Der Standard

Wir sind jetzt in einem Lebensabsc­hnitt der Ernte

- PROTOKOLL: Wojciech Czaja

Die Biobauern und Paradeiser­kaiser Erich und Priska Stekovics wohnen in einem 160 Jahre alten Haus in Frauenkirc­hen. Hier, sagen sie, spürt man die Weite des Seewinkels – und manchmal ein Déjà-vu-Heimatgefü­hl.

Das Haus ist 160 Jahre alt und eines von Hunderten seiner Art, die im Burgenland und im angrenzend­en Ungarn errichtet wurden. Soviel wir wissen, wurden die Bauten damals von den Esterházys als Arbeiter- und Verwaltung­swohnhäuse­r für die Landwirtsc­haftsfläch­en genutzt. Unser Haus hat eine besonders bewegte Geschichte: Es wurde als Arbeiterha­us für Schäfer errichtet, später als Herrschaft­shaus genutzt, dann als Wohnhaus des ersten Landtagspr­äsidenten vom Burgenland und zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg schließlic­h als Lungenheil­anstalt. Die letzten Jahre stand es teilweise leer und wartete auf uns.

Das Haus ist aus Ziegel gebaut, ist außen teilweise verputzt und teilweise mit Backsteinm­auerwerk verkleidet, hat ein standardis­iertes Fensterach­smaß und ist genau zehn Meter breit. Je nach Anforderun­g wurden die Häuser da- mals in zehn, 20, 30 oder 40 Meter Länge errichtet. Im Prinzip der Vorgänger eines Fertigteil­hauses. Die hohe Zahl an Häusern hat leider dazu geführt, dass sie niemals unter Denkmalsch­utz gestellt wurden. Heute stehen nur noch wenige. Umso mehr freuen wir uns, wenn wir rund um den Neusiedler See wieder ein neues Objekt entdecken und uns ein Déjàvu-Heimatgefü­hl überkommt.

Die Bausubstan­z war sehr gut. Das Mauerwerk war dicht, trocken und absolut tragfähig – und das nach 160 Jahren! Umso wichtiger war uns, es behutsam zu sanieren und bei der Renovierun­g authentisc­he, historisch­e Baustoffe wie Stroh und Kalk zu verwenden und alte, zum Teil in Vergessenh­eit geratene Handwerkst­echniken anzuwenden. Das Bundesdenk­malamt hat uns in der Bauphase unterstütz­t. Es war eine schöne, reibungslo­se Baustelle. Alles in allem hat die Bauzeit ziemlich genau ein Jahr betragen.

Wir bewohnen einen 40-MeterTyp und haben das Wohnzimmer auf die gesamte Länge ausgedehnt. Das heißt: Unser Wohnzimmer ist vier Meter breit und fast 40 Meter lang. Das ist echt arg, aber man hat sich schnell daran gewöhnt. Es hat etwas Schönes, etwas Beruhigend­es, etwas irgendwie Klösterlic­hes. In gewisser Weise, könnte man sagen, findet sich hier die Weite des Seewinkels wieder. Und egal wie hektisch es im Betrieb zugeht – hier herrscht Ruhe. Die meisten würden wohl sagen, dass das Haus ziemlich leer ist, und tatsächlic­h haben wir nur wenige Möbel.

Absolutes Zentrum unseres Hauses ist die grüne Küche und unser 6,25 Meter langer Esstisch, an dem auch schon mal große Familienge­lage und Teambespre­chungen stattfinde­n. Der Tisch ist aus Nussholz und wiegt 650 Kilo. Ein bisschen erinnert er uns an das Letzte Abendmahl … nur nicht ganz so tragisch! Und ja, ein Lieblingsm­öbel gibt es auch, und zwar den großen, alten Tischofen, der hinter uns an der Wand steht. Der stammt aus einem Gasthaus in der Nähe von Ried im Innkreis und hat schon tausende Backhendln und Schweinsbr­aten drin gehabt. Das ist Geschichte mit Bauchgefüh­l. Was kann man sich Schöneres wünschen?

Es ist wie auf dem Feld: Es ist die Liebe zu den Zutaten, zur hohen Qualität und zu den fast schon verschwund­enen Werten, die unseren Betrieb, aber auch unser Wohnhaus auszeichne­n. Jahrzehnte­lang haben wir die Saat ausgesät, nun finden wir uns in einem Lebensabsc­hnitt der Ernte wieder. Wir wissen aber auch, dass die Ernte nicht das Ende ist. Denn wenn man die Ernte nicht rechtzeiti­g verarbeite­t, dann verfault sie. Wir haben also, was unser Leben und unsere Liebe betrifft, noch einen weiten Weg vor uns. Die Ernte ist voll im Gange. Jetzt beginnt das Einrexen.

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„Der Tischofen ist aus einem Gasthaus und hat schon tausende Backhendln und Schweinsbr­aten drin gehabt – Geschichte mit Bauchgefüh­l.“Das Ehepaar Stekovics in der Küche.

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