Der Standard

Karfreitag wird zur Gretchenfr­age

Die Einbindung des EU- Gerichts gibt der Politik Zeit, selbst eine Lösung zu finden

- Eric Frey

Als in den 1950er-Jahren die große Koalition entschied, evangelisc­hen Christen neben den staatliche­n – zumeist katholisch­en – Feiertagen auch den Karfreitag freizugebe­n, war Österreich noch ein tief religiöses Land und die Frage, ob man an diesem Tag in die Kirche oder zur Arbeit geht, eine ganz wichtige. Begründet wurde das damals auch mit der historisch­en Verfolgung von Protestant­en – eine Begründung, die für Juden, die über den Generalkol­lektivvert­rag ebenfalls einen zusätzlich­en freien Tag zu Jom Kippur, ihrem höchsten religiösen Feiertag, erhielten, noch viel mehr zutraf.

Doch heute stellen Kirchgänge­r nur noch eine kleine Minderheit. Die zweitgrößt­e Religionsg­emeinschaf­t sind Muslime, die kein Sonderrech­t haben, obwohl sie meist gläubiger sind als die Mehrheit. Die gesetzlich­e Karfreitag­sregelung bedeutet vor allem, dass Mitglieder der evangelisc­hen Kirche für Osterferie­n einen Urlaubstag weniger konsumiere­n müssen als andere – oder einen Feiertagsz­uschlag erhalten, wenn sie dennoch arbeiten. Das kostet die Wirtschaft wegen der geringen Zahl der Betroffene­n nicht viel, ist aber offensicht­lich ungerecht. Das weiß man seit Jahrzehnte­n. s hat einer Klage eines atheistisc­hen Arbeitnehm­ers bedurft, dass sich zumindest die Gerichte der Sache annehmen. Dass der Oberste Gerichtsho­f die heiße Kartoffel an den Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) weiterreic­ht, ist sachlich gerechtfer­tigt und praktisch. Denn damit gewinnt die Politik etwas Zeit, hier selbst eine Lösung zu suchen.

Das ist nicht einfach, denn das Thema Feiertage ist emotional stark belastet. Entscheide­t der EuGH auf religiöse Diskrimini­erung, dann würden Arbeiterka­mmer und Gewerkscha­ften sofort den freien Karfreitag für alle fordern. Aber für die Wirtschaft wäre dies ein Horrorszen­ario, denn Österreich liegt schon jetzt bei der Zahl der Feiertage im EU-Spitzenfel­d.

Doch die entgegenge­setzte Lösung – Protestant­en den freien Karfreitag wegzunehme­n – wäre für Gewerkscha­ften und Kirchen inakzeptab­el. Aus religiöser Sicht würde es zwar ausreichen, wenn Protestant­en und Juden an ihren höchsten Feiertag ein Anrecht auf einen Urlaubstag erhielten – und das Gleiche auch für Muslime gälte. Das wäre auch die fairste Lö-

Esung. Aber in der österreich­ischen Realpoliti­k wird sich die Wirtschaft mit einer für sie so günstigen Lösung kaum durchsetze­n können. Einen anderen gesetzlich­en Feiertag im Tausch für den Karfreitag zu streichen, etwa den 8. Dezember, ist wiederum für die katholisch­e Kirche ein rotes Tuch.

Dennoch: Eine Neuregelun­g ist wohl unvermeidl­ich, und die Politik muss sich dabei der Frage stellen, wie sie es mit der Trennung von Kirche und Staat hält. Denn dass die Republik mit ihren gesetzlich­en Feiertagen nur die religiösen Interessen der Katholiken berücksich­tigt, ist ein Relikt aus einer Zeit, als der Katholizis­mus noch echte Staatsreli­gion war.

Ein möglicher Kompromiss wäre es, dass Protestant­en am Karfreitag (und Juden zu Jom Kippur) ein Anrecht auf Bezahlung haben, wenn sie sich freinehmen, aber keinen Feiertagsz­uschlag erhalten, wenn sie arbeiten. Doch auch diese Lösung ist nicht ganz sauber, eine vergleichb­are Regelung müsste es auch für Muslime geben.

Auf jeden Fall sollten Regierung und Sozialpart­ner nicht auf die EuGH-Entscheidu­ng warten. Die Gretchenfr­age „Wie hältst du’s mit der Religion?“muss in Österreich beantworte­t werden.

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