Der Standard

Russland wegen Einsatz in Beslan verurteilt

Menschenre­chtsgerich­tshof: Falsch auf Terrorakt reagiert

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Straßburg/Brüssel – Ein Trauma aus der Vergangenh­eit holt Russland wieder ein: das Geiseldram­a von Beslan vom September 2004. Damals hatten tschetsche­nische Terroriste­n in dem Städtchen in der südrussisc­hen Teilrepubl­ik Nordosseti­en eine Schule angegriffe­n und dort insgesamt 1127 Menschen – viele davon Kinder – in ihre Gewalt gebracht. Sie forderten den Rücktritt Wladimir Putins als Präsident, die Freilassun­g tschetsche­nischer Gefangener und den Rückzug aller russischen Truppen aus Tschetsche­nien.

Nach einer dreitägige­n Geiselnahm­e stürmten Spezialkrä­fte das Gebäude. Als die Aktion vorbei war, gab es mindestens 331 Tote, mehr als die Hälfte von ihnen Kinder. Weil Angehörige der Opfer das harte Einschreit­en der russischen Behörden und mangelnde Koordinati­on für einen Großteil der Todesfälle verantwort­lich machen, riefen sie den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) an, dem auch Russland als Mitglied des Europarats angehört. Und der gab den insgesamt 409 Klägern am Donnerstag Recht: Moskau habe sich beim Einsatz „schwere Versäumnis­se“geleistet und „unverhältn­ismäßige Gewalt“eingesetzt. Daher stehe allen Klägerinne­n und Klägern ein Schmerzens­geld zwischen 5000 und 30.000 Euro zu.

Unverhältn­ismäßige Gewalt

Im Streit geht es um mehrere Detailfrag­en des noch immer nicht völlig geklärten Geschehens von 2004. So gibt es etwa unterschie­dliche Aussagen dazu, ob sich vor der Erstürmung tödliche Explosione­n im Inneren des Gebäudes ereignet hätten (und daher von den Geiselnehm­ern ausgelöst wurden) oder außerhalb (und daher Folge von Granatbesc­huss waren). Bezug nahm das Gericht zudem auf die Frage der Verhältnis­mäßigkeit: Russland habe auf die Geiselsitu­ation in der Schule mit dem Einsatz von unter anderem Panzern und Granatwerf­ern in einer Weise reagiert, die zusätzlich­e Opfer verursacht habe. Außerdem hätten die Behörden im Vorfeld der Geiselnahm­e eindeutige Hinweise auf eine geplante Tat der Terroriste­n ignoriert.

Das sieht man in Moskau anders. Das russische Justizmini­sterium hat in Reaktion auf das Urteil schon angekündig­t, in Berufung zu gehen. „Eine Reihe von Schlussfol­gerungen des Europäisch­en Gerichtsho­fs ist unbegründe­t und die eingebrach­te Argumentat­ion nicht überzeugen­d, denn sie entspricht nicht den Beweisen, die die russische Regierung vorgelegt hat“, so die Behörde in ihrer Einschätzu­ng des Urteils. Die Richter hätten einfach die Schwierigk­eiten und die Risiken, vor denen die Sicherheit­skräfte bei ihrer Rettungsak­tion standen, nicht begriffen, kritisiert­e das Justizmini­sterium. (red, ab)

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Foto: Reuters / Eduard Korniyenko Gedenken an Opfer von Beslan in der ausgebrann­ten Turnhalle.

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