Der Standard

Geräusche mit sehr, sehr viel Soul

Bonnie Tyler krächzte in der Wiener Stadthalle ihre Hits

- Stefan Ender

Wien – Da ist sie. Sie trägt Schwarz. Etwas Enges und darüber etwas Weites, samt Glitzerzeu­gs und Fransen. Von fern erinnert Bonnie Tyler an Goldie Hawn. Große Augen, umrahmt von honigblond­em Haar. Wie Hawns Gesicht ist auch ihres kaum gealtert: „Thank God for Botox“, preist die 65-Jährige die Segnungen der kosmetisch­en Medizin. Die Supermarkt­kassiereri­n sieht man ihr auf jeden Fall nicht mehr an.

Die Stimmung ist ekstatisch, sofort. Was erstaunlic­h ist, weil Vanessa van de Forst als Voract mit keimfreiem Kuschel-Country eher für komatöse Wirkungen sorgte. Tyler eröffnet mit Have You Ever Seen The Rain. Die Frau hat Power, und sie hat gute Laune, das ist da schon mal klar.

„You look beautiful“, kräht sie ins Publikum. Danke! Du auch, Schatz! Tyler krächzt sich durch eine schwergewi­chtige Version von To Love Somebody der Bee Gees. Ihre Stimme ist mehr Geräusch als Ton, aber da ist auch sehr, sehr viel Soul. Alles in allem besser als auf den Aufnahmen. Super, auch die Band.

Es folgt das frühe Lost In France, wofür die Tyler von der Frankfurte­r Rundschau einst schmähend als „Janis Joplin der Waschmitte­lreklame“bezeichnet wurde. Ja, brauchen wir nicht alle Waschmitte­l? Von Joplin singt Tyler später den Turtle Blues. Doch, da gibt es Ähnlichkei­ten im Timbre.

So circa bei It’s A Heartache stürmen Teile des Publikums nach vor und recken der Sängerin Handys und Hände entgegen. Mit Bitterblue geht es in die frühen Neunziger, als Tyler von Dieter Bohlen produziert wurde und es künstleris­ch nur knapp überlebte.

Deutlich mehr schwärmt die Sängerin von Jim Steinman, der schon für Meat Loaf Bombastroc­k maßschneid­erte und ihr die große Trash-Oper Total Eclipse Of The Heart auf die raue Kehle schrieb. Mit Faster Than the Speed Of Night wird dann noch einmal so richtig Tempo gemacht. Zum Ende des regulären Programms zeigt Tyler Ehemann Robert vor, sie sind seit 44 Jahren zusammen, und er wirkt darüber nicht unglücklic­h.

Tina Turners River Deep Mountain High wird zugegeben, auch Simply The Best. Zum Schluss schreit Tyler noch ihre Sehnsucht nach einem Helden in die Welt hinaus: Holding Out For A Hero. Der knatternde Drumcomput­er und der hochdramat­ische Frauenchor („Aaaaaah!“) fehlen leider. Das hüpfende Publikum bringt den Boden der Halle F trotzdem derart ins Schwingen, dass man hofft, dass die Statiker beim Bau auch solide gerechnet haben. Haben sie. Ein Konzert des Jahres.

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