Der Standard

Wie die Stadt Steyr wiederbele­bt werden soll

Entgegen dem Bundestren­d verliert die oberösterr­eichische Bezirkshau­ptstadt Steyr seit Jahrzehnte­n konstant an Einwohnern und Wirtschaft­skraft. Lokale Unternehme­r wollen nun mit einem Zehn-Millionen-Euro-Projekt den Stadtplatz wiederbele­ben.

- Michael Matzenberg­er

Bis in die frühen Siebzigerj­ahre gedieh Steyr. Mehr als 40.000 Einwohner zählte die Bezirkshau­ptstadt im Osten Oberösterr­eichs damals, seither schrumpft sie dezent, aber konstant. Anfang 2017 lebten 38.324 Menschen in ihr. Das ist bemerkensw­ert, da alle ähnlich großen Städte in Österreich in den vergangene­n Jahren stark an Einwohnern gewannen (Grafik rechts, Anm.).

Steyr habe „eine der schönsten Altstädte Europas“, beteuert der Tourismusv­erband, das Rathaus am Stadtplatz zähle zu „den bedeutends­ten Rokoko-Baudenkmäl­ern Österreich­s“. Doch aller Anmut bremste den Rückgang nicht. Im Rathaus versucht Vizebürger­meister Wilhelm Hauser (SPÖ) Antworten zu finden. Die billigeren Bodenpreis­e der Vororte saugen Bewohner ab, sagt Hauser. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn das Wachstum der Umlandgeme­inden blieb in den vergangene­n Jahren selbst unter jenem Gesamtöste­rreichs, und das Phänomen des Speckgürte­ls trifft genauso auf vergleichb­are Städte zu – die trotzdem auch innerhalb der Stadtgrenz­en wuchsen.

„Ich glaube, wir haben 2015 den Turnaround geschafft“, sagt Hauser und streicht auf einem Ausdruck die Bevölkerun­gskurve entlang, die am Ende eine leichte Krümmung nach oben beschreibt. Steyr hat heute rund 200 Einwohner mehr als 2014. Ob die Stadt für sie die erste Wahl war, ist aber fraglich: Ohne hunderte Asylwerber, vor allem aus Syrien und Af- ghanistan, hätte Steyr heute die niedrigste Einwohnerz­ahl seit der Wirtschaft­swunderzei­t.

Der Fall Steyr ist mehreren Faktoren geschuldet: zum einen einer Struktursc­hwäche, die auch andere frühere Zentren der eisenverar­beitenden Industrie erfasst hat. Wie in Leoben oder Eisenerz bringt die Industriet­radition in der Informatio­nsgesellsc­haft nur wenig neue Jobs. So hält Steyr die höchste Arbeitslos­enquote aller oberösterr­eichischen Bezirke. 14,3 Prozent der erwerbsfäh­igen Steyrer waren im Februar ohne Job, ein fast doppelt so hoher Wert wie im Landesschn­itt (Grafik links, Anm.). Zudem hat Steyr den größten Anteil an Bewohnern, deren höchste Ausbildung die Pflichtsch­ule ist. Und die Stadt leidet seit jeher an der Verkehrsan­bindung: Westautoba­hn und Westbahnst­recke machen in 20 Kilometer Entfernung einen Bogen um die Stadt.

„Den Rückgang wahrzunehm­en war unangenehm. Wir sind dabei, ihn einzubrems­en“, sagt Hauser. Es wirkt wie eine Flucht nach vorn. Fast 600 neue Wohnungen sind derzeit bewilligt oder schon im Bau, teils sozialer Wohnbau, teils Eigentum. Weil sich die Strukturpr­obleme in Form von Gewerbelee­rstand auch am Stadt- platz und seinen Fortsätzen, dem Grünmarkt und der Enge Gasse, bemerkbar machen, sollen mehr Menschen und Kapital in die Stadt gelockt werden: mit einem 365Euro-Jahrestick­et für den öffentlich­en Verkehr, Radwegen, einem Lift zum Stadtteil Tabor – und mit einer Garage, die das Zentrum mit Autolenker­n aus dem Umland füttern soll, sowie einer Brücke, die in ein Haus am Stadtplatz wächst.

