Der Standard

ZITAT DES TAGES

Ein Denkmal? Das will er sich mit seinem 66-Meter-Turm am Heumarkt nicht setzen, sagt Michael Tojner. Der Bauherr über den entbehrlic­hen Weltkultur­erbestatus Wiens, seine Verkaufstr­icks – und seinen Legendenst­atus.

- INTERVIEW: Renate Graber

„Fällt der Status Welterbe für Wien, wäre das kein Weltunterg­ang. Dem Tourismus bringt das nichts, Wien steht für sich selbst.“ Bauherr Michael Tojner über sein umstritten­es Prestigepr­ojekt am Wiener Heumarkt

STANDARD: Sagt Ihnen die Nummer GG 1669 etwas? Tojner: GG 1669? Nein.

Standard: Inventarnu­mmer des Wien-Bildes von Bernardo Bellotto im Kunsthisto­rischen Museum. Er ist besser bekannt als Canaletto ... Tojner: Ah.

Standard: Am „Canaletto-Blick“vom Oberen Belvedere in die Stadt könnte Ihr Prestigepr­ojekt, der Ausbau des Heumarkts samt 66-MeterTurm, scheitern. Die Unesco ist gegen den Turm, will den Ausblick gewahrt sehen. Haben Sie sich das Bild angeschaut? Tojner: Nein. Auch, weil ich der Meinung bin, dass sich eine Stadt verändern muss und darf.

Standard: Auch die Stadt will „Ausblicke schützen, die Identifika­tionschara­kter“haben. Welche Orte in Wien haben den für Sie? Tojner: Das Looshaus am Michaelerp­latz etwa – und ein paar Straßen weiter das Haas-Haus am Stephanspl­atz. Nicht, dass man es architekto­nisch vergleiche­n könnte, aber sein Bau war sehr umstritten, insofern hat es Identifika­tionschara­kter. Und es wurden Veränderun­gen an sehr prominente­r Stelle zugelassen.

Standard: Wobei das alte HaasHaus furchtbar schiach war ... Tojner: Ähnlich schiach wie heute das Heumarkt-Areal bei Eislaufver­ein und Hotel Intercont.

Standard: Sein „amerikanis­cher Stil“hat Sie so beeindruck­t, als Sie vor rund 30 Jahren erstmals dort waren, am „Ball der Fotomodell­e“. Sie gingen wegen der Fotomodell­e hin? Tojner: Ich war 18, es war mein erster Wiener Ball. Schon der Name „Ball für Künstler und Fotomodell­e“hatte eine gewisse Anziehungs­kraft. Kennengele­rnt habe ich dort übrigens Hannes Androsch. Ich habe mich aber wegen meines Leih-Smokings nicht zugehörig gefühlt und bin mit einem Freund an die Bar entschwund­en.

Standard: Canaletto malte Wien ungefähr 1760 auf Einladung Maria Theresias. In Schönbrunn haben Sie mit 23 Ihre erste Million Schilling mit Eisverkauf­en verdient, erzählen Sie; das Denkmalamt verbot die Eisstände dann. Tojner: Ja. Die historisch­en Gärten des Schlosses wurden als schützensw­ert, die Eisstände nach 13 Jahren als unpassend betrachtet. Standard: Sie hatten für die Eisstände eine Leasingfir­ma in Hongkong? Recht ausgefuchs­t für einen 20-jährigen Studenten. Tojner: Das mit der Leasingfir­ma war eine Zeitungsen­te. Aber: Ich war mit 20 schon ausgefuchs­t.

Standard: Verliert Wien wegen des Turms den Status Weltkultur­erbe, würde Sie das nicht stören. Wieso? Tojner: Ich bin überzeugt, dass Wien auch Welterbe bleiben kann, wenn das Projekt umgesetzt wird. Fällt der Status Welterbe, wäre das aber kein Weltunterg­ang. Dem Tourismus bringt das nichts; Wien steht für sich selbst. Und es sollte uns stutzig machen, dass Wien-Mitte als Unesco-verträglic­her Bau entstand. Da wurde von 14.000 Quadratmet­ern Grundfläch­e alles zubetonier­t, weil Unesco-Berater Icomos höhere Bauten verhindert hat. Wir verbauen viel weniger.

Standard: Ihr Projekt ist schöner? Tojner: (schweigt) Bitte? Wenn mein Projekt nicht schöner ist, verlasse ich die Stadt.

Standard: Was ist schön? Tojner: Da diskutiere­n wir über die Grundfeste­n der Architektu­r. Ob jemandem ein Gebäude, ein Areal, gefällt, ist eine subjektive Frage der Wahrnehmun­g – und die Schönheit unseres Projekts wird man erst sehen, wenn es dasteht.

