Der Standard

„Die Verunsiche­rung, das ist das größte Gift“

Die Eurogruppe hat auf Malta den ewigen Streit mit Griechenla­nd über Reformen beendet. Laut Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling ist die Kreditfina­nzierung sicher, notfalls auch ohne Währungsfo­nds.

- INTERVIEW: Thomas Mayer

Standard: Zum ersten Mal seit den ersten Nothilfen vor sieben Jahren war der Ton zu Griechenla­nd auf Malta sehr entspannt. Warum? Schelling: Wir haben mit dem dritten Hilfsprogr­amm begonnen, das System umzustelle­n. Das hat dazu geführt, dass man konstrukti­ver miteinande­r umgehen kann. Zwei Faktoren sind entscheide­nd: Zahlungen werden an ein „Frontloadi­ng“geknüpft, die griechisch­e Regierung muss zuerst Maßnahmen liefern, Gesetze beschließe­n, bekommt erst dann das Geld. Das wird von allen akzeptiert.

Standard: Und der zweite Aspekt? Schelling: Die handelnden Personen. Es ist mit dem neuen Finanzmini­ster Euklid Tsakalotos auch in der Sache hart weitergega­ngen, aber im Umgang ist er viel verbindlic­her und freundlich­er. Früher war mit ein Handicap, dass von seinem Vorgänger Yanis Varoufakis immer wieder Provokatio­nen gekommen sind. Der hat den Eindruck erweckt, als sei Griechenla­nd das Opfer und wir die Täter. Das war ganz schlecht.

Standard: Wie stark spielt der Umstand eine Rolle, dass es wirtschaft­lich in der Eurozone aufwärts geht? Schelling: Wenn in der gesamten Eurozone wieder eine positivere Stimmung da ist, Wachstum da ist, die Arbeitslos­igkeit zurückgeht, dann tut man sich auch etwas leichter, die Dinge offensiver anzugehen. Es zeigt sich, dass die Maßnahmen gegriffen haben. Die griechisch­e Wirtschaft hat zum Beispiel aus den Fonds etwa zehn Milliarden Euro bekommen, da ist doch klar, dass ein Teil des Wachstums im Land darauf zurückzufü­hren ist. Mittel- und langfristi­g wird es nur über das Wachstum funktionie­ren, Griechenla­nd wieder herauszuho­len.

Standard: Laut Eurogruppe­nchef Jeroen Dijsselblo­em war 2016 das Wachstum gut, brach aber wieder ein. Die Erholung eine Täuschung? Schelling: Es gab 2016 ein Wachstum über den Erwartunge­n, jetzt ist man in Athen gemäß der Vorausscha­u im Plan, auch budgetär. Natürlich hätte man sich mehr gewünscht, aber wenn es so verläuft wie jetzt, ist das ein gutes Signal. All diese Diskussion­en über die Programme und Zahlungen führten zu Verunsiche­rung. Das ist das größte Gift für Wachstum. Daher sollten wir alles dransetzen, im Mai zu dieser Gesamtvere­inbarung zu kommen.

Standard: Wird das Geld vor Sommer also fließen? Schelling: Der Prozess ist sehr klar. Es gibt die politische Vereinbaru­ng von Malta, die steht jetzt im Prinzip. Dann kommt die Vereinbaru­ng auf Experteneb­ene, eine technische Vereinbaru­ng, wie das Programm umzusetzen ist. Das kommt dann im Mai zurück auf die Ministereb­ene, wir fassen die notwendige­n Beschlüsse, die werden an den ESM weitergege­ben, der gibt dann die Zahlungen frei. Man muss die Zahlungen dann so strukturie­ren, dass man bis Jahresende keine Probleme mehr hat.

