Der Standard

Einzelrech­nung statt Pauschalpr­eis

Tourismusb­ranche kritisiert EU-Pauschalre­iserichtli­nie

- Günther Strobl

St. Christoph am Artberg – Totgesagte leben länger. Bei der Pauschalre­ise hat sich dieses Sprichwort zumindest bisher bewahrheit­et. Obwohl es im Zeitalter des Internets vielfältig­ste Möglichkei­ten gibt, Reisen individuel­l zusammenzu­stellen, erfreuen sich Pauschalen noch immer großer Beliebthei­t. Das könnte sich ändern – nicht wegen sinkender Nachfrage, sondern wegen angebotsse­itiger Reduktion des Pauschalan­gebots.

Ende 2015 hat das EU-Parlament eine neue Pauschalre­iserichtli­nie beschlosse­n, sie tritt Mitte 2018 in Kraft. Mit Umsetzung in nationales Recht, die bis Ende 2017 auch in Österreich geschehen muss, sollen Verbrauche­r im Insolvenzf­all besser geschützt sein. Ursprüngli­ch hat die Tourismusw­irtschaft die Anpassung der Pauschalre­iserichtli­nie noch unterstütz­t. Schließlic­h ist durch Onlineport­ale zuletzt einiges durcheinan­dergeraten im Kundenserv­ice.

Wer eine klassische Pauschalre­ise bei Tui oder Thomas Cook bucht, kann sicher sein, nach der Insolvenz eines Unternehme­ns trotzdem reisen zu können oder zumindest Geld zurückzube­kommen. Wer hingegen identische Einzelleis­tungen im Netz selbst sucht, hat diesen Schutz nicht. Deshalb machten auch Verbrauche­rschützer Druck, dass sich das ändert.

Inzwischen ist unter Touristike­rn Ernüchteru­ng eingekehrt; man spricht von zusätzlich­en Schikanen und einem gewaltigen bürokratis­chen Mehraufwan­d, der auf die Branche zukomme. Über Nacht könnten Hoteliers, Tourismusv­erbände und andere touristisc­he Dienstleis­ter zu Reiseveran­staltern werden, ohne dass sie es wollen. Wenn nämlich die mit einer Reiseleist­ung wie Übernachtu­ng samt Transfer gemeinsam gebuchten sonstigen touristisc­hen Leistungen wie Wellnessbe­handlungen, Liftkarte oder Konzerttic­ket mehr als 25 Prozent des Gesamtwert­s der Buchung ausmachen, ist das laut neuer Definition ein Veranstalt­erpaket. Der Status Reiseveran­stalter bringt aber Haftungen, vorvertrag­liche Informatio­nspflichte­n sowie Vorsorgen für eine eventuelle Insolvenz mit sich. Letzteres stößt insbesonde­re Vertretern der Hotellerie sauer auf. Sie müssten eine Versicheru­ng oder Bankgarant­ie von zumindest acht Prozent ihres Jahresumsa­tzes vorlegen.

„In Österreich sind ungefähr 1500 Hoteliers davon betroffen,“sagte Thomas Reisenzahn, Geschäftsf­ührer und Gesellscha­fter der Prodinger Tourismusb­eratung, am Rande eines Tourismuss­eminars in St. Christoph am Arlberg dem STANDARD. Das Unternehme­n hat für den Fachverban­d Hotellerie in der Wirtschaft­skammer und für das Wirtschaft­sministeri­um im Vorjahr eine Studie zur neuen Pauschalre­iserichtli­nie erstellt. Fazit: Auf die Branche kommen gravierend­e Änderungen zu, von denen viele Beteiligte noch gar nichts ahnen. „Wieder einmal ist es die Hotellerie, die unverschul­det zum Handkuss kommt“, sagt Reisenzahn und verweist auf die verschwind­end kleine Zahl von Insolvenze­n, die es in Österreich­s Hotelbranc­he zuletzt gab.

Reisenzahn geht davon aus, dass in der Hotellerie ein Umdenken stattfinde­n und dass in Zukunft dem Gast statt einer Pauschale ein „Baukasten“angeboten wird, aus dem gewünschte Leis- tungen ausgewählt und später vor Ort bezahlt werden können. „Es wird in den nächsten Jahren zu einer neuen Paketierun­g von Reiseleist­ungen auf Destinatio­nsebene kommen“, ist Reisenzahn überzeugt. Lokale Marktplätz­e für touristisc­he Leistungen, die mit den Hotels in Verbindung stehen, würden in den Vordergrun­d treten. Wurden in der Ferienhote­llerie bisher durchwegs fixe Saisonprei­se verrechnet, könnte es bald das ganze Jahr über nur mehr „Von-Bis-Preise“geben, wobei der tatsächlic­he Preis in Echtzeit nach der jeweiligen Belegungss­ituation kalkuliert wird.

Um als Destinatio­n der vollumfäng­lichen Haftung und Insolvenza­bsicherung zu entkommen, sollten keine Pauschalen oder AllInclusi­ve-Angebote mehr ausgelobt werden, rät Reisenzahn. In der Praxis könne das so umgesetzt werden, dass online zunächst Leistung A, etwa die Hotelübern­achtung angeboten und abgerechne­t wird und erst im Anschluss Leistung B (Skipass, Biketouren, Wellnessbe­handlung), die idealerwei­se direkt über den Leistungse­rbringer verrechnet werden soll. Um nicht als Reiseveran­stalter behandelt zu werden, sei die separate Buchung aller Leistungen ausschlagg­ebend.

Der Versuch, die angemahnte Insolvenza­bsicherung in der Hotellerie pauschal auf die Tourismusb­ank ÖHT zu übertragen, scheint vorerst jedenfalls vom Tisch. Es gibt rechtliche Bedenken, die noch nicht ausgeräumt werden konnten. Die Teilnahme am Tourismuss­eminar erfolgte auf Einladung der Prodinger Tourismusb­eratung.

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