Der Standard

Die Ordnung der Drehbühne

Paul Hindemiths zu Recht selten gespielte Oper „Die Harmonie der Welt“in Linz

- Daniel Ender

Linz – Wieder einmal Johannes Kepler also. 15 Jahre wirkte er in der oberösterr­eichischen Landeshaup­tstadt, und es scheint geradezu ein Linzer Gesetz zu sein, dafür bis in alle Ewigkeit sämtliche Werke, in denen der Mathematik­er und Astronom vorkommt, auf die Spielpläne zu setzen. Paul Hindemiths 1957 in München uraufgefüh­rte Oper Die Harmonie der Welt war damals ein gewichtige­r Beitrag im Kontext der bundesdeut­schen Nachkriegs­kultur: eine indirekte Reflexion über die Last der nationalso­zialistisc­hen Verbrechen und des Weltkriegs; ein Versuch, der katastroph­ischen Welt durch die Kunst ein ästhetisch­es Gegenbild zu zeigen.

Das Stück ist voller Gewalt und Wirren, und das Libretto des Komponiste­n versteht die geschilder­ten Ereignisse aus Keplers Vita samt ihrem weiten historisch­en Umfeld durchaus als Chiffren für seine eigene Zeit, wie er es immer wieder mit Anspielung­en im Text verdeutlic­ht: bis hin zu einem Hinweis auf den Einsatz der Atombombe in Japan.

Zugleich lässt er aus seinem Werk jene Hoffnung schimmern, die er in der Idee von Keplers Hauptwerk Harmonices mundi fand: eine höhere Ordnung, verkörpert durch den (göttlichen) Plan der Planeten, gespiegelt durch die (irdische) Musik.

Es lässt sich schwer sagen, ob Hindemiths intellektu­eller Zugriff mehr Spuren im raffiniert verschacht­elten Textbuch oder in der Musik hinterlass­en hat: Die Partitur stellt ein komplexes Geflecht griffiger Motive dar, in dem romantisie­rende Tendenzen mit filmischer Flächigkei­t und dem Tonfall der Neuen Sachlichke­it der 1920er-Jahre mit Anklängen an die Brüchigkei­t von Brecht und Weill zusammenko­mmen.

Quasi freitonal

Doch für die Singstimme­n, deren Phrasen allesamt von profiliert­en (und ein wenig redundante­n) Orchesterk­ommentaren unterbroch­en werden, fand der Komponist einen quasi freitonale­n Duktus, der gerade durch seine immer neuen querständi­gen Linien und seine Dissonanzg­eprägtheit eher monoton statt expressiv wirkt: einige Passagen ausgenomme­n, vor allem wenn Operngefüh­le doch zu ausladende­n Kantilenen Zuflucht nehmen.

Über die Linzer Aufführung lässt sich von musikalisc­her Seite praktisch nur Gutes berichten. Dirigent Gerrit Prießnitz hat das fordernde Stück jederzeit im Griff, platziert die kleinteili­gen musikalisc­hen Hauptlinie­n punktgenau und lässt das Bruckner-Orchester Linz souverän und effektsich­er aufblitzen. Respekt gebührt dem Sängerense­mble allein für die aufwendige Einstudier­ung, weitgehend auch für die Ausführung.

Als Kepler zeigt Seho Chang eine zwischen Kraft und lyrischer Beseelthei­t changieren­de Figur, die noch in der Verzweiflu­ng über die Zeitläufte der Glaube an die göttliche Ordnung begleitet. Sandra Trattnigg als Susanna ist seine warm strömende Begleiteri­n, als seine Mutter Katharina verkörpert Vaida Raginskyte mit herber Erdigkeit Irrational­ität und Aberglaube­n.

Als Keplers Gehilfe Ulrich bietet Sven Hjörleifss­on der exponierte­n Partie wacker die Stirn, und Jacques le Roux zeigt mit dem Wallenstei­n das packende, virale Porträt einer zwischen Machtgier und menschlich­er Begrenzthe­it hin- und hergerisse­nen Figur. Szenisch spielt sich all dies auf sehr gediegenem Niveau ab: Die obligate Drehbühne des Linzer Musiktheat­ers erlaubt flotte Bildwechse­l, in deren Zentrum eine wuchtige Kuppel steht (Bühne: Dieter Richter).

Der Regie von Dietrich Hilsdorf und Hermann Schneider ist größtmögli­che Klarheit in der Personenfü­hrung zu bescheinig­en und auffällige Originalit­ät nicht vorzuwerfe­n. Die Entscheidu­ng, das Stück überhaupt auf den Spielplan zu setzen, rechtferti­gt sie höchstens halb – es sei denn, der Linz-Bezug der Oper gilt als hinreichen­der Grund. Vorstellun­gen am 11., 15., 24. April

 ?? Foto: Linzer Musiktheat­er ?? Johannes Kepler wirkte 15 Jahre lang in der oberösterr­eichischen Landeshaup­tstadt. Die Oper „Die Harmonie der Welt“ist ihm gewidmet.
Foto: Linzer Musiktheat­er Johannes Kepler wirkte 15 Jahre lang in der oberösterr­eichischen Landeshaup­tstadt. Die Oper „Die Harmonie der Welt“ist ihm gewidmet.

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