„Die Verunsicherung, das ist das größte Gift“
Die Eurogruppe hat auf Malta den ewigen Streit mit Griechenland über Reformen beendet. Laut Finanzminister Hans Jörg Schelling ist die Kreditfinanzierung sicher, notfalls auch ohne Währungsfonds.
Standard: Zum ersten Mal seit den ersten Nothilfen vor sieben Jahren war der Ton zu Griechenland auf Malta sehr entspannt. Warum? Schelling: Wir haben mit dem dritten Hilfsprogramm begonnen, das System umzustellen. Das hat dazu geführt, dass man konstruktiver miteinander umgehen kann. Zwei Faktoren sind entscheidend: Zahlungen werden an ein „Frontloading“geknüpft, die griechische Regierung muss zuerst Maßnahmen liefern, Gesetze beschließen, bekommt erst dann das Geld. Das wird von allen akzeptiert.
Standard: Und der zweite Aspekt? Schelling: Die handelnden Personen. Es ist mit dem neuen Finanzminister Euklid Tsakalotos auch in der Sache hart weitergegangen, aber im Umgang ist er viel verbindlicher und freundlicher. Früher war mit ein Handicap, dass von seinem Vorgänger Yanis Varoufakis immer wieder Provokationen gekommen sind. Der hat den Eindruck erweckt, als sei Griechenland das Opfer und wir die Täter. Das war ganz schlecht.
Standard: Wie stark spielt der Umstand eine Rolle, dass es wirtschaftlich in der Eurozone aufwärts geht? Schelling: Wenn in der gesamten Eurozone wieder eine positivere Stimmung da ist, Wachstum da ist, die Arbeitslosigkeit zurückgeht, dann tut man sich auch etwas leichter, die Dinge offensiver anzugehen. Es zeigt sich, dass die Maßnahmen gegriffen haben. Die griechische Wirtschaft hat zum Beispiel aus den Fonds etwa zehn Milliarden Euro bekommen, da ist doch klar, dass ein Teil des Wachstums im Land darauf zurückzuführen ist. Mittel- und langfristig wird es nur über das Wachstum funktionieren, Griechenland wieder herauszuholen.
Standard: Laut Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem war 2016 das Wachstum gut, brach aber wieder ein. Die Erholung eine Täuschung? Schelling: Es gab 2016 ein Wachstum über den Erwartungen, jetzt ist man in Athen gemäß der Vorausschau im Plan, auch budgetär. Natürlich hätte man sich mehr gewünscht, aber wenn es so verläuft wie jetzt, ist das ein gutes Signal. All diese Diskussionen über die Programme und Zahlungen führten zu Verunsicherung. Das ist das größte Gift für Wachstum. Daher sollten wir alles dransetzen, im Mai zu dieser Gesamtvereinbarung zu kommen.
Standard: Wird das Geld vor Sommer also fließen? Schelling: Der Prozess ist sehr klar. Es gibt die politische Vereinbarung von Malta, die steht jetzt im Prinzip. Dann kommt die Vereinbarung auf Expertenebene, eine technische Vereinbarung, wie das Programm umzusetzen ist. Das kommt dann im Mai zurück auf die Ministerebene, wir fassen die notwendigen Beschlüsse, die werden an den ESM weitergegeben, der gibt dann die Zahlungen frei. Man muss die Zahlungen dann so strukturieren, dass man bis Jahresende keine Probleme mehr hat.
Standard: Ein Großteil von sieben Milliarden Euro dient Umschuldungen von Verbindlichkeiten. Schelling: Es ist immer wichtig, dass Umschichtungen von Verpflichtungen erfolgen, weil das sonst technisch ein Default wäre. Es ist auch wichtig, dass die griechische Regierung ihre Schulden an die Unternehmen zahlt. Sobald die bezahlt werden, können die Unternehmen wieder liefern.
Standard: Ungelöst ist die Frage des Schuldenschnitts bzw. der Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (IWF) am Programm. Die Lösung? Schelling: Ein Schuldenschnitt wird von uns nicht angedacht. Diese Forderung des IWF ist für die Eurofinanzminister nicht tragbar. Der Währungsfonds wird jetzt aufgrund der neuen Maßnahmen eine neue Analyse der Schuldentragfähigkeit vorlegen müssen, und dann wird man sich das anschauen. Man sollte nicht vergessen, dass wir beim Schulden-Reprofiling schon einiges gemacht haben. Es wurden die Laufzeiten der Kredite verlängert, die Rückzahlungsverpflichtungen verlängert, die Zinsen wurden gesenkt. Am teuersten finanziert man über den IWF. Nicht zu akzeptieren ist, dass der IWF Forderungen stellt, und wenn alles erfüllt ist, noch weitere Forderungen draufsetzt.
Das Land wäre gut beraten, die gesellschaftlichen Spaltungen zu überwinden, Gräben zuzuschütten.
Standard: Wozu sollte man eine weitere Umschuldung machen? Schelling: Es würde Griechenland nicht viel bringen. Denn schon jetzt zahlen sie aufgrund der langen Laufzeiten und niedrigen Zinsen fast nichts zurück. Und selbst wenn man Schulden kappt, nützt das dem Budgetvollzug nichts.
