Worte statt Taten im Erdbebengebiet
In Mittelitalien ist vom versprochenen Wiederaufbau noch nichts zu sehen
Hunderte Menschen, die beim Erdbeben vom 24. August oder bei einem der Erdstöße von Ende Oktober ihr Zuhause verloren hatten, mussten erneut ihre Habseligkeiten packen: Die Hotels und Campingplätze an der Adria, in denen sie in den vergangenen Monaten untergebracht waren, brauchen die Zimmer und Stellplätze für die Osterferien. Die Touristen zahlen mehr als die 40 Euro pro Zimmer, die der Staat den Hotels als Entschädigung überweist.
„Es ist hart, sich nun trennen zu müssen, wir sind hier in den letzten Monaten eine richtige Familie geworden“, erklärte die 22-jährige Tatiana mit Tränen in den Augen im italienischen Fernsehen. Die Frau hatte zusammen mit rund 60 Leidensgenossen seit dem Erdbeben auf dem Campingplatz Medusa von Porto Recanati gelebt. Die Anlage hatte als eine der ersten den Vertrag mit dem Staat gekündigt, um Platz für Feriengäste zu schaffen.
Laut italienischem Zivilschutz lebten Mitte März immer noch mehr als 8000 Betroffene in Hotels oder anderen Touristenunterkünften, davon 5500 an der Adria und am Trasimeno-See in Umbrien. Rund 1800 von ihnen mussten nun umziehen – in der Regel in andere Hotels im Landesinneren, wo die Touristensaison später beginnt. Das eigene Haus ist weiter unbewohnbar, und von den von der Regierung versprochenen provisorischen Wohneinheiten ist ebenfalls noch wenig zu sehen.
In dem am 24. August fast vollständig zerstörten Amatrice zum Beispiel sind die ersten 25 sogenannten „Notfall-Wohnlösungen“erst am 15. März übergeben worden. „Ein erster Schritt zur Wiedergeburt“, freute sich Bürgermeister Sergio Pirozzi. Seine Begeisterung teilten nicht alle, zumal in dem einstigen 2000-Einwohner-Ort eigentlich 500 Wohneinheiten erforderlich wären.
„Sieben Monate warten für ein paar Container, das ist doch lächerlich“, sagte ein aufgebrachter Bürger. In Amatrice sei, wie auch im übrigen Erdbebengebiet, von den Behörden so gut wie nichts gemacht worden, sagt er: „Sie reden von Wiederaufbau, dabei haben sie noch nicht einmal die Trümmer aus der roten Zone weggeräumt.“
Tatsächlich sieht es in den verwüsteten Orten immer noch fast so aus wie unmittelbar nach der Katastrophe. Zwar sind Straßen und Brücken repariert worden; auch provisorische Schulpavillons wurden von der Regierung bereitgestellt, sodass alle Kinder wieder zum Unterricht gehen können. Doch der eigentliche Wiederaufbau hat noch nicht begonnen.
Bürokratie blockiert Arbeiten
Das liegt zum einen daran, dass rund 20.000 beschädigte Gebäude erst von Technikern und Ingenieuren untersucht werden müssen, um ein Sanierungskonzept erarbeiten zu können – das dauert. Zum anderen liegt das an der Bürokratie, die jegliche Eigeninitiative lähmt: Um später vom Staat die Kosten erstattet zu bekommen, müssen private Hauseigentümer vor Beginn der Arbeiten beweisen, dass die Schäden vom Erdbeben stammten. Die Behandlung der Gesuche durch Behörden nimmt Monate in Anspruch und blockiert die Sanierungsarbeiten.
Die Geduld der Bewohner der insgesamt 131 betroffenen Gemeinden wird auf eine harte Probe gestellt. Zuletzt haben hunderte Betroffene in Rom und ihren Gemeinden gegen den schleppenden Wiederaufbau demonstriert. Premier Paolo Gentiloni versicherte ihnen, dass die Hilfe in den Erdbebengebieten nach wie vor „höchste Priorität“genieße.