Der Standard

Blaues Schwanken zwischen links und neoliberal

Von der akademiker­lastigen Freiberufl­erpartei zur selbsterkl­ärten Lobby der sozial Entrechtet­en und wieder retour: In der Wirtschaft­s- und Finanzpoli­tik pendelt die FPÖ zwischen den Extremen hin und her. Nun soll ein neues Programm einen schlüssige­n, regi

- Gerald John

Wien – Die FPÖ macht es spannend. Seit einem Jahr geistern Meldungen über das Projekt durch die Medien, einige davon augenschei­nlich lanciert. Wirtschaft­skapitäne in dreistelli­ger Zahl sollen Input gegeben haben, heißt es, sogar bis New York seien Blaue ausgeschwä­rmt, um sich Rat an der Wallstreet zu holen.

Sinn der Übung: Die Freiheitli­chen wollen sich ein neues Wirtschaft­sprogramm verpassen – und damit das notwendige Rüstzeug für eine Kanzlersch­aft. Klärungsbe­darf gibt es dabei reichlich. Denn oft genug schwankt die größte Opposition­spartei zwischen zwei Extremen.

Über Jahrzehnte fuhr die FPÖ, traditione­ll eine Partei der Anwälte, Ärzte, Hoteliers, auf wirtschaft­sliberalem Kurs. Dies blieb erst einmal auch unter Jörg Haider so. Als Gegenpol zur sozialpart­nerschaftl­ichen großen Koalition propagiert­e dieser Privatisie­rungen, Deregulier­ung und eine Flat Tax, die Gutverdien­er massiv von Steuern befreit hätte. Um neue Wähler zu ködern, stilisiert­e sich Haider aber auch zunehmend zum Robin Hood der Entrechtet­en – und stieß so den blauen Aufstieg in der Arbeitersc­haft an. „Die soziale Note existierte aber nur in der Rhetorik“, sagt der FPÖ-nahe Historiker Lothar Höbelt, „konkrete Vorschläge fehlten.“

Der kleine Mann zahlt

Dies galt auch für die Zeit der schwarz-blauen Regierung. Die FPÖ müsse „links reden“und den Part der Sozialdemo­kraten übernehmen, habe sich die Führungsri­ege in Besprechun­gen vorgenomme­n, erinnert sich Höbelt. Doch für das Prestigepr­ojekt des Nulldefizi­ts im Budget zahlte der „kleine Mann“die Zeche, analysiert­e der damalige Wifo-Chef Helmut Kramer: „Die Konsolidie­rungsmaßna­hmen trafen und treffen besonders die Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen.“

In der Folge gab es zwar eine Steuersenk­ung, doch nach fünf schwarz-blauen Jahren stiegen Arbeitnehm­er und Pensionist­en laut Rechnung der Arbeiterka­mmer mit einem Minus aus. Für die Unternehme­n belegte die Bilanz hingegen eine satte Entlastung.

Das Gefühl, von Industrie und ÖVP „gelegt“worden zu sein, hatte sich auch in den freiheitli­chen Reihen rasch ausgebreit­et, erzählt Höbelt – eine Triebfeder für den Funktionär­saufstand von Knittelfel­d, der Partei und Regierung ins Chaos stürzte. Der daraus entwachsen­en „neuen“FPÖ attestiert der Geschichts­forscher: Erstmals habe die soziale Attitüde „einen konkreten Gehalt“.

Als „soziale Heimatpart­ei“verkaufen sich Heinz-Christian Strache und die Seinen heute. Im Gleichklan­g mit linken Globalisie­rungskriti­kern bekämpfen sie Freihandel­sabkommen, Sozialabba­upläne beschränke­n sich auf Ausländer. Ob Mindestloh­n, Familienbe­ihilfe oder Mindestpen­sion: Die FPÖ will immer noch etwas drauflegen.

