Kürzungen bei der Mindestsicherung sparen nur wenig ein
Mangels einer bundesweit einheitlichen Lösung in Sachen Mindestsicherung gehen die Länder eigene Wege. Die Einsparungen fallen durchwegs mager aus. Umso größer ist die Kritik an den Kürzungen und Verschärfungen.
Wien – Mangels einer bundesweit einheitlichen Lösung regeln die Bundesländer die Mindestsicherung unterschiedlich. Außer in Salzburg und Wien, wo die bisherige Praxis fortgesetzt wird, setzen die Länder den Sparstift an. Im Osten wird pauschal gedeckelt, im Westen werden Leistungen gekürzt. Die Einsparungen fallen allerdings bescheiden aus.
Die Kosten für die Mindestsicherung sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen, was vor allem auf die Zunahme an anerkannten Asylwerbern und subsidiär Schutzberechtigten zurückgeführt wird. In Niederösterreich und im Burgenland wurde eine Deckelung umgesetzt, in beiden Ländern können Haushalte nicht mehr als 1500 Euro beziehen. Zudem gibt es Wartefristen. Wer nicht zumindest in fünf der letzten Jahre seinen Hauptwohnsitz in Österreich hatte, bekommt in Niederösterreich höchstens 572 Euro, im Burgenland 584 Euro. Davon sind allerdings nur 309 Personen betroffen, die Deckelung betrifft elf Haushalte. (red)
Wien/Graz/Innsbruck – Die Kosten für die Mindestsicherung stiegen in den vergangenen Jahren österreichweit kontinuierlich an. Als Hauptgrund dafür wird die starke Zunahme an anerkannten Asylwerbern und subsidiär Schutzberechtigten genannt. Wobei NGOs entgegenhalten, dass prekäre Wohn- und Arbeitsverhältnisse sowie steigende Lebenshaltungskosten das ihre zur wachsenden Zahl an Mindestsicherungsbeziehern beitragen.
Weil man sich im Herbst bundesweit nicht zu einer gemeinsamen Lösung in der Frage durchringen konnte, regeln die Länder die Mindestsicherung nun auf eigene Faust. In Wien und Salzburg bleibt vorerst alles beim Alten. Obwohl gerade in der Bundeshauptstadt die Kosten am stärksten gestiegen sind, will man den Sparstift bewusst nicht bei den sozial Schwächsten ansetzen.
Deckelung im Osten
Anders ist die Situation in Niederösterreich und im Burgenland, die bereits eine Deckelung der Mindestsicherung umgesetzt haben. In beiden Ländern können Haushalte nicht mehr als 1500 Euro beziehen. Zudem gibt es Wartefristen. Wer nicht zumindest in fünf der letzten sechs Jahre seinen Hauptwohnsitz oder einen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich hatte, bekommt in Niederösterreich monatlich höchstens 572,50 Euro. Die reguläre Mindestsicherung für Einzelpersonen beträgt rund 845 Euro pro Monat. Noch gebe es keine aktuellen Zahlen, wie viele Haushalte von den Kürzungen betroffen sind, heißt es von der scharz-roten Landesregierung in St. Pölten.
Genauere Daten liefert das rotblau regierte Burgenland, wo Einzelpersonen höchstens 838 Euro bekommen. Wer noch keine fünf Jahre seinen Hauptwohnsitz in Österreich hatte, erhält künftig 584 Euro, wovon insgesamt 309 Personen betroffen sind, die Deckelung betrifft elf Haushalte. Durch die Kürzungen sollen 360.000 Euro pro Jahr eingespart werden.
Noch nicht umgesetzt, aber geplant ist die Deckelung im von ÖVP und FPÖ regierten Oberösterreich. 2015 wären davon 157 Haushalte betroffen gewesen. Bereits im Jänner gestand ÖVP-Sozialsprecher Wolfgang Hattmannsdorfer ein, dass das Einsparungspotenzial gering sei. Darum gehe es aber nicht, sondern um ein „Signal“. „Die Menschen verspü- ren eine Gerechtigkeitslücke.“Seit 1. Juli 2016 gilt in Oberösterreich bereits die Kürzung der Mindestsicherung für befristet Asylund subsidiär Schutzberechtigte. Sie bekommen statt 914 Euro 520 Euro. Gebracht hat diese Regelung im zweiten Halbjahr 2016 laut Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer (SPÖ) insgesamt 20.000 Euro, betroffen sind 45 Personen.
In der Steiermark, wo ÖVP und SPÖ regieren, wurde die Mindestsicherung ebenfalls schon 2016 novelliert. An der Höhe des Grundbezuges hat sich nichts geändert, allerdings wurden die Rahmenbedingungen verschärft. Es gibt nun mehr Sach-statt Geldleistungen. Zudem wurden raschere Sanktionsmöglichkeiten bei “Arbeitsunwilligkeit” eingeführt. Auch sind seit der Novellierung Leistungen an den Besuch von Werte- und Sprachkursen gebunden. Diese Verknüpfung wird aktuell auch in Kärnten in der SPÖ-ÖVP-Grünen-Koalition diskutiert. Aber wie in der Steiermark soll es auch hier bei der Höhe der Mindestsicherung keine Änderungen geben, nur soll eben der Bezug an eine „Integrationsbereitschaft“gebunden sein. Die Reformen in den anderen Bundesländern beinhalten ähnliche Integrationsverpflichtungen.
