Wie die Stadt Steyr wiederbelebt werden soll
Entgegen dem Bundestrend verliert die oberösterreichische Bezirkshauptstadt Steyr seit Jahrzehnten konstant an Einwohnern und Wirtschaftskraft. Lokale Unternehmer wollen nun mit einem Zehn-Millionen-Euro-Projekt den Stadtplatz wiederbeleben.
Bis in die frühen Siebzigerjahre gedieh Steyr. Mehr als 40.000 Einwohner zählte die Bezirkshauptstadt im Osten Oberösterreichs damals, seither schrumpft sie dezent, aber konstant. Anfang 2017 lebten 38.324 Menschen in ihr. Das ist bemerkenswert, da alle ähnlich großen Städte in Österreich in den vergangenen Jahren stark an Einwohnern gewannen (Grafik rechts, Anm.).
Steyr habe „eine der schönsten Altstädte Europas“, beteuert der Tourismusverband, das Rathaus am Stadtplatz zähle zu „den bedeutendsten Rokoko-Baudenkmälern Österreichs“. Doch aller Anmut bremste den Rückgang nicht. Im Rathaus versucht Vizebürgermeister Wilhelm Hauser (SPÖ) Antworten zu finden. Die billigeren Bodenpreise der Vororte saugen Bewohner ab, sagt Hauser. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn das Wachstum der Umlandgemeinden blieb in den vergangenen Jahren selbst unter jenem Gesamtösterreichs, und das Phänomen des Speckgürtels trifft genauso auf vergleichbare Städte zu – die trotzdem auch innerhalb der Stadtgrenzen wuchsen.
„Ich glaube, wir haben 2015 den Turnaround geschafft“, sagt Hauser und streicht auf einem Ausdruck die Bevölkerungskurve entlang, die am Ende eine leichte Krümmung nach oben beschreibt. Steyr hat heute rund 200 Einwohner mehr als 2014. Ob die Stadt für sie die erste Wahl war, ist aber fraglich: Ohne hunderte Asylwerber, vor allem aus Syrien und Af- ghanistan, hätte Steyr heute die niedrigste Einwohnerzahl seit der Wirtschaftswunderzeit.
Der Fall Steyr ist mehreren Faktoren geschuldet: zum einen einer Strukturschwäche, die auch andere frühere Zentren der eisenverarbeitenden Industrie erfasst hat. Wie in Leoben oder Eisenerz bringt die Industrietradition in der Informationsgesellschaft nur wenig neue Jobs. So hält Steyr die höchste Arbeitslosenquote aller oberösterreichischen Bezirke. 14,3 Prozent der erwerbsfähigen Steyrer waren im Februar ohne Job, ein fast doppelt so hoher Wert wie im Landesschnitt (Grafik links, Anm.). Zudem hat Steyr den größten Anteil an Bewohnern, deren höchste Ausbildung die Pflichtschule ist. Und die Stadt leidet seit jeher an der Verkehrsanbindung: Westautobahn und Westbahnstrecke machen in 20 Kilometer Entfernung einen Bogen um die Stadt.
„Den Rückgang wahrzunehmen war unangenehm. Wir sind dabei, ihn einzubremsen“, sagt Hauser. Es wirkt wie eine Flucht nach vorn. Fast 600 neue Wohnungen sind derzeit bewilligt oder schon im Bau, teils sozialer Wohnbau, teils Eigentum. Weil sich die Strukturprobleme in Form von Gewerbeleerstand auch am Stadt- platz und seinen Fortsätzen, dem Grünmarkt und der Enge Gasse, bemerkbar machen, sollen mehr Menschen und Kapital in die Stadt gelockt werden: mit einem 365Euro-Jahresticket für den öffentlichen Verkehr, Radwegen, einem Lift zum Stadtteil Tabor – und mit einer Garage, die das Zentrum mit Autolenkern aus dem Umland füttern soll, sowie einer Brücke, die in ein Haus am Stadtplatz wächst.
Leopold Födermayr sitzt in sei-
nem Kaffeehaus mit angeschlossenem Bioladen, es heißt Leopold. Die 74 Jahre, in denen der Steyrer einige Unternehmungen auf die Beine gestellt hat, sieht man ihm nicht an. Födermayr ist die treibende Figur hinter dem Konsortium Stadtplatzgarage Steyr. Gemeinsam mit örtlichen Investoren wie Elektronikhändler Robert Hartlauer und Forstbetreiber Dietrich Buschmann hat Födermayr mehr als neun Millionen Euro auf- gestellt. Den größten Teil kostete es, zwei jeweils 270 Meter lange Etagen unter die Dukartstraße treiben zu lassen. Trotz des Namens Stadtplatzgarage befindet sich das Bauwerk nämlich nicht unter dem Stadtplatz, sondern am Hang des gegenüberliegenden Ennsufers.
Zwist mit Anrainer
Geplant war der Baubeginn bereits im Jahr 2013. Ein Anrainer bekämpfte das Projekt aber am Landesverwaltungsgericht, woraufhin ihm das Konsortium das Haus kurzerhand abkaufte und die Pläne der Vorarlberger Architekten Marte und Marte neu einreichte. Als im Frühsommer 2016 die Strabag die ersten Baumaschinen auffahren ließ, stießen sie auf ein neues Hindernis: Wo Konglomerat vermutet worden war, war harter Fels. Die Kosten stiegen um mehrere hunderttausend Euro, auch der Zeitplan verzögerte sich.
260 Stellplätze, gleich und gleich für Dauermieter und Laufkundschaft vorgesehen, werden bei der Eröffnung der Garage im November zu füllen sein. Die Kurzparkgebühren entsprechen den fünfzig Cent, die die Stadt pro halbe Stunde auch auf öffentlichen Parkplätzen verlangt. Zwanzig Jahre, schätzt Födermayr, wird es dauern, bis die Investitionen beglichen sind.
Weil die Enns zwischen Garagenausgang und Stadtplatz fließt, wurde ein Übergang notwendig. Ein fast hundert Meter langer Fußgängersteg aus fünf separaten Teilen sitzt seit März auf einem einzelnen Pfeiler im Fluss. Weil der Perger Brückenbauer RW Montage wenige Monate vor Baustart in den Konkurs schlitterte, sprang dessen Mutter GLS ein. Das trieb die Projektkosten erneut in die Höhe, auf zuletzt fast zehn Millionen Euro. Kritik an der Errichtung der Brücke war in Steyr schon zuvor laut geworden, weil die Cortenstahlteile trotz regionalen Know-hows in Tschechien produziert wurden. Die Fertigung wäre wegen des mangelnden Angebots zu Hause kaum möglich gewesen, sagt Födermayr, und teurere Posten wie Planung und Aushub seien ohnehin der Wertschöpfung in Oberösterreich zugutegekommen.
An ihrem westlichen Ende ist die Brücke direkt in einem Haus am Ennskai gelagert, heute führt sie noch in einen Büroraum. Später soll von dort ein heller Durchgang auf den Stadtplatz leiten – vorbei an den Schaufenstern von Födermayrs Bioladen. Ob sich der 74-Jährige damit ein Denkmal setzen will? Immerhin wurde in der Steyrer Innenstadt seit Jahrhunderten keine Brücke gebaut, die nicht eine ältere ersetzt hat. „Nein“, sagt Födermayr, „irgendwer hat die Letztverantwortung übernehmen müssen.“Ob eine Stadt lebt, sagt Födermayr, lasse sich an den Kränen im Stadtbild ablesen. Er schaut auf den gelben Kranausleger über der Garage und grinst zufrieden.