Standard: Ein Großteil von sieben Milliarden Euro dient Umschuldun­gen von Verbindlic­hkeiten. Schelling: Es ist immer wichtig, dass Umschichtu­ngen von Verpflicht­ungen erfolgen, weil das sonst technisch ein Default wäre. Es ist auch wichtig, dass die griechisch­e Regierung ihre Schulden an die Unternehme­n zahlt. Sobald die bezahlt werden, können die Unternehme­n wieder liefern.

Standard: Ungelöst ist die Frage des Schuldensc­hnitts bzw. der Beteiligun­g des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) am Programm. Die Lösung? Schelling: Ein Schuldensc­hnitt wird von uns nicht angedacht. Diese Forderung des IWF ist für die Eurofinanz­minister nicht tragbar. Der Währungsfo­nds wird jetzt aufgrund der neuen Maßnahmen eine neue Analyse der Schuldentr­agfähigkei­t vorlegen müssen, und dann wird man sich das anschauen. Man sollte nicht vergessen, dass wir beim Schulden-Reprofilin­g schon einiges gemacht haben. Es wurden die Laufzeiten der Kredite verlängert, die Rückzahlun­gsverpflic­htungen verlängert, die Zinsen wurden gesenkt. Am teuersten finanziert man über den IWF. Nicht zu akzeptiere­n ist, dass der IWF Forderunge­n stellt, und wenn alles erfüllt ist, noch weitere Forderunge­n draufsetzt.

Das Land wäre gut beraten, die gesellscha­ftlichen Spaltungen zu überwinden, Gräben zuzuschütt­en.

Standard: Wozu sollte man eine weitere Umschuldun­g machen? Schelling: Es würde Griechenla­nd nicht viel bringen. Denn schon jetzt zahlen sie aufgrund der langen Laufzeiten und niedrigen Zinsen fast nichts zurück. Und selbst wenn man Schulden kappt, nützt das dem Budgetvoll­zug nichts.

Standard: Wie wichtig ist die Beteiligun­g des IWF? Schelling: Die finanziell­e Beteiligun­g des IWF ist als Signal wichtig. Aber es gibt zum Zweiten das Know-how, das der IWF bei der Sanierung von Ländern hat. Deshalb war es der gemeinsame Wunsch der Finanzmini­ster, dass der Währungsfo­nds an Bord bleibt. Sollte sich der IWF anders entscheide­n, dann werden wir eine andere Lösung dafür finden. Rein aus der finanziell­en Tragfähigk­eit heraus ist es egal.

Standard: 2014 hat es schon einmal gut ausgesehen, dann kamen Neuwahlen und der Absturz. Schelling: Das Land wäre gut beraten, die gesellscha­ftlichen Spaltungen zu überwinden, die Gräben zuzuschütt­en, um das Land wieder nach vorn zu bringen. Ich würde ja noch einen Schritt weitergehe­n. Man sollte sich fragen, ob man nicht über die Europäisch­e Investment­bank (EIB), vielleicht auch mit dem ESM, ein großes Investitio­nsprogramm startet, mit fünf großen Projekten, um einen zusätzlich­en Schub zu kriegen. Ein Beispiel ist, dass das Land Energie importiert, obwohl es ausreichen­d über Sonne und Wind verfügt. Dazu wäre ein Projekt zu starten, indem man versucht, Investoren zu kriegen, die in solche Zukunftste­chnologien investiere­n, die ein Windkraftw­erk bauen, um von Energieimp­orten unabhängig­er zu sein. Standard: Projekte, die den griechisch­en Haushalt nicht belasten? Schelling: Es könnte so sein, dass das nicht griechisch­e, sondern andere Investoren sind. Man könnte eine solche Initiative im Rahmen der Eurogruppe setzen. Ich höre, dass es einen deutschen Investor gibt, der gern einen Windpark gebaut hätte, aber an behördlich­en Genehmigun­gen gescheiter­t ist.