Kürzungen im Westen
Tirol und Vorarlberg, wo schwarz-grüne Koalitionen regieren, haben ihre Mindestsicherunggesetze in enger Abstimmung reformiert. In Kraft treten werden die neuen Regelungen mit 1. Juli 2017. Während die Landesregierungen von einem großen Wurf sprechen und sich von den Deckelungen im Osten klar distanzieren, üben Sozialvereine und NGOs harsche Kritik.
Statt einer pauschalen Deckelung der Mindestsicherung kommt eine Obergrenze für Wohnkosten. In Vorarlberg je nach Familienkonstellation, in Tirol nach Bezirken. Zudem werden die Richtsätze für Kinder gestaffelt, und zwar so, dass Mehrkindfamilien weniger erhalten. Eine Maßnahme, die klar auf Flüchtlingsfamilien abziele, weshalb NGOs bereits Klagen gegen die Reform planen. Die dadurch erzielten Einsparungen werden in Tirol auf etwa 4,7 Millionen Euro und in Vorarlberg auf rund drei Millionen geschätzt. (ars, koli, mue)
Das versteht man im Burgenland also unter Bürgernähe: Die rotblaue Regierung arbeitet so präzise, dass sie Gesetze regelrecht auf Einzelfälle zuschneidert. Das gilt zumindest für die Reform der Mindestsicherung. Von der Begrenzung der Leistung auf maximal 1500 Euro sind ganze elf Haushalte betroffen.
Vom Burgenland, das relativ wenige Bezieher beherbergt, lässt sich nicht per se auf ganz Österreich schließen, und flächendeckende Zahlen liegen noch nicht vor. Doch ein Trend zeichnet sich ab: Auch im schwarzblauen Oberösterreich ist der „Deckel“ein Minderheitenprogramm für 0,0irgendwas Prozent der Haushalte.
Dabei hatten ÖVP und FPÖ um diese Idee herum einen Popanz aufgebaut, der letztlich zum Scheitern der bundesweiten Regelung der Mindestsicherung führte. Ohne Einschnitte wie die Deckelung, so wurde suggeriert, drohe die Kostenexplosion das Sozialsystem zu sprengen. Nun zeigt sich: Die Folgen sind für die einzelnen Betroffenen empfindlich, die Einsparungen aber – wie die oberösterreichische Volkspartei einräumte – gering.
Mit der Realität kollidieren auch die anderen Argumente, die den Deckel legitimieren sollen. Von einem Signal der Gerechtigkeit sprechen die Befürworter gerne – und weisen darauf hin, dass sich so mancher Job wegen der allzu üppigen Mindestsicherung nicht mehr lohne.
Doch diese Behauptung blendet zwei Tatsachen aus: Erstens müssen sich Bezieher vom Arbeitsmarktservice vermitteln lassen, sonst drohen Leistungskürzungen – hier ließe sich bei Bedarf nachschärfen. Zweitens sind in Zeiten von immer noch rekordverdächtig hoher Arbeitslosigkeit Jobs nicht gerade nach Belieben verfügbar. Da so zu tun, als müssten die Menschen nur wollen, ist einigermaßen zynisch.
Außerdem: Soll sich Arbeit mehr lohnen, sollte die Politik nicht die Arbeitslosen bestrafen, sondern die „Working Poor“unterstützen – etwa mit einer Senkung der Sozialabgaben.
Was die Erfinder des Deckels und anderer Kürzungspläne ebenso ignorieren: Das Niveau der Mindestsicherung wurde vor Jahren nicht per Zufallsgenerator fixiert, sondern es orientiert sich an der Ausgleichszulage für Pensionisten, die als eine Art Armutsgrenze gilt. Warum sollen Menschen, noch dazu bei steigenden Wohnkosten, nun mir nichts, dir nichts mit weniger auskommen können?
Diese Frage sollten sich nicht nur Politiker aus SPÖ, ÖVP und FPÖ stellen, sondern auch die Grünen. Dass etwa in Vorarlberg die Abgeltung der Wohnkosten eingeschränkt wird, tragen sie in der Landesregierung mit – zähneknirschend, aber letztlich koalitionstreu zur ÖVP. Die Armutskonferenz hat die nun vorgesehenen Leistungen mit den Mietpreisen in Bregenzer Immobilieninseraten verglichen. Ergebnis: Selbst von den angebotenen Ein- und Zweizimmerwohnungen sei die Mehrheit für Bezieher der Mindestsicherung unerschwinglich.
Doch dass sachliche Abwägungen zweitrangig sind, ist Markenzeichen der Auseinandersetzung. Das Gewicht der Debatte stehe in keinem Verhältnis zu den Kosten der Mindestsicherung, die nur ein Prozent der Sozialausgaben ausmachen, stellte Christoph Badelt, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts, treffend fest: Dabei werde aber ein soziales „Feuer“entfacht, „das man schwer löschen kann“.
Oder, wie die Kürzungsbefürworter sagen: Es geht um ein Signal. Genau das ist das Problem.