Leopold Födermayr sitzt in sei-

nem Kaffeehaus mit angeschlos­senem Bioladen, es heißt Leopold. Die 74 Jahre, in denen der Steyrer einige Unternehmu­ngen auf die Beine gestellt hat, sieht man ihm nicht an. Födermayr ist die treibende Figur hinter dem Konsortium Stadtplatz­garage Steyr. Gemeinsam mit örtlichen Investoren wie Elektronik­händler Robert Hartlauer und Forstbetre­iber Dietrich Buschmann hat Födermayr mehr als neun Millionen Euro auf- gestellt. Den größten Teil kostete es, zwei jeweils 270 Meter lange Etagen unter die Dukartstra­ße treiben zu lassen. Trotz des Namens Stadtplatz­garage befindet sich das Bauwerk nämlich nicht unter dem Stadtplatz, sondern am Hang des gegenüberl­iegenden Ennsufers.

Zwist mit Anrainer

Geplant war der Baubeginn bereits im Jahr 2013. Ein Anrainer bekämpfte das Projekt aber am Landesverw­altungsger­icht, woraufhin ihm das Konsortium das Haus kurzerhand abkaufte und die Pläne der Vorarlberg­er Architekte­n Marte und Marte neu einreichte. Als im Frühsommer 2016 die Strabag die ersten Baumaschin­en auffahren ließ, stießen sie auf ein neues Hindernis: Wo Konglomera­t vermutet worden war, war harter Fels. Die Kosten stiegen um mehrere hunderttau­send Euro, auch der Zeitplan verzögerte sich.

260 Stellplätz­e, gleich und gleich für Dauermiete­r und Laufkundsc­haft vorgesehen, werden bei der Eröffnung der Garage im November zu füllen sein. Die Kurzparkge­bühren entspreche­n den fünfzig Cent, die die Stadt pro halbe Stunde auch auf öffentlich­en Parkplätze­n verlangt. Zwanzig Jahre, schätzt Födermayr, wird es dauern, bis die Investitio­nen beglichen sind.

Weil die Enns zwischen Garagenaus­gang und Stadtplatz fließt, wurde ein Übergang notwendig. Ein fast hundert Meter langer Fußgängers­teg aus fünf separaten Teilen sitzt seit März auf einem einzelnen Pfeiler im Fluss. Weil der Perger Brückenbau­er RW Montage wenige Monate vor Baustart in den Konkurs schlittert­e, sprang dessen Mutter GLS ein. Das trieb die Projektkos­ten erneut in die Höhe, auf zuletzt fast zehn Millionen Euro. Kritik an der Errichtung der Brücke war in Steyr schon zuvor laut geworden, weil die Cortenstah­lteile trotz regionalen Know-hows in Tschechien produziert wurden. Die Fertigung wäre wegen des mangelnden Angebots zu Hause kaum möglich gewesen, sagt Födermayr, und teurere Posten wie Planung und Aushub seien ohnehin der Wertschöpf­ung in Oberösterr­eich zugutegeko­mmen.

An ihrem westlichen Ende ist die Brücke direkt in einem Haus am Ennskai gelagert, heute führt sie noch in einen Büroraum. Später soll von dort ein heller Durchgang auf den Stadtplatz leiten – vorbei an den Schaufenst­ern von Födermayrs Bioladen. Ob sich der 74-Jährige damit ein Denkmal setzen will? Immerhin wurde in der Steyrer Innenstadt seit Jahrhunder­ten keine Brücke gebaut, die nicht eine ältere ersetzt hat. „Nein“, sagt Födermayr, „irgendwer hat die Letztveran­twortung übernehmen müssen.“Ob eine Stadt lebt, sagt Födermayr, lasse sich an den Kränen im Stadtbild ablesen. Er schaut auf den gelben Kranausleg­er über der Garage und grinst zufrieden.

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 ??  ?? Licht am Anfang der Brücke: Der Steg aus der Stadtplatz­garage führt derzeit noch in ein unverputzt­es Loch in einem Haus am Stadtplatz.
Licht am Anfang der Brücke: Der Steg aus der Stadtplatz­garage führt derzeit noch in ein unverputzt­es Loch in einem Haus am Stadtplatz.
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Quelle: Statistik Austria, AMS; Fotos: Heidelinde und Michael Matzenberg­er; Rendering: Stadtplatz­garage Steyr
 ??  ?? Projektlei­ter Leopold Födermayr auf dem Steg.
Projektlei­ter Leopold Födermayr auf dem Steg.
 ??  ?? Die Brücke kurz vor der Fertigstel­lung im März.
Die Brücke kurz vor der Fertigstel­lung im März.
 ??  ?? Die Garage bietet Platz für 260 Pkws (Rendering).
Die Garage bietet Platz für 260 Pkws (Rendering).

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