Standard: Wie wichtig ist die Beteiligung des IWF? Schelling: Die finanzielle Beteiligung des IWF ist als Signal wichtig. Aber es gibt zum Zweiten das Know-how, das der IWF bei der Sanierung von Ländern hat. Deshalb war es der gemeinsame Wunsch der Finanzminister, dass der Währungsfonds an Bord bleibt. Sollte sich der IWF anders entscheiden, dann werden wir eine andere Lösung dafür finden. Rein aus der finanziellen Tragfähigkeit heraus ist es egal.
Standard: 2014 hat es schon einmal gut ausgesehen, dann kamen Neuwahlen und der Absturz. Schelling: Das Land wäre gut beraten, die gesellschaftlichen Spaltungen zu überwinden, die Gräben zuzuschütten, um das Land wieder nach vorn zu bringen. Ich würde ja noch einen Schritt weitergehen. Man sollte sich fragen, ob man nicht über die Europäische Investmentbank (EIB), vielleicht auch mit dem ESM, ein großes Investitionsprogramm startet, mit fünf großen Projekten, um einen zusätzlichen Schub zu kriegen. Ein Beispiel ist, dass das Land Energie importiert, obwohl es ausreichend über Sonne und Wind verfügt. Dazu wäre ein Projekt zu starten, indem man versucht, Investoren zu kriegen, die in solche Zukunftstechnologien investieren, die ein Windkraftwerk bauen, um von Energieimporten unabhängiger zu sein. Standard: Projekte, die den griechischen Haushalt nicht belasten? Schelling: Es könnte so sein, dass das nicht griechische, sondern andere Investoren sind. Man könnte eine solche Initiative im Rahmen der Eurogruppe setzen. Ich höre, dass es einen deutschen Investor gibt, der gern einen Windpark gebaut hätte, aber an behördlichen Genehmigungen gescheitert ist.
Standard: Von welchen Investitionsvolumina sprechen wir da? Schelling: Ich würde einmal für solche Projekte eine Größenordnung von einer Milliarde Euro definieren, dafür muss man fünf Projekte finden, die EIB könnte das finanzieren. Nur wenn in Griechenland Strukturen hergestellt werden, ist langfristig sichergestellt, dass das Land zurück auf die Spur kommt, kapitalmarktfähig wird.
Standard: Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem steht zur Disposition. Er ist wegen flapsiger Bemerkungen unter Beschuss, muss ohnehin bald aufhören, weil er nicht mehr lange niederländischer Finanzminister sein wird mit der neuen Regierung. Warum beginnt man nicht die geordnete Übergabe? Schelling: Die Eurogruppe hat klar festgehalten, solange er Finanzminister ist, bleibt er auch Chef der Eurogruppe. Er bleibt im Amt, bis er nicht mehr Finanzminister ist. Das kann im Sommer sein oder später. Unbestritten ist auch, dass Dijsselbloems Mandat im Jänner 2018 ausläuft. Es gibt nur eine Regelung, wie man Eurogruppenchef werden kann: Man muss Finanzminister sein. Es gibt aber keine Regelung, was ist, wenn jemand schon Eurogruppenchef ist und dann als Finanzminister seines Landes ausscheidet. Ich glaube, dass Dijsselbloem selbst sagen wird, wenn er nicht mehr Finanzminister ist, legt er auch die Funktion als Chef der Eurogruppe zurück. Dann wird die Diskussion losgehen, wie wir vorgehen.
Standard: Europas Sozialdemokraten wollen, dass der Posten wie- der ihnen zufällt, weil die Volkspartei die meisten EU-Spitzenjobs besetzt. Kommt ein SP-Politiker? Schelling: Die Zusammenarbeit in der Eurogruppe ist kaum parteipolitisch oder ideologisch geprägt. Wir werden einen Weg suchen zu sagen, wer die Eurogruppe am besten repräsentiert, wer hat international Erfahrungen.
Standard: Als Favorit gilt der Spanier Luis de Guindos, der aber offiziell kein Kandidat sein will. Er möchte offenbar gebeten werden. Schelling: Er hat beim letzten Mal kandidiert und ganz knapp gegen Dijsselbloem verloren. Wenn de Guindos kandidiert, hat er beste Aussichten.
Standard: Wie sieht das bei Ihnen aus, denken Sie darüber nach, dass Sie zum Zug kommen könnten? Schelling: Wenn die Dinge auf mich zukommen, bin ich bereit darüber nachzudenken, wenn nicht, wäre es schade um die Zeit.
Standard: Ablehnen würden Sie das aber nicht? Schelling: Das kann man heute noch nicht sagen. Das würde bedeuten, dass man viele Dinge umorganisieren muss. Ich bin seit Hannes Androsch, glaube ich, der erste Finanzminister, der keinen Staatssekretär hat. Ich habe das größte Arbeitsprogramm aller Minister, bin zwei Tage im Monat in Brüssel, muss zu den Sitzungen nach Washington, habe viele Ausschüsse im Parlament zu betreuen. Ganz so einfach wäre es nicht zu sagen, das mache ich schon. Ich stehe mit allen Finanzministern in engem Kontakt, mit dem französischen ebenso wie mit dem italienischen und dem deutschen. Wir, Österreich, sind bei den Partnern sehr akzeptiert.