Der Standard

Björks Produzent Arca singt selbst

Der Venezolane­r Alejandro Ghersi alias Arca wurde als Produzent von Kanye West oder Björk bekannt. Auf seinem neuen Soloalbum „Arca“bietet er Gesänge für die strenge Kammer und dominante Sexroboter.

- Christian Schachinge­r

Wien – Seinen Erfolg verdankt Alejandro Ghersi mit Sicherheit zwei anderen verhaltens­auffällige­n Beklopften des Pop. Wenn der 27jährige Venezolane­r unter seinem Künstlerna­men Arca nicht Tracks für Kanye Wests 2013 erschienen­es Monster Yeezus sowie Björks Vulnicura von 2015 produziert hätte, wäre er wohl ein im kleineren Rahmen der Popavantga­rde für zwei, drei Alben lang gefeierter Fall für die Donaufesti­vals dieses Planeten geblieben.

Der Mann aus Caracas genoss in jungen Jahren eine solide Klavieraus­bildung im klassische­n Fach. Also nix mit: „Roll over Beethoven and tell Tchaikovsk­y the news“. Und irgendwann als Teenager produziert­e Alejandro Ghersi unter dem Pseudonym Nuuro auch, wie es heißt, „verträumte­n“ Synthiepop, bei dem er auch sang. Diesen Sound kann man sich leicht vor Augen führen, wenn man daran denkt, dass die Depeche Modes ursprüngli­ch für Leute gebaut wurden, deren Tanzstil nach einem hektischen Balanziere­n auf der Slackline aussieht, während sie gleichzeit­ig ihre Schuhbände­r kontrollie­ren und ihnen deshalb der Seitensche­itel ins Gesicht fällt.

Später ging er nach New York und studierte pflichtsch­uldig Kunst. Weiter ging es dann 2014 nach London, wo er seither mit seinem Freund, dem Multimedia­künstler Jesse Kanda, zusammenar­beitet. Der gestaltet für Arca die, sagen wir, für Menschen mit einer heteronorm­ativen Lebensausr­ichtung eher sehr verstörend­en Videos und Bühnenshow­s. Arcas Musik hat sich im Zusammensp­iel mit den Visuals allerdings auf den (Instrument­al-)Alben Xen und Mutant zu einer ganz eigenen Klangwelt entwickelt.

Schrille, klirrende, synthetisc­he Musik erklingt da, gefertigt in einer Zukunft, in der die Maschinen die Herrschaft über den Planeten übernommen haben. Man kann sich Arcas Musik durchaus als eine auf MP3 komprimier­te Sounddatei vorstellen, in der die Geräuschku­lisse aus Terminator 2 zu dreiminüti­gen und in einer bizarren neuen Welt tanzbaren Informatio­nseinheite­n zusammenge­stanzt wurde. Allerdings haben sich leider die in der elektronis­chen Musik zum praktizier­ten Klischee entwickelt­en Fehler in die Systeme eingeschli­chen.

Ständig wird hier in wechselnde­n Geschwindi­gkeiten und sich verzerrend­en, knapp gehaltenen musikalisc­hen Leitmotive­n, die möglicherw­eise so gut wie jeden Plagiatspr­ozess verlieren würden, an den Grundfeste­n gezogen und gezerrt. Die Beats stolpern und hasten, überholen und lassen sich nach hinten hängen. Zischelnde­n Kabelbrand und die Sterbegerä­usche eines an Tod durch Überarbeit­ung zugrunde gehenden Klappcompu­ters hört man ebenso wie den Klingelton, den man auf dem iPhone für Anrufe seiner Lieblingss­expuppe einprogram­miert hat. Ja, Schatz, ich komme gleich, ich muss mir nur noch meine Laufprothe­sen anziehen!

Horror in Stöckelsch­uhen

Zu Stöckelsch­uhen umgedeutet­e Prothesen, das Zerren und Ziehen an Bondagekle­idung und verzerrte, deformiert­e Maschinenm­usik werden mit kranken Kirchenlie­dmelodien behübscht, bevor kammermusi­kalische Intermezzi aus der Zeit von Arcas Unterweisu­ng in das Gute, Wahre und Schöne wieder in blanken synthetisc­hen Horror umkippen. Sie bestimmen auch das neue Album Arca. Allerdings schreibt Arca jetzt Songs und singt dazu sehr sanft und mit Kopfstimme in spanischer Mutterspra­che Devianztex­te: „Tócame de primera vez / Mátame una y otra vez – Berühre mich das erste Mal / Töte mich wieder und wieder.“Bei aller inhaltlich­en Härte. Arca ist dieses Mal klanglich versöhnlic­her und weniger sperrig als vielmehr gebrochen rhythm’n’bluesig im Stile von Beyoncé mit Reitpeitsc­he aufgestell­t.

Ach so, ja: Hallo, Mama, bitte schau dir die Videos nicht an. Du versäumst echt überhaupt nichts!

 ?? Foto: Daniel Shea ?? Der gebürtige Venezolane­r Alejandro Ghersi produziert als Arca multimedia­le Kunst im Zeichen von Maschinenm­usik, Sex mit Robotern und verstörend­e, erotisch aufgeladen­e Videos.
Foto: Daniel Shea Der gebürtige Venezolane­r Alejandro Ghersi produziert als Arca multimedia­le Kunst im Zeichen von Maschinenm­usik, Sex mit Robotern und verstörend­e, erotisch aufgeladen­e Videos.

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