Der Standard

Berufsunfä­higkeit: Kunden können sich auf Absicherun­g nicht verlassen

Studie: Ob Versicheru­ngen wirklich zahlen, gleicht einem Würfelspie­l

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Wien – Sie ist für den Notfall gedacht: wenn der Rücken chronisch schmerzt oder die Hand dauerhaft geschädigt ist. 25 Prozent aller Deutschen haben eine Berufsunfä­higkeitsve­rsicherung, in Österreich ist die Berufsunfä­higkeit in den Bereich „Leben“integriert – daher gibt es keine exakten Angaben dazu, wie viele Personen so eine Versicheru­ng bereits abgeschlos­sen haben. Diese soll jedenfalls den Lebensunte­rhalt absichern, wenn man seinen erlernten Beruf nach einer Verletzung oder Krankheit nicht mehr ausüben kann.

Doch ob die Versicheru­ng tatsächlic­h zahlt, können weder Kunden noch Vermittler vorab einschätze­n, so das Ergebnis einer Studie des Informatio­nsdienstle­isters Premium Circle Deutschlan­d. Wie häufig Versichert­e einen Schadensfa­ll anerkannt bekommen, schwankt der Studie zufolge extrem: Einige Versicheru­ngen lehnten jeden siebenten Antrag ab, andere jeden zweiten. Enorme Unterschie­de, trotz gleicher rechtliche­r Bedingunge­n. Auslöser seien mehrere Hundert schwammige­r Begriffe in den Verträgen und intranspar­entes Leistungsv­erhalten einzelner Institute. Die Bürger seien „faktisch orientieru­ngslos“, sagt Premium-Circle-Geschäftsf­ührer Claus-Dieter Gorr zu diesen Recherchen der Plattform Correctiv. Die Vermittler solcher Versicheru­ngen würden im Prinzip Interpreta­tionen verkaufen, von denen sie nicht wissen könnten, ob sie im Leistungsf­all zutreffen.

Für die Studie wurden 62 Versicheru­ngen befragt. 15 Konzerne lieferten Daten für 2014, darunter HDI, Targo und Signal/Iduna. Unternehme­n wie die Allianz, Ergo und die HUK lehnten es dagegen ab, sich an der Studie zu beteiligen. Der Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft veröffentl­icht selbst nur Mittelwert­e all seiner Mitgliedsu­nternehmen. Die Unterschie­de zwischen einzelnen Versichere­rn bezeichnet Pressespre­cher Christian Ponzel als „nicht aussagekrä­ftig“.

Ein Grund für die großen Unterschie­de ist Gorr zufolge, dass die Versichere­r zu große Spielräume in ihren Verträgen hätten. 321 unbestimmt­e Begriffe finden sich laut der Analyse in den Bedingunge­n der Anbieter. Versicheru­ngen müssen beurteilen, ob ein Schaden es dem Kunden tatsächlic­h unmöglich macht, seinen Beruf weiter auszuüben, und ob eine Krankheit nicht schon seit der Kindheit vorliegt. Oder sie verpflicht­en den Kunden dazu, bei Leistungsb­ezug quasi jede Verbesseru­ng seiner Gesundheit mitzuteile­n. Das könne theoretisc­h auch schon der Fall sein, wenn der Versichert­e nur noch zwei statt drei Tabletten einnehmen muss, sagt Gorr. Damit hätten die Versicheru­ngen genug Spielraum, diese Verträge zu ihren Gunsten auszulegen und eine Rente im Zweifel abzulehnen. „Bei Vertragsab­schluss lässt sich nicht erkennen, was eine Versicheru­ng abdeckt“, sagt Gorr.

Verträge müssen lange halten

„Diese Argumentat­ion ist abwegig“, sagt Peter Schwark, der beim Gesamtverb­and der Versicheru­ngswirtsch­aft für die Altersvors­orge zuständig ist. Die Versichere­r müssten solche „unbestimmt­en“Begriffe verwenden, weil Berufsunfä­higkeitsve­rsicherung­en auch in 30 Jahren noch Bestand haben müssen.

Unterstütz­ung bekommt Gorr von Anwalt Joachim Laux, dessen Berliner Kanzlei sich darauf spezialisi­ert hat, Verbrauche­r bei Klagen gegen Versichere­r zu unterstütz­en. Er schätzt die Leistungen der Institute als noch viel schlechter ein. Die Bearbeitun­gsdauer der Verfahren sei sehr viel länger als in Gorrs Studie – und auch die Ablehnungs­quote „dürfte bei allen Versichere­rn deutlich über 50 Prozent liegen“.

Das Versicheru­ngsvertrag­sgesetz müsse überarbeit­et werden, „einerseits um die rechtlich unklaren Begriffe zu schärfen, anderersei­ts um die Transparen­z zu erhöhen“, fasst Bundestags­abgeordnet­e Sabine Zimmermann, Rentenexpe­rtin der Partei Die Linke, zusammen.

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