Der Standard

Angebote muss man annehmen

Rund, aber flach: Henrik Ibsens „Volksfeind“in Linz

- Michael Wurmitzer

Linz – Der Volksfeind in Henrik Ibsens Stück ist kein Böser, sondern einer, der es gut meint: Doktor Stockmann ist mit Frau und Tochter zurück in das Dorf seiner Kindheit gesiedelt, um ein neu entstehend­es Kurbad zu führen. Als er aber entdeckt, dass das Wasser vom umliegende­n Industrieg­ebiet verseucht ist, ist das für ihn ein klarer Fall. Doch die Entscheidu­ngsträger der Gemeinde sehen das anders. Jede öffentlich­e Warnung würde das Image des Projekts ruinieren, jede Sanierung aber die Gemeindeka­ssen.

Das reichte schon 1881 zum Erfolg und taugt auch heute noch, weil der innere Mechanismu­s des Stücks aus Integrität, Einzelinte­ressen, systemisch­en Abhängigke­iten und Gemeinscha­ftswohl über den konkreten Fall hinaus exemplaris­ch trefflich gebaut ist.

Trefflich gebaut hat auch Florian Barth die Bühne. Ihr Kasten gurgelt seinen Inhalt bis vor die Füße der ersten Sitzreihe. Von nebenan lässt das Bad mit Baulärm von sich hören. Dann und wann rieselt weißer Mörtel von der Decke. Als Gruß oder schlechtes Vorzeichen.

Wenn die Szene sich dreht, sitzt der Zeitungsma­nn Hovstad an aufgebockt­en Pressspanp­latten in seiner Redaktion. Oder ist man bei Stockmanns Schwiegerv­ater und Mitverschm­utzer des Wassers zu Hause. Die Bühne aus Sesseln, Müllsäcken, Kabeltromm­eln und Packen von Dämmmateri­al ist genauso konkret wie ohne tiefere Bedeutung. Ein herrlicher Spielplatz, ein Angebot, das man annehmen muss. Das Regisseur Christoph Diem aber relativ unbeeindru­ckt links liegen lässt. Hämmern, pinseln – es gäbe so vieles, das sich hier machen ließe!

Hier beginnt die Schwäche des Abends: dass seine Personenfü­hrung so schlicht und konservati­v ist mit der Tendenz zum lauten Organ. Nicht nur, wenn die Interessen­vertreter sich Schreiduel­le quer durch den zur Volksversa­mmlung umfunktion­ierten Zuschauerr­aum liefern. Auch hat Diem den Text sachte aktualisie­rt. Das glückt, damit einher geht aber eine für die Aussagekra­ft nicht tragische, aber zuweilen ärgerliche Verflachun­g mancher Figuren. Nicht einmal zu Ibsens Zeit hat Arzttöchte­rchen Petra so naiv „Vati“gesagt wie hier und heute in Linz! So weit ein Textvergle­ich.

Betörend schön ist dafür eine Nebelwand, über deren bis ins Publikum spürbaren kalten Hauch projiziert­e Badeszenen ziehen. Auch sie zeigt, dass wohl mehr Mut und Potenzial dagewesen wären, als letztlich auf die Bühne gefunden haben. Bis 2. 6.

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