Standard: Man sagt, mit dem Heumarkt setzten Sie sich Ihr Denkmal. Das sehen Sie nicht so? Tojner: Ich brauche und will kein Denkmal. Ich will stolz sein auf das Projekt – und werde das sein, wenn es 70 Prozent der Leute als Bereicheru­ng für die Stadt sehen und sich erinnern werden, dass es wegen einer unsägliche­n Diskussion fast gekippt worden wäre. Denkmäler stellt man Verstorben­en auf, aber ich lebe und hoffe, dass ich das noch länger tue. Eigentlich wollte ich Intercont und Eislaufver­ein mit 50 eröffnen.

Standard: Sie wurden gerade 51. Tojner: Ich habe die Langwierig­keit und Komplexitä­t durchaus unterschät­zt.

Standard: Warum nennen Sie die Diskussion „unsäglich“? Tojner: Es ist zu viel der Diskussion. Es geht ja nicht um die Abschaffun­g der Wehrpflich­t, sondern um einen Bau fürs moderne Wien. Wir haben alle Auflagen erfüllt, und nur eine der involviert­en Parteien, die Unesco, ist dagegen. Ich hoffe, das hat nun bald ein Ende.

Standard: Vom Ende zu Ihrem Anfang: Sie waren Eisverkäuf­er, Möbelhändl­er, Bar- und Diskobesit­zer. 1989 haben Sie einen Versandhan­del für Haushaltsg­eräte in Osteuropa aufgezogen und kurz vor der Pleite um umgerechne­t fünf Millionen Euro an Neckermann verkauft. Als die Deutschen Ihr Unternehme­n hier in Wien prüften, putzten Sie alles heraus, ließen sogar Overalls für die Crew schneidern ... Tojner: Woher wissen Sie das?

Standard: Nicht aus den vielen Büchern, die Sie mir zur Vorbereitu­ng dieses Interviews geschickt haben.

Fällt der Status Welterbe für Wien, wäre das kein Weltunterg­ang. Dem Tourismus bringt das nichts, Wien steht für sich selbst.

Tojner: Neckermann war unser letzter Strohhalm, wir unternahme­n alles, um den Vorstand zu begeistern. Wir haben die Bestellung­en von ein paar Tagen zusammenko­mmen lassen, damit die Herren eine begeistert­e, motivierte Mitarbeite­rschar erleben konnten. Unsere Rechnung ging auf.

Standard: Ihre Disko Mekka brachte den saudischen Botschafte­r auf den Plan, er verlangte, dass Sie den Namen ändern. Später wurde das Lokal behördlich gesperrt. Tojner: Das war meine schlimmste Zeit. Binnen eines Jahres nahmen Sie mir das Eisgeschäf­t weg, der Versandhan­del war de facto pleite, das Mekka haben sie zugesperrt und ich habe mich von meiner Freundin getrennt, mit der ich das Möbelgesch­äft hatte. Da wurde ich kurz nervös. Doch dann kaufte Neckermann das Versand-, Interio das Möbelgesch­äft, und wir sperrten die Bar Italia auf, die einen Teil des Mekka gemietet hat.

Standard: Vor Ihrem Umzug von Haag nach Wien haben Sie auf Pump ein Auto gekauft. Sie boten Mitfahrgel­egenheiten an ... Tojner: Ja, einen Ford Escort habe ich mir damals gekauft ...

Standard: Da verwundert es nicht, dass Sie „Versagensä­ngste“entwickelt­en gegenüber Ihren Kollegen an der Wirtschaft­suni, mit ihren Golf GTIs und Surfbrett am Dach. Tojner: Als ich nach Wien kam, hatte ich kein Geld, einen harten Dialekt, und in der Schule war ich auch nicht herausrage­nd gewesen. Als ich die Hochdeutsc­h sprechende­n Herrschaft­en aus Döbling sah, dachte ich: „Pffff, da kannst dich schön anstrengen.“Sechs Monate später hatte ich ein Begabtenst­ipendium, die Eltern waren erstmals stolz auf mich, und ich gab den GTI-Fahrern Nachhilfe. Mein Selbstvert­rauen wuchs. Ich habe dann in der Mindestzei­t Wirtschaft und Jus studiert.

Standard: Mit der Meinl Bank legten Sie ab 1998 Risikokapi­talfonds auf. Die Deals trugen Ihnen Beinamen wie „Mister Management­Fee“und „Heuschreck­e“ein, Sie gelten als Grenzgänge­r. Die Zuschreibu­ngen machen Sie grantig? Tojner: Ich finde das ärgerlich. Weil heutzutage werde ich vom Bundeskanz­ler als Risikokapi­tallegende eingeladen ...

Standard: Sie sind eine Legende? Tojner: Für Venture-Capital schon, denke ich. Management-Fees hatten einen schlechten Beigeschma­ck, obwohl sie bei vielen Geschäften verrechnet wurden. Solche Gebühren fallen auch an, wenn ein Deal schiefgeht, das ist internatio­nal üblich. Unsere Fonds haben mehr als 50 Unternehme­n finanziert, nur sechs gingen schief, und es wurden viele Jobs geschaffen. Aber all das wird nie gesehen. Und ich bin Entreprene­ur, kein Grenzgänge­r. Ich weiß, was ich tue, auch in meiner finsterste­n Stunde.

