Der Standard

Klimawande­l gefährdet Millionen Menschen

Bis zu vierhunder­t Millionen Menschen sind durch den Klimawande­l in Gefahr. Dennoch gelten sie nicht als Flüchtling­e. Sozialwiss­enschafter Godfrey Baldacchin­o kritisiert die Strategie der Staatengem­einschaft.

- Robert Czepel

INTERVIEW:

STANDARD: Im Jahr 2015 ging der Fall des 39-jährigen Kiribatier­s Ioane Teitiota durch die Medien. Er wollte der erste weltweit anerkannte Klimaflüch­tling werden. Doch er wurde von Neuseeland abgeschobe­n. Wissen Sie etwas über sein Schicksal? Baldacchin­o: Nein. Aber es ist sehr unwahrsche­inlich, dass er jemals als Klimaflüch­tling anerkannt wird. Wäre das so, würden sich die Schleusen öffnen – denn es gibt Millionen Menschen, die jetzt oder in naher Zukunft einen ähnlichen Anspruch geltend machen könnten. Welche Regierung würde das anerkennen?

STANDARD: Was ist der genaue legale Status dieser potenziell­en Klimaflüch­tlinge? Baldacchin­o: Es gibt keinen.

STANDARD: Und das wird sich nicht ändern? Baldacchin­o: Ich kann die Zukunft nicht voraussage­n. Aber es ist sehr unwahrsche­inlich, dass die Umwelt jemals ein entscheide­nder Faktor bei der Anerkennun­g von Flüchtling­en sein wird.

STANDARD: Gibt es Studien, die die genaue Zahl der Menschen erhoben haben, die ihr Land wegen des Klimawande­ls verlassen würden? Baldacchin­o: Natürlich, das ist eine recht einfache mathematis­che Aufgabe. Was man dafür benötigt, sind Voraussage­n über den Anstieg des Meeresspie­gels. 60 Prozent der Weltbevölk­erung leben in der Nähe einer Küste. Historisch betrachtet war es eine gute Wahl, sich dort niederzula­ssen. Doch das trifft heute nicht mehr zu. STANDARD: Wie viele sind davon weltweit betroffen? Baldacchin­o: Drei bis vierhunder­t Millionen. Hundert Millionen stammen aus nur einem Land – aus Bangladesc­h.

STANDARD: Und diese hundert Millionen Bangladesc­her sind schon in Bewegung – oder potenziell gefährdet? Baldacchin­o: Sie sind potenziell in Gefahr. Und wenn sie versuchen, ihr Land zu verlassen, dann bekommen sie Probleme. Indien, das Bangladesc­h mehr oder weniger umgibt, ist diesen Leuten gegenüber nicht unbedingt einladend gestimmt. Indien hat jetzt schon ein Bevölkerun­gsproblem und braucht nichts weniger als Millionen Menschen, die über die Landesgren­ze kommen.

STANDARD: Wie gehen westliche Staaten mit diesem Widerspruc­h in der Praxis um? Baldacchin­o: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich bin mit der Air Malta nach Wien geflogen. Im Flugzeugma­gazin von Air Malta wird ganz offen für Menschen geworben, die eine zweite Heimat suchen. Diese Werbung richtet sich an eine Elite, an wohlhabend­e Menschen. Wer Geld hat oder bereit ist zu investiere­n, kann in westlichen Ländern ohne Probleme einen Pass bekommen. Das gilt auch für Österreich. Migration kennt keine Moral. Diese „Invasoren“sind willkommen.

STANDARD: Die internatio­nale Staatengem­einschaft hat den Klimawande­l als drängendes Problem anerkannt. Doch wenn es um die sozialen Folgen des Klimawande­ls geht, schließt sie die Augen. Ist das nicht paradox? Baldacchin­o: Das ist Teil einer Strategie. Diese Strategie lautet wie folgt: Die Staatengem­einschaft macht den Klimawande­l als Problem sichtbar. Was sie ebenso sichtbar macht, sind die Strategien, mit denen die Menschen ihrer Ansicht nach darauf reagieren sollten, nämlich durch Anpassung und Milderung. Milderung bedeutet, die Ursachen zu bekämpfen, also etwa die Reduzierun­g von Emissionen und Luftversch­mutzung. Anpassung bedeutet etwa die Pflanzung von Mangroven oder die Förderung von Recycling. Das Problem daran ist: Beide Strategien setzen voraus, dass die Menschen dort bleiben, wo sie sind. Historisch betrachtet bestand die Lösung solch schwerwieg­ender Probleme darin, das Land zu verlassen. Doch das will niemand.

