es wird ganz anders.
Diesen Leuten sind solche Gedankengänge so fremd, die sehen in ihrem Menschenhass und primitiven Rassismus nur Fremde, die ihnen etwas wegnehmen wollen.