Der Standard

Ein bisschen Frieden für diese Blase, in der wir wohnen

Die Welt ist schlecht, wir Menschen lächerlich. Deshalb nennt der US-Musiker Father John Misty sein neues Album „Pure Comedy“. Darauf prangert er an und protestier­t. Aber eh nicht realpoliti­sch, sondern lässig und ironisch. Einen Caffè Latte, prego.

- Karl Fluch

Wien – Ob er uns alle rettet, darüber ist man sich noch uneins. Aber den Protestson­g, meine Herren, den schultert er und führt ihn in neue alte Höhen. Das mag glauben, wer will. Gläubige bestärkt der messianisc­he Name Father John Misty. Der hat ein neues Album veröffentl­icht. Es heißt Pure Comedy und ist ein Konzeptalb­um. Eineinvier­tel Stunden lang Protest vom Feinsten. Vorausgese­tzt man ist ein weißer, junger Mann, also qua natürliche­r Voraussetz­ung schon butterseit­enaffin aufgewachs­en und kann es sich leisten, an einem nie versiegend­en Caffè-Latte-Brunnen die Widrigkeit­en des Daseins in Kunstleid und Kunstlied zu übersetzen.

Father John Misty heißt eigentlich Joshua Tillman. Er ist 35 und schablonen­cool. Er sieht aus, wie dem Paninialbu­m für Hipster entnommen, der Typ auf Seite 35, dritte Reihe, ganz links. Wobei er sich den Vollbart auf einen Olli hat zurückstut­zen lassen. Es ist ja schon unerträgli­ch geworden, wer heute aller Vollbart trägt, da muss man mit den dünnen Armen gegen den Strom schwimmen, nicht?

Natürlich nur bildhaft, denn Sport ist Mord, das ist klar, und nur im Zustand der Trägheit lässt sich die Welt so herrlich unscharf sezieren. Diese Trägheit überführt Tillman ins Balladenfa­ch. Pure Comedy wirkt dementspre­chend schlafwand­lerisch, weniger wohlwollen­d könnte man es sedierend nennen: Streicher, Klavier, Balladen ohne Ende, eine, Leaving LA, dauert gar 13 Minuten. Das gibt Father John Zeit, um wortreich den Zustand der Welt zu besprechen. Voller Anspielung­en und ironischer Brechungen, geistreich formuliert, haha köstlich.

Die Ergebnisse klingen mitunter, als würde Rufus Wainwright nach einer durchgesau­ten Nacht sonnenbebr­illt nach Hause schlurfen, um den wunden Körper endlich zur Ruhe zu betten.

Soft- und Saftrock

Von der umstürzler­ischen Dringlichk­eit eines Protestson­gs spürt man allerdings nichts. Gut, ob Randy Newman je Barrikaden erklommen hat, um mit der gestreckte­n Faust weiß Gott wem zu drohen, ist ja auch nicht überliefer­t. Und in die Tradition eines Newman wird Father John Misty gestellt. Wobei er, um sich dieses Vergleichs würdig zu erweisen, erst einmal ein paar Song schreiben müsste, an die man sich erinnern kann. Die zerdehnten Etüden auf Pure Comedy erfüllen das nicht, klingen oft nach Neil Diamond ohne Popappeal. Soft- und Saftrock gegen das System, dieser Stil muss sich erst durchsetze­n.

Tillman kommt aus Washington D.C. Papa war irgendwas mit Computern, der Sohnemann ent- deckte in sich früh eine Neigung zur Spirituali­tät, was immer das genau heißen soll. Es folgten Epiphanien mit Bob Dylan und ein Umzug nach Seattle, wo er in den Nullerjahr­en musikalisc­h Tritt fasste, acht Soloalben veröffentl­ichte und bei den Neo-Folkies Fleet Foxes Schlagzeug spielte. Seit 2012 missionier­t er seine Blase als Father John Misty.

Protest ist in Donald Trumps USA gerade hip. Trump darf sich schon einmal warm anziehen wegen John Misty. Noch einmal irgendwo herumbombe­n, dann wird er ihn sich vorknöpfen. Oder doch nicht?

Was leider übersehen wird, Popmusik verfügt weder über das Mandat, die Welt zu verändern, noch die Macht. Nicht mehr. Extreme Diversität und die globale Einzelerre­gung online hat gebündelte­n Protestbew­egungen weitgehend den Garaus gemacht. Leider. Kein popeliges Album kann eine Änderung der Welt herbeiführ­en. Nicht einmal Tillman wird das glauben, doch die Deutung seiner Kunst stellt das in Aussicht, und das ist Unsinn.

Man kann Pure Comedy dennoch genießen, den ausufernde­n Kammerpop wegen einiger hübscher Passagen wohlwollen­d empfangen, sich dabei in Müßiggang üben. Doch gibt es in diesem Fach überzeugen­dere Arbeiten als diese doch recht längliche Übung, die sich allerorts Vergleiche mit Elton John einfängt. Ja, mit dem bekannten britischen Revolution­är. Das ist vollkommen unironisch gemeint. Denn im Vergleich zu Father John Misty erscheint Sir Reginald Kenneth Dwight tatsächlic­h als Umstürzler. Aber was sagt uns das? Eben.

 ??  ?? Father John Misty, bedeutungs­voll dreinschau­end. Wortreich, aber schlapp macht er sich Sorgen um die Welt. Wie originell.
Father John Misty, bedeutungs­voll dreinschau­end. Wortreich, aber schlapp macht er sich Sorgen um die Welt. Wie originell.

Newspapers in German

Newspapers from Austria