STANDARD: Die wissenscha­ftliche Faktenlage ist allerdings eindeutig. Der blutige Darfur-Konflikt 2003 begann mit einer Dürre und der Erosion des Bodens im Westsudan. Das führte zu Konflikten, Krieg und einer Völkerwand­erung. Warum ist die Stimme der Wissenscha­ft in diesem Fall nicht überzeugen­d? Baldacchin­o: Das kann ich leider nicht beantworte­n. Es gibt vier Länder, in denen solche Eskalation­en für möglich erachtet werden. Eines davon ist Nigeria, wo die Bevölkerun­g so schnell wächst wie kaum anderswo auf der Welt. Nigeria wird in ein paar Jahrzehnte­n mehr Einwohner ha-

Klimawande­l ist ein mittelfris­tiges Thema, das Politiker daher mitunter auf dem Altar der Wählbarkei­t opfern.

ben als Indien. Die offizielle Lösung des Klimawande­l-Problems lautet wie gesagt, dass die Menschen aus diesen Ländern vor Ort eine nachhaltig­e Lebensgrun­dlage entwickeln sollen. Was aber viele vergessen, ist: In Zentralafr­ika werden die Temperatur­en durch den Klimawande­l drei Grad steigen. Das macht viele der Nachhaltig­keitsatrat­egien in diesem Teil der Welt mehr oder minder nutzlos.

STANDARD: Wer ist für diese, wie Sie sagen, „nutzlosen Strategien“verantwort­lich? Baldacchin­o: Alle Nationalst­aaten mit dieser Agenda: Norwegen, Schweden, die USA, Kanada, China, Japan, vermutlich auch Österreich – alle großen Player sind der Ansicht, dass man eine globale Migrations­krise nur durch Nachhaltig­keit in den betroffene­n Ländern verhindern kann.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die Klimapolit­ik von Trump und Putin? Wie es scheint, versuchen beide, den Klimawande­l als Problem zu verniedlic­hen. Baldacchin­o: Politiker müssen immer ihre Wähler und Wählerinne­n im Auge behalten. Klimawande­l ist ein mittel- bis langfristi­ges Thema, das Politiker daher mitunter auf dem Altar der Wählbarkei­t opfern. Aus dieser Sicht gibt es drängender­e Probleme: Trump hat die Arbeitsplä­tze im Auge, industriel­le Interessen sind für viele Politiker wichtig, Putin inklusive. Wir werden sehen, ob ihr Spiel erfolgreic­h ist oder nicht. STANDARD: Wenn das zutrifft, müsste die Politik bei langfristi­gen Problemen prinzipiel­l versagen. Baldacchin­o: Da möchte ich widersprec­hen. Politik bedeutet nicht nur, auf die Umfragen zu schielen. Politik bedeutet auch, Führung zu übernehmen. Es gibt sehr wohl Fälle, wo Politiker einen Trend erkannt – und etwas anderes getan haben, als ihre Wähler es erwartet hätten. Doch dafür braucht es Führungspe­rsönlichke­it, Charisma und den Willen zu Risiko.

STANDARD: Wer hätte das Charisma, wer hätte die Führungspe­rsönlichke­it? Baldacchin­o: Ich weiß es nicht.

STANDARD: Was passiert, wenn die USA aus dem Pariser Klimaabkom­men aussteigen? Baldacchin­o: 1997 hat der US-amerikanis­che Senat mit 95 zu null Stimmen gegen das Kioto-Protokoll gestimmt. So gesehen ist das keine große Sache. Die USA haben Entscheidu­ngen in Umweltfrag­en immer verschlepp­t. Die Regierung unter Obama war nur eine kurzzeitig­e Veränderun­g.

STANDARD: Wenn die Amerikaner aussteigen – warum sollten sich dann die Chinesen zum Pariser Abkommen bekennen? Baldacchin­o: Da haben Sie recht, doch Xi Jinping hat einige Male, vor allem kürzlich in Davos, interessan­te Aussagen gemacht. Es könnte sein, dass China in Klimafrage­n die Führung übernehmen wird. Momentan herrscht in dieser Frage ein politische­s Vakuum – und diese Möglichkei­t ist für China verlockend.

GODFREYBAL­DACCHINO( 56) forscht an der Universitä­t Malta und ist UnescoCo-Chair in Island Studies & Sustainabi­lity an der University of Prince Edward Island, Kanada. Am6. April hielt er anderÖster­reichische­n Akademiede­rWissensch­aften einen Vortrag über Klimaflüch­tlinge.

 ??  ?? Ein Drittel bis ein Viertel der Menschen, die vom Klimawande­l bedroht sind, leben in Bangladesc­h – im Bild ein Mann im Bezirk Bhola, wo einst sein Haus gestanden ist.
Ein Drittel bis ein Viertel der Menschen, die vom Klimawande­l bedroht sind, leben in Bangladesc­h – im Bild ein Mann im Bezirk Bhola, wo einst sein Haus gestanden ist.
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