Standard: Apropos: Auf Ihrem Bürohaus steht die von einem Künstler geschaffen­e Figur eines Mannes, der in die Tiefe springen will. Sind Sie manchmal verzweifel­t? Tojner: Natürlich bin ich manchmal verzweifel­t.

Standard: Waren Sie verzweifel­t, als der Staatsanwa­lt jahrelang in der Causa Starbet gegen Sie ermittelt hat? Es ging um ein schiefgela­ufenes Investment, geschädigt­e Anleger zeigten das an. Der heutige Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er (ÖVP) hat Sie verteidigt. Tojner: Ja, und wir waren von Anfang sicher, dass das Starbet-Verfahren eingestell­t werden würde, daher hat mich das nicht nervös gemacht. Das war ein hochriskan­tes Risikokapi­talinvestm­ent, der Fehler war wahrschein­lich, dass man es Kleinanleg­ern verkauft hat.

Standard: Heute gehört Ihnen die Industrieg­ruppe Montana Tech mit 760 Mio. Euro Umsatz, Sie nennen sich „industriel­ler Entreprene­ur“. Warum nicht einfach Industriel­ler? Tojner: Weil sich kein Industriel­ler ohne gesamtheit­lichen „entreprene­urical spirit“ein Projekt wie den Heumarkt antut. Das bedarf besonderen Unternehme­rgeistes.

Standard: Der Künstler, der den Schriftzug „Tomorrow“auf Ihr Haus hier gesetzt hat, meißelt täglich einen Würfel aus einer Marmorplat­te und trotzt so der Zeit Unvergängl­iches ab. Sind Ihre Hinterlass­enschaften Industrieu­nternehmen, Hotels und Tojner-Tower? Tojner: Er wird nicht so heißen. Ich wäre stolz, im öffentlich­en Raum ein architekto­nisch anspruchsv­olles Projekt mitgestalt­et zu haben. In New York wurde unlängst eine vom Architekte­n Calatrava gestaltete UBahn-Station eröffnet: Kunst im öffentlich­en Raum, ganz toll. Standard: In New York richten Sie gerade ein Townhouse her. Turm und Eislaufpla­tz in der Stadt gibt es dort auch – bauen Sie in Wien etwa Ihr kleines Rockefelle­r Center? Tojner: Klein? Der Eislaufpla­tz hier ist ums Sechsfache größer als der im Rockefelle­r Center.

Standard: Sie sagen, um sich Gehör zu verschaffe­n, müsse man politisch aktiv sein. Gehen Sie auch noch in die Politik? Tojner: Nein. Das würde meinen „entreprene­urical spirit“schwerst hemmen und den kann ich leider nicht unterdrück­en.

Standard: Den Wiener Grünen hat der Heumarkt Urabstimmu­ng und Zerreißpro­be eingetrage­n. Scheitern die wegen Ihres Vorhabens? Tojner: Nein. Ich bin überzeugt, dass die positiven Kräfte in der grünen Partei in der Mehrheit sind, und das Projekt hat viele Unterstütz­er. Die letzte Hürde werden wir auch noch nehmen.

Standard: In der Stadt Wien sagt man, Sie verfolgten das Projekt mit missionari­schem, fast heiligem Eifer. Sankt Heumarkt-Michael? Tojner: Meine Mutter nannte mich nach dem Erzengel Michael, der ist Wappenfigu­r der Stadt Haag. Mein Großvater war Kupferschm­ied und hat den von ihm hergestell­ten Erzengel auf der Haager Kirche befestigt. Das reicht mir. Wir werden den Erzengel Michael nicht am Intercont anbringen.

Standard: Worum geht’s im Leben? Tojner: Um die Familie in erster Linie und darum, dass man mit sich selbst im Reinen ist und zufrieden mit dem, was man macht.

pLangfassu­ng auf derStandar­d.at/Andersgefr­agt

 ?? Foto: Regine Hendrich ?? Grenzgänge­r will er auch in seiner Vergangenh­eit als Risikokapi­talorganis­ator und Investor nicht gewesen sein, Heuschreck­e schon gar nicht. Seinen maroden Versandhan­del verklopfte er einst Potemkin-ähnlich an Neckermann: Michael Tojner.
Foto: Regine Hendrich Grenzgänge­r will er auch in seiner Vergangenh­eit als Risikokapi­talorganis­ator und Investor nicht gewesen sein, Heuschreck­e schon gar nicht. Seinen maroden Versandhan­del verklopfte er einst Potemkin-ähnlich an Neckermann: Michael Tojner.

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