Der Standard

„Angst vernebelt den Blick auf das Wesentlich­e“

Versicheru­ngen machen eine gute Arbeit. Dennoch übt der Vermittler Walter Benda ordentlich Kritik am System. Über Tricks der Institute und darüber, warum er seine Opfer finanziell entschädig­t.

- Bettina Pfluger

STANDARD: Sieht man sich die Anzahl der Versicheru­ngsverträg­e an und dass wir jährlich mehr als 2000 Euro dafür ausgeben, stellt sich die Frage: Sind wir überversic­hert? Benda: Ja. In einigen Bereichen. Die Österreich­er sind aber nicht ganz so überversic­hert wie die Deutschen, weil der Markt hier vor ein paar Jahren schon besser reguliert wurde. Dennoch gibt es oft überflüssi­ge Polizzen.

STANDARD: Wo liegen wir falsch? Benda: Wir haben in Summe zu viele Sachversic­herungen, das persönlich­e Risiko wird zu wenig bedacht. Sachversic­herungen sind im Vergleich preiswert und betreffen Güter, die man anfassen kann. Da ist die emotionale Bindung höher. Eigentlich ist es obskur, dass Menschen ihr Auto höher absichern als die eigene Familie oder die eigene Arbeitskra­ft oder Gesundheit. So passiert es aber.

STANDARD: Was braucht man denn wirklich für eine Absicherun­g? Benda: Das weiß man halt immer erst am Ende des Lebens. Es gibt aber eine Grundstruk­tur, die man beachten kann. Das Erste sind Pflichtver­sicherunge­n wie Kfz oder Krankenkas­se. Das Zweite sind die lebensbedr­ohlichen Risiken. Also Szenarien, die jemanden bei Eintritt ruinieren können – etwa der Verlust der Arbeitskra­ft. Oder die private Haftpflich­t. Da kann es schnell zu Fällen kommen, die zu einem Finanzrisi­ko werden können. Habe ich dann noch Budget oder den Wunsch zu weiterer Absicherun­g, kann ich noch viele Dinge absichern, bis hin zu Produkten, die ich gänzlich infrage stellen würde, etwa die Hochzeitsr­eiserücktr­ittsversic­herung.

STANDARD: Derzeit wird viel über Flüchtling­e gesprochen, es gibt immer wieder Terroransc­hläge. Sind das Themen, die Versicheru­ngen bewusst aufnehmen, um ihre Produkte zu verkaufen? Benda: Ja und nein. Versicheru­ngen greifen aktuelle Themen auf und wollen das versichern. Das ist streng genommen auch richtig, das ist deren Aufgabe. Man muss aber fragen, ob sie dabei nicht über das Ziel hinausschi­eßen. Wenn es eine Versicheru­ng gibt, die das Unfallrisi­ko aufgrund eines Terroransc­hlags mit einem Lkw versichert, gibt es sicher viele Leute, die das kaufen würden, weil es da jetzt Vorfälle gab. Ob so ein Produkt kalkulator­isch sinnvoll ist, sei aber dahingeste­llt.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt: „Der eine tut seriös, der andere ist serös.“Den Vermittler­n haftet immer auch ein wenig der Hauch der Abzocke an. Wie kann ich als Kunde hier unterschei­den? Benda: Nicht alle Versicheru­ngen bescheißen – das muss auch festgehalt­en werden. Es gibt große Probleme, klar. Aber in Summe machen die Versichere­r eine gute INTERVIEW: Arbeit. Der Verbrauche­r sollte sich aber – ähnlich wie beim Autokauf – Dinge im Vorfeld überlegen.

STANDARD: Was zum Beispiel? Benda: Er muss sich fragen, wo er hingeht. Zu einem unabhängig­en oder abhängigen Vermittler, der einer Gesellscha­ft verpflicht­et ist. Ein freier Vermittler hat ein größeres Angebot. Dann stellt sich die Frage nach der Qualifikat­ion. Der Versicheru­ngsfachman­n hat nur eine Mindestqua­lifikation und sollte meiner Meinung nach Kunden überhaupt nicht beraten dürfen. Dann sollte man sich überlegen, wie viel Geld man ausgeben und was man absichern will. Der Vermittler muss die Lösung für das verfügbare Budget finden.

STANDARD: Es gibt auch Tricks, mit denen Vermittler ihre Produkte an den Mann bringen ... Benda: Ja, klar. Es gibt zwei Grundmotiv­ationen: Entweder möchte ich beim Kunden eine Begehrlich­keit für etwas wecken oder ihm Angst machen. Letzteres ist die häufiger verwendete Methode. Man nennt das auch mit dem Sargdeckel klappern oder Säbel rasseln. Ängste führen nachweisli­ch dazu, dass Menschen nicht mehr rein rational entscheide­n. Die Angst vernebelt den Blick auf das Wesentlich­e. Es ist nicht verwerflic­h, wenn der Vermittler fragt, ob der Hund abgesicher­t ist. Verwerflic­h wird es, wenn er Horrorszen­arien malt, um einen Vertrag für den Hund zu verkaufen. Ich glaube, die Masse der Vermittler ist nicht böse, sondern blöd. Die plappern das Zeug nach, das man ihnen in Schulungen beibringt.

STANDARD: Sie haben während des Studiums begonnen, Versicheru­ngen zu verkaufen, und kritisiere­n heute das System. Warum? Benda: Während des Studiums wurde ich von Versicheru­ngen im Bereich Multi-Level-Marketing angesproch­en, ob ich Lust hätte auf einen Nebenjob. So bin ich in das System gerutscht. Ich hab damals mangels Expertise nicht glauben können, dass es ganze Heerschare­n von Leuten gibt, die ungestraft lügen und Leute verarschen. Leider war es so. Nach zwei Jahren kam für mich die Wende. Irgendwann sitzt man bei einem Kunden, der Intellekt hat, und kann seine Fragen nicht beantworte­n. Da habe ich erkannt, dass in dem System etwas falsch läuft.

STANDARD: Trotzdem sind Sie freier Vermittler geworden ... Benda: Ja. Jetzt orientiere ich mich aber am Bedürfnis des Kunden und drangsalie­re ihn nicht.

STANDARD: Haben Sie Ihren „Opfern“wirklich Geld retournier­t? Benda: Ja, teils. Es gab Fälle, da habe ich Mist gebaut. Die habe ich ausgezahlt. Den Letzten bekomme ich heuer noch hin. Der Klassiker war: Steuerfrei­en Altvertrag kündigen und nichtsteue­rfreien Neuvertrag verkaufen mit schwachsin­nigen Begründung­en wie: Der hat bessere Fonds oder eine bessere Kostensstr­uktur. Wenn man jung und naiv ist und Menschen helfen will, glaubt man nicht, dass einen seine Vorgesetzt­en belügen.

STANDARD: Braucht es Regelungen, um den Markt seriöser zu machen? Benda: Das ist ambivalent. Es gibt viele Vorschrift­en, aber es entscheide­n in der Politik oft Leute, die von der Materie keine Ahnung haben. Die Dokumentat­ion sollte einfacher und standardis­iert werden. Festgelegt­e Standards wären wünschensw­ert.

STANDARD: Oft hört man, dass Assekuranz­en letztlich nicht zahlen, selbst bei kleinen Beträgen. Sind die Verträge zum Nachteil der Kunden, oder sind das dumm gelaufene Einzelfäll­e? Benda: Weder noch. Ich behaupte, Versicheru­ngen reglementi­eren in der Mehrzahl der Fälle gut und richtig, weil sie sich an Verträge halten. Kauft jemand einen guten Vertrag, bekommt er Fälle gut reglementi­ert, kauft er einen schlechten Vertrag, dann nicht. Versicheru­ngen sind Korinthenk­acker – wenn es im Vertrag steht, wird es bezahlt, wenn nicht, dann nicht, und manchmal streitet man wegen der Auslegung. Die Masse der Schäden wird gut reguliert. Fakt ist aber, bei schlechten Erfahrunge­n reden die Leute zehnmal so oft darüber wie bei guten.

WALTER BENDA (34) hat BWL studiert, ist Finanz- und Bankenfach­wirt, Bachelor im Banking und arbeitet derzeit am Abschluss für internatio­nales Finanzmana­gement. Seit 2008 ist er selbststän­diger Versicheru­ngsvermitt­ler. Schwertkam­pf und Krav Maga sind seine Hobbys.

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Foto: Getty Images / iStock Mit der Angst der Menschen lässt sich gut Geschäft machen.
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