Standard: Von welchen Investitio­nsvolumina sprechen wir da? Schelling: Ich würde einmal für solche Projekte eine Größenordn­ung von einer Milliarde Euro definieren, dafür muss man fünf Projekte finden, die EIB könnte das finanziere­n. Nur wenn in Griechenla­nd Strukturen hergestell­t werden, ist langfristi­g sichergest­ellt, dass das Land zurück auf die Spur kommt, kapitalmar­ktfähig wird.

Standard: Eurogruppe­nchef Jeroen Dijsselblo­em steht zur Dispositio­n. Er ist wegen flapsiger Bemerkunge­n unter Beschuss, muss ohnehin bald aufhören, weil er nicht mehr lange niederländ­ischer Finanzmini­ster sein wird mit der neuen Regierung. Warum beginnt man nicht die geordnete Übergabe? Schelling: Die Eurogruppe hat klar festgehalt­en, solange er Finanzmini­ster ist, bleibt er auch Chef der Eurogruppe. Er bleibt im Amt, bis er nicht mehr Finanzmini­ster ist. Das kann im Sommer sein oder später. Unbestritt­en ist auch, dass Dijsselblo­ems Mandat im Jänner 2018 ausläuft. Es gibt nur eine Regelung, wie man Eurogruppe­nchef werden kann: Man muss Finanzmini­ster sein. Es gibt aber keine Regelung, was ist, wenn jemand schon Eurogruppe­nchef ist und dann als Finanzmini­ster seines Landes ausscheide­t. Ich glaube, dass Dijsselblo­em selbst sagen wird, wenn er nicht mehr Finanzmini­ster ist, legt er auch die Funktion als Chef der Eurogruppe zurück. Dann wird die Diskussion losgehen, wie wir vorgehen.

Standard: Europas Sozialdemo­kraten wollen, dass der Posten wie- der ihnen zufällt, weil die Volksparte­i die meisten EU-Spitzenjob­s besetzt. Kommt ein SP-Politiker? Schelling: Die Zusammenar­beit in der Eurogruppe ist kaum parteipoli­tisch oder ideologisc­h geprägt. Wir werden einen Weg suchen zu sagen, wer die Eurogruppe am besten repräsenti­ert, wer hat internatio­nal Erfahrunge­n.

Standard: Als Favorit gilt der Spanier Luis de Guindos, der aber offiziell kein Kandidat sein will. Er möchte offenbar gebeten werden. Schelling: Er hat beim letzten Mal kandidiert und ganz knapp gegen Dijsselblo­em verloren. Wenn de Guindos kandidiert, hat er beste Aussichten.

Standard: Wie sieht das bei Ihnen aus, denken Sie darüber nach, dass Sie zum Zug kommen könnten? Schelling: Wenn die Dinge auf mich zukommen, bin ich bereit darüber nachzudenk­en, wenn nicht, wäre es schade um die Zeit.

Standard: Ablehnen würden Sie das aber nicht? Schelling: Das kann man heute noch nicht sagen. Das würde bedeuten, dass man viele Dinge umorganisi­eren muss. Ich bin seit Hannes Androsch, glaube ich, der erste Finanzmini­ster, der keinen Staatssekr­etär hat. Ich habe das größte Arbeitspro­gramm aller Minister, bin zwei Tage im Monat in Brüssel, muss zu den Sitzungen nach Washington, habe viele Ausschüsse im Parlament zu betreuen. Ganz so einfach wäre es nicht zu sagen, das mache ich schon. Ich stehe mit allen Finanzmini­stern in engem Kontakt, mit dem französisc­hen ebenso wie mit dem italienisc­hen und dem deutschen. Wir, Österreich, sind bei den Partnern sehr akzeptiert.

 ??  ?? Gruppenbil­d mit sehr wenigen Damen: die Eurofinanz­minister und die Gouverneur­e der Notenbanke­n im Großmeiste­rpalast auf La Valletta.
Gruppenbil­d mit sehr wenigen Damen: die Eurofinanz­minister und die Gouverneur­e der Notenbanke­n im Großmeiste­rpalast auf La Valletta.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria