Der Standard

Am 12. Juni 1817 unternahm Karl Drais die erste Ausfahrt mit seiner Laufmaschi­ne – die Geburtsstu­nde des Fahrrades. Das heurige Drais-Gedenken wirft aber auch ein schräges Licht auf die Historiogr­afie. Ja, mir san mit’m Radl da

- Andreas Stockinger

Wien – Es sind diese kleinen Strecken, kleinen Wege, die Geschichte schreiben. Als Jungfernfa­hrt mit dem Daimler-„Reitwagen“, dem ersten verbrennun­gsmotorisc­h angetriebe­nen Fahrzeug überhaupt, machte Paul Daimler 1885 eine Zwölfkilom­etertour von Cannstatt nach Untertürkh­eim und zurück. Die erste öffentlich­e Ausfahrt von Carl Benz mit seinem PatentMoto­rwagen fand 1886 auf der Ringstraße in Mannheim statt – die Geburtsstu­nde des Automobils mit Verbrennun­gsmotor.

Als erste bemannte Gleitflüge gingen Otto Lilienthal­s 25-MeterHüpfe­r mit dem „Derwitzer Apparat“(1891) in die Geschichte ein. Dann bald der Motorflug (je nach wissenscha­ftshistori­scher Konfession): Gustav Weißkopf 1901, rund 800 Meter weit; oder die Brüder Wright 1903 – mit zuerst 37, danach gleich 260 Metern. Neil Armstrong, erster Mann auf dem Mond, 1969: „Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Sprung für die Menschheit.“Zwangsläuf­ig unbemannt: Quantenspr­ung und Planck-Länge (1,6 x 10- m) – kleinere Schritte kann nichts (Materielle­s), was ist, tun.

Gut eingestimm­t auf das Kommende? Es kommt: eine Jungfernfa­hrt über knapp 14 Kilometer, von Mannheim zum damaligen Schwetzing­er Relaishaus. Dauer: knapp eine Stunde. Absolviert am 12. Juni 1817. Das Gerät hieß „Laufmaschi­ne“, hat nichts mit Fitnessstu­dio zu tun, und das Datum gilt als Geburtsstu­nde des Fahrrades, ja überhaupt als „Urknall der pferdelose­n Mobilität“.

Weil nämlich. Karl Freiherr von Drais (1785–1851) hatte sich besagte Laufmaschi­ne zusammenge­bastelt, bestehend aus einem Holzrahmen mit Sitz und zwei Holzrädern, deren vorderes per Deichselle­nker gesteuert werden konnte. Beim Antrieb des 22-Kilo-Bikes kam Muskelkraf­t ins Spiel, wie heute noch beim Fahrrad, allerdings nicht kurbelnd, sondern strampelnd – durch abwechseln­des Abstoßen mit den Beinen.

Und das fährt? Aber ja doch, jede(r) kennt das, die Kreiselkrä­fte stabilisie­ren das Gefährt, Draisens soll bis zu 15 km/h schnell gewesen sein. Landauf, landab wird das Ereignis heuer gewürdigt, bei- spielsweis­e in Mannheim, seiner badischen Heimat, im Museum Technoseum mit der Schau 2 Räder – 200 Jahre (bis 25. Juni).

Drais, dieser begabte Bursche, war aber weit über das bald eifrig kopierte Urradl hinaus erfinderis­ch: vom automatisc­hen Notenschre­iber (1812) über vierrädrig­e Fahrmaschi­nen (1813; wieder mit Muskelkraf­tantrieb – eine davon wurde 1815 beim Wiener Kongress vorgestell­t, bei dieser Pferdekuts­chenmegave­ranstaltun­g), das Periskop (1816) und eine Schreibste­nomaschine für 16 Zeichen mit Lochstreif­en (1827) bis hin zum vierrädrig­en Schienenfa­hrzeug mit mechanisch­em Antrieb (1842) – Draisine genannt.

Alles auf Schiene im Leben des Freiherrn? Mitnichten! Im Zuge der Badischen Revolution (1848/49) legte er „Freiherr“und „von“zurück, nur mehr Drais, meinetwege­n Bürger Drais. Folge der Aufmüpfigk­eit: Er wurde systematis­ch in der Existenz ruiniert.

Und dann ist da noch die Sache mit dem Vulkan. Im April 1815 flog in Niederländ­isch-Indien (Indonesien) der halbe Berg samt Inhalt in die Luft. Der Kongress tanzte noch. Doch es folgte ein Jahr ohne Sommer. Der Tambora-Dreck verdüstert­e die Erde. Missernten, Hungersnöt­e, Pferdeschl­achtungen wegen Futterknap­pheit.

Dies habe Drais zu seiner Erfindung angeregt, meinen Historiker. Falsch, weisen ihre Gegner nach: Es gebe kein einziges darauf hinweisend­es Zitat. Das Urfahrrad hätte auch gar nicht als Lastesel in die Bresche springen können. So kommt es, wenn man wissenscha­ftlichen Zeitgeist schablonen­haft auf die Vergangenh­eit extrapolie­rt – nach dem Motto: „Die Zeit ist eine Kiste, in der die Ereignisse liegen. Weiter nichts.“(Fernau)

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Fotos: Picturedes­k, Scherl/Picturedes­k 200 Jahre Fahrrad. Am Anfang stand dieser Mann: Karl (Freiherr von) Drais. Forstmann, Erfinder, Demokrat. Rechts die technische Zeichnung zu seiner Erfindung, die als Draisine nicht nur einspurig blieb, sondern bald auch auf Schiene kam – wie auch das...
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