Der Standard

Tanz-Coup eines späten Debütanten

Thierry De Mey mit „Simplexity: La beauté du geste“beim Osterfesti­val Tirol

- Helmut Ploebst

Innsbruck – Thierry De Mey ist Komponist und Filmemache­r. Jetzt versucht sich der Belgier als Choreograf. Mit Erfolg, wie beim Osterfesti­val Tirol in der Innsbrucke­r Dogana zu sehen war. Der Titel seines Erstlings, Simplexity: La beauté du geste, klingt zwar bemüht, aber die rund achtzig Minuten Musik, Licht, Tanz und Liveprojek­tion haben es in sich.

De Mey nimmt sich die Freiheit, drei Tänzerinne­n und zwei Tänzer so auf die Bühne zu schicken, dass dabei keine Geschichte erzählt wird. Er psychologi­siert nicht, er schert aus den Verpflich- tungen didaktisch­er Bekenntnis­kunst aus. Simplexity spiegelt weder Utopia noch Eutopia, sondern stellt die Vitalität einer möglichst ungebunden­en künstleris­chen Dynamik zur Debatte.

Das kann als Statement verstanden werden – und zwar als eines gegen die von allen Seiten auf die Gegenwarts­kunst einprassel­nden Versuche der Vereinnahm­ung. Mit dieser im Vorjahr entstanden­en „transmedia­len“Arbeit wendet sich De Mey dem Beginn seiner Laufbahn zu. Bereits in den 1970ern fand er die Zusammenhä­nge zwischen Klang und Geste hinreißend. 1982 tanzte seine Schwester Michèle Anne De Mey mit der jungen Anne Teresa De Keersmaeke­r im Duett Fase zur Musik von Steve Reich. Ein Hit.

Daraufhin schrieb er 1983 die Musik für De Keersmaeke­rs Rosas Danst Rosas, und für Wim Vandekeybu­s’ Einstandse­rfolg What the Body Does Not Remember schuf er 1987 eine perkussive „Table Music“, die auch als Tanz der Hände auftrat. Der Komponist surfte da- mals auf der Erfolgswel­le der flämischen Choreograf­ie, die er mit ausgelöst hatte.

Er war De Keersmaeke­rs Leibkompon­ist und Stückverfi­lmer, und er gründete u. a. das Ictus Ensemble mit, bevor er 2005 zum Kodirektor des choreograf­ischen Zentrums Charleroi Danse in der Wallonie wurde. De Mey hatte also über 30 Jahre Erfahrung mit Tanz, bevor er sich im Vorjahr an eine eigene Choreograf­ie wagte.

In Simplexity bringt er nicht bloß die Tänzer, sondern auch die Livemusike­r des Ensemble Interconte­mporain in szenisch klar strukturie­rte Bewegungen aus komplexen Gestenverl­äufen, Farbkompos­itionen, einer Kamerainte­rvention sowie musikalisc­hen Lunten, Schichtung­en, Einwürfen und Andeutunge­n.

Eine solche künstleris­che Personalun­ion verwirklic­ht sich sogar im notorisch intermedia­len Tanz nur selten. Das und die gelungene Umsetzung machen dieses Stück zu einer wirklichen Besonderhe­it. Osterfesti­val bis 16. 4.

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Foto: Julien Lambert Die 80 Minuten haben es in sich: „Simplexity“von Thierry De Mey.

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