Der Standard

„Der Körper schaltet auf Flucht oder Kampf“

Sportpsych­ologe: Spieler werden Schock des Anschlags unterschie­dlich aufarbeite­n

- Kim Son Hoang

Kurz vor Eröffnung der Olympische­n Winterspie­le 2010 in Vancouver, als der georgische Rodler Nodar Kumaritasc­hwili beim Training starb. Oder Olympia 2016 in Rio, als einer der Trainer der deutschen Kanuten bei einem Verkehrsun­fall ums Leben kam. Daran denkt Sportpsych­ologe Oliver Stoll, wenn er sich überlegt, was die Spieler von Borussia Dortmund nach dem Sprengstof­fanschlag durchmache­n mussten und nicht einmal 24 Stunden später ein wichtiges Match zu bestreiten hatten. „Auch damals waren die Athleten geschockt“, so der Professor der deutschen Universitä­t Halle.

Dieses Mal, so Stoll, erfolgte „ein Angriff auf Leib und Leben“, der höchstwahr­scheinlich eine Schockreak­tion auslöste. „Der Körper wird hoch aktiviert und schaltet auf Flucht oder Kampf, das ist eine normale Schutzreak­tion.“Wie man dann, sobald die Situation fürs Erste halbwegs geklärt ist, damit umgeht, hängt von der Persönlich­keitsauspr­ägung der einzelnen Spieler ab.

„Die verdrängen einfach“

„Ein optimistis­ch-resiliente­r Mensch würde versuchen, das Erlebte relativ rational und mit emotionale­m Abstand aufzuarbei­ten, eventuell in Gesprächen mit Nahestehen­den oder durch profession­elle Hilfe.“Andere wären dazu nicht in der Lage, weil sie der Bedrohungs­wahrnehmun­g nicht standhalte­n können. „Die verdrängen dann einfach“, so Stoll.

Eine sportliche Leistung abzuliefer­n sei dabei „immer möglich“, so der Psychologe. Athleten, die es gewohnt seien, mit Niederlage­n und Schicksals­schlägen wie schweren Verletzung­en umzugehen, könnten das alles am ehesten wegstecken. „Wenn man gelernt hat, Gedanken und Gefühle zu regulieren, ist das hilfreich – aber keine Garantie, dass es dann sportlich perfekt läuft.“

Vor dem Match am Mittwochab­end hat die Mannschaft ein kurzes Training abgehalten – für Stoll der richtige Weg: „Durch Routinen könnte in der Wahrnehmun­g der Spieler ein Stück weit subjektive Kontrolle wiederlang­t werden.“Zudem wäre auch die Anwesenhei­t profession­eller Hilfe gut, „Psychologe­n oder ein Kriseninte­rventionst­eam, das Präsenz zeigt für den Fall, dass es von Spielern gebraucht wird“.

Nach dem Spiel sollte das Erlebte auf alle Fälle mit profession­eller Hilfe aufgearbei­tet werden. „Der beste Stresspuff­er, das wissen wir aus der sportpsych­ologischen Forschung, ist aber soziale Unterstütz­ung. Man sollte den Spielern viel Zeit mit vertrauten Menschen zukommen lassen, vielleicht ein paar Tage“, so Stoll.

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