Dem Wirtschaft­sforscher Stephan Schulmeist­er sticht ein Unterschie­d zu früher ins Auge: Anders als Haider, der die „Fleißigen und Anständige­n“beschworen hat, halte sich Strache bei Sozialschm­arotzerdeb­atten zurück – man will ja nicht die Arbeitslos­en im eigenen Elektorat vergrätzen. Doch im Kern wiederhole sich die Geschichte: „Die FPÖ spricht für die Kleinen, macht aber Politik für die Großen – und ist zu geschickt, um das zu erkennen zu geben.“

Für entlarvend hält der Ökonom das Nein zu Vermögens- steuern, die Verteidigu­ng des Bankgeheim­nisses passt ebenso ins Bild. Neoliberal­er Geist stecke auch hinter der propagiert­en Senkung der Abgabenquo­te von 44 auf 40 Prozent der Wirtschaft­sleistung. Zwar habe die Verwaltung da und dort Speck angesetzt, doch zum Großteil seien die vielzitier­ten „Strukturre­formen“, die Strache zur Gegenfinan­zierung verspricht, „eine ideologisc­he Fata Morgana“, sagt Schulmeist­er: „Am Ende zahlen jene drauf, die auf Leistungen des Staates angewiesen sind.“

So gar nicht im Sinn der kleinen Leute klingt auch ein anderer Vorschlag: Der Wirtschaft­sflügel der FPÖ forderte, von den Kollektivv­erträgen, die Arbeitnehm­ern Rechte und Lohnniveau garantiere­n, abzurücken. Eine reine Gedankensp­ielerei, die es nicht ins Programm schaffen werde, versichert­e Strache im Interview mit dem STANDARD, doch eines zeigt die Episode: eine Kluft zwischen proletaris­ch gefärbten Kadern im Osten und dem in Richtung Westen stärkeren Unternehme­rtum.

Beobachter Höbelt rechnet damit, dass nun wieder stärker die wirtschaft­sliberale Seite durchschlä­gt: Während das Potenzial in der einst roten Arbeitersc­haft weitgehend ausgeschöp­ft sei, gebe es bei der ländlichen ÖVP-Klientel noch viel zu holen. Als Indiz dafür sieht er den Umstand, dass die FPÖ Barbara Kolm, Leiterin des marktradik­alen Hayek-Instituts, zur Kandidatin für den Rechnungsh­of gekürt hatte.

Weg zur Knechtscha­ft

Wie das zur sozialen Heimatpart­ei passt? Auf den Spuren des Ökonomen Friedrich August von Hayek, der den Wohlfahrts­staat als „Weg zur Knechtscha­ft“brandmarkt­e, wolle die FPÖ keinesfall­s wandeln, sagt Generalsek­retär Herbert Kickl, man bediene sich Kolms Instituts vor allem, um Berechnung­en anstellen zu lassen: „Wir sind bestimmt keine Neoliberal­en.“Den Widerspruc­h zwischen sozialen Verheißung­en und Sparprogra­mmen sieht er nicht – all das werde das neue Konzept aufklären (siehe Artikel unten).

Helmut Haigermose­r wartet auf Antworten. Eine „konturlose Allerwelts­geschichte“biete die FPÖ auf ökonomisch­em Terrain, sagt der nach einem Krach aus der Partei geschieden­e langjährig­e Chef der blauen Wirtschaft­streibende­n. Strache wolle offenbar keine Seite vergrämen – und an „Kapazunder­n“aus der Wirtschaft fehle es den Freiheitli­chen schmerzlic­h.

Auch das war früher anders: Zwar keimt in der Industriel­lenvereini­gung, etwa in Oberösterr­eich, schwarz-blaue Nostalgie, doch breiter Rückhalt für eine blaue Regierungs­beteiligun­g wie seinerzeit zeichnet sich nicht ab. Präsident Georg Kapsch hat Wurzeln im Liberalen Forum, Straches harter Anti-EU-Kurs schreckt ab.

Der Papierindu­strielle Thomas Prinzhorn, einst Schlüsself­igur und wirtschaft­spolitisch­er Leitwolf der FPÖ, hat die Führung der eigenen Firma längst an Sohn Cord übergeben. Im Präsidente­nwahlkampf hat die Prinzhorn Holding 20.000 Euro gespendet – für Alexander Van der Bellen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria