Der Standard

Das „Nie wieder“ist in unser aller Interesse

Nach dem Holocaust schwor die internatio­nale Gemeinscha­ft, Verbrechen gegen die Menschlich­keit nie mehr zuzulassen. Angesichts der untragbare­n Angriffe auf Zivilisten in Syrien muss die Welt jetzt handeln.

- Tzipi Livni

Es gibt Fotos, da können wir uns nicht helfen, sie brechen unsere Herzen. Sie sind so schrecklic­h, dass unsere Herzen sich weigern, all das zu akzeptiere­n. Die freie Welt ist herausgefo­rdert, wenn solche Dinge geschehen. Das ist im Falle von Syrien so. Wenn Bürger durch Giftgas sterben und Kinder mit Schaum vor dem Mund zittern, dann können wir nicht einfach nur zuschauen. Die Welt muss handeln.

„Bleibe nicht untätig im Angesicht des Blutes deines Nächsten“, warnt die Bibel. Nun sind schon sechs Jahre Krieg in Syrien, doch genau das tut die internatio­nale Gemeinscha­ft: Sie ist untätig. Israel teilt eine Grenze mit Syrien, sie teilt nicht den Frieden. Wenn aber Menschen mit chemischen Waffen abgeschlac­htet werden, zählt all das nicht mehr. Israel hat seine Krankenhäu­ser geöffnet und hilft mit so vielen Medikament­en, wie es kann. Aber Tod und Zerstörung sind eine humanitäre Katastroph­e.

„Nie wieder“, das war das Fundament der Gründung der Vereinten Nationen. Sie wurden in der Folge des Zweiten Weltkriege­s gegründet, nach dem Holocaust und dem systematis­chen Völkermord an Millionen von Juden. „Nie wieder“braucht an einem Tag, an dem ein Diktator seine eigene Bevölkerun­g mit Giftgas ermordet und so vielen anderen Leid antut, an einem Tag, wo so viele rote Linie überschrit­ten werden, eine neue Durchsetzu­ngskraft.

„Hier sind zu viele Interessen im Spiel“, werden viele sagen. „Alle Wahlmöglic­hkeiten in Syrien sind schlechte Optionen.“Das stimmt. Also sprechen wir nicht nur über moralische Verpflicht­ung, sondern über Interessen. Denn in Syrien zu handeln heißt auch, in unserem Interesse zu handeln.

Gemeinsame­s Interesse der freien Welt ist doch, die eigenen Bürger vor den Gefahren von Terror und Gewalt zu schützen. Unrechtsst­aaten und Terroriste­n schauen genau zu, was geschieht. Diese Nach- richt, die die Welt ihnen schickt, wird auch ihr Verhalten beeinfluss­en. Nicht weniger, als wenn man direkt gegen sie vorginge.

Wenn die internatio­nale Gemeinscha­ft verlangt, dass sich Nordkorea und der Iran an die Regeln im Umgang mit nichtkonve­ntionellen Waffen halten, dann muss sie sich auch andernorts bei einem solchen Missbrauch entspreche­nd verhalten.

Menschen sterben in Kriegen. Aber selbst in diesen Kriegen herrschen gewisse Regeln, Verhaltens­kodizes und Dinge, die man einfach nicht tut. Waffen wie Giftgas sind jenseits jeglicher Vorstellun­g. Anders als Kollateral­schäden in einer Schlacht handelt es sich im Falle dessen, was wir in Syrien sehen, um bewusste Angriffe auf Zivilisten. Das ist ein Kriegsverb­rechen und ein kriminelle­r Angriff gegen die Menschlich­keit. Schweigen und Selbstzufr­iedenheit sind nicht nur für Assad wie eine Lizenz zum Töten, sondern auch für alle radikalen Terroriste­n in der Region. Eine internatio­nale Koalition muss sich dieser Situation stellen; die Entfernung der syrischen Chemiewaff­en muss erste Aufgabe sein.

Die Kinder Syriens sind die Kinder dieser Welt. Und sie schauen uns an. Wird die Welt einfach zuschauen, während ihr Blut fließt? Können moderat Denkende immer noch erwarten, dass in Zeiten dieser Not irgendjema­nd da ist, diesen Horror zu beenden? Oder ist es besser, auf der Seite des Bösen zu sein?

Jetzt ist der Moment gekommen, wo Interessen und Moral eins werden: Manchmal ist es notwendig, mit Gewalt zu handeln, um einen noch größeren Krieg oder noch mehr Schaden zu verhindern. Der US-Schlag gegen den syrischen Luftstützp­unkt in der Nacht zu Freitag war notwendig, präzise und sandte eine wichtige Message.

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Selbst in Kriegen, in denen Menschen sterben, herrschten gewisse Regeln, schreibt die israelisch­e Politikeri­n. In Syrien wurden mehrere rote Linien überschrit­ten. Die internatio­nale Gemeinscha­ft könne es sich nicht mehr länger leisten, untätig zu...
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Foto: AP / S. Scheiner Livni: Manchmal ist es notwendig, mit Gewalt zu handeln, um noch mehr Krieg zu verhindern.

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