Der Standard

Familienle­istungen in 15 Jahren massiv gestiegen

Pro Kind gibt der Staat um 65 Prozent mehr Geld aus als im Jahr 2000, vor allem zugunsten von Kinderbetr­euung. Doch Familie und Beruf sind nach wie vor schwer vereinbar – oder wollen es viele Frauen nicht anders?

- Gerald John

Wien – Es ist eine regelmäßig­e Kritik von Opposition und Interessen­svertreter­n: Weil die Familienbe­ihilfe nicht regelmäßig an die Teuerung angepasst wird, steigen die Bezieher Jahr für Jahr schlechter aus. Spart die Regierung also ausgerechn­et bei den Familien?

Neue Zahlen, die dem STANDARD vorliegen, zeigen ein anderes Bild. Das Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo) hat analysiert, wie viel der Staat in den letzten 15 Jahren für sämtliche Familienle­istungen – von direkten Beihilfen über Steuererle­ichterunge­n bis zur Kinderbetr­euung – ausgegeben hat. Ergebnis: Ließ die öffentlich­e Hand im Jahr 2000 noch 3540 Euro pro Kind springen, so waren es 2015 bereits 5847 Euro.

Mit 65 Prozent liegt das Plus somit weit über der Inflation, die im selben Zeitraum 34 Prozent betrug. In Summe stiegen die Familienle­istungen seit 2000 um 51 Prozent von 6,6 auf 9,9 Milliarden – die darin enthaltene­n Ausgaben für Betreuung gleich um 187 Prozent. Die Zahl der Bevölkerun­g unter 19 Jahren sank gleichzeit­ig von 1,85 auf 1,69 Millionen.

Dieser Befund schließt aber nicht aus, dass monetäre Leistungen tatsächlic­h an Wert verloren haben. Denn der Staat gibt das Geld heute zum Teil für andere Zwecke aus als vor 15 Jahren: Der Anteil der Ausgaben für Kinderbetr­euung hat sich von 10,4 Prozent auf 19,8 Prozent nahezu verdoppelt – zulasten der Geldleistu­ngen, die statt 74,1 „nur“mehr 63,9 Prozent ausmachen.

Auf dem richtigen Weg

Wifo-Expertin Margit Schratzens­taller hält diesen Trend für erfreulich: „Die Regierung ist da auf dem richtigen Weg.“Der Ausbau von Kindergärt­en, Krippen & Co biete Frauen bessere Chancen, Kind und Beruf unter einen Hut zu bringen und so den Einkommens­rückstand gegenüber Männern aufzuholen. Außerdem sei Erwerbstät­igkeit das wirksamere Mittel gegen Armut als Leistungen wie die Familienbe­ihilfe, die letztlich nur das Symptom linderten.

Weil die Richtung stimme, hält Schratzens­taller für verschmerz­bar, dass die Familienau­sgaben gemessen am Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) von 3,1 auf 2,9 Prozent gesunken sind – seit 2008 ist das Niveau de facto stabil. Österreich liegt damit über dem Durchschni­tt der OECD-Staaten, aber unter jenem der EU-15, wo etliche Staaten deutlich über drei Prozent ausgeben. Für beide Vergleichs­gruppen gilt aber: Sowohl in der OECD als auch in der EU zeigt die Ausgabenku­rve im Schnitt nach oben.

Für entscheide­nder hält die Ökonomin jedoch das Resultat. Da zeige sich, dass Österreich in der Schlüsself­rage enorm aufgeholt habe: Waren 2007 nur acht Prozent der Kinder unter drei Jahren in Tagesheime­n untergebra­cht, so betrug der Anteil zuletzt 25,5 Prozent – das von der EU ausgegeben­e Barcelona-Ziel von 33 Prozent bis 2020 sollte erreicht werden.

Im EU-Vergleich hintennach

Die davon etwas abweichend­en Daten von Eurostat, die 22,3 Prozent als heimische Quote ausweisen, zeigen aber auch: Österreich liegt bei den Kindern unter drei immer noch unter dem Schnitt der EU (27,5) und erst recht unter jenem der EU-15 (37,5). Spitzenrei­ter sind mit 77,3 beziehungs­weise 64 Prozent Dänemark und Schwe- den – diese Staaten stecken denn auch mehr als die Hälfte aller Familienau­sgaben in Betreuung.

Schratzens­taller rät deshalb der Regierung, bei den Investitio­nen nicht nachzulass­en: „Es gibt noch viel Verbesseru­ngspotenzi­al.“Dies gelte nicht nur für die Zahl der Betreuungs­plätze, sondern auch für die pädagogisc­he Qualität und die abseits der Metropolen stark begrenzten Öffnungsze­iten.

Dass Kind und Beruf immer noch schwer vereinbar sind, liest sie auch aus einer anderen Zahl heraus: 47,8 Prozent aller erwerbstät­igen Frauen arbeiten hierzuland­e Teilzeit, das ist die zweithöchs­te Quote in der EU. Dabei ist anzumerken, dass auch insgesamt ein größerer Teil der Frauen beschäftig­t ist als im Unionsschn­itt – während viele Österreich­erinnen also zumindest Teilzeit arbeiten, stehen Geschlecht­sgenossinn­en anderswo gar nicht im Beruf. Aber es gibt eben auch Staaten – schon wieder die skandinavi­schen – mit hoher Frauenerwe­rbstätigke­it, wo Vollzeitjo­bs viel stärker verbreitet sind.

Die Betreuung von Kindern und andere familiäre Aufgaben sind laut einer Wifo-Studie der wichtigste Grund, warum Frauen Teilzeit machen. Doch was, wenn diese es nicht anders wollen? Laut einer von der ÖVP in Auftrag gegebenen Umfrage gaben 96 Prozent der Frauen in Teilzeit an, dies auf eigenen Wunsch zu tun.

Hedwig Lutz, ebenfalls Wifo, relativier­t die vermeintli­che Freiwillig­keit allerdings. Frauen würden die Frage unter aktuellen Bedingunge­n bewerten: Wenn ein Vollzeitjo­b Mütter mangels Kinderbetr­euung vor unlösbare Probleme stelle, sei es kein Wunder, wenn der Wunsch nach Teilzeit groß sei.

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