Im Dickicht der Leidenschaften
Der südkoreanische Filmregisseur Park Chan-wook, bekannt für sein betont physisches Kino, knüpft mit dem Historiendrama „Die Taschendiebin“stilistisch an seine bisherigen Arbeiten an. Das erotische Verwirrspiel folgt dabei jedoch speziellen Gesetzen.
Wien – Dem Kino des südkoreanischen Regisseurs Park Chan-wook nähert man sich am besten, indem man sich an herausragende Bilder seiner Arbeiten erinnert. Die Fahrt mit dem Fahrstuhl und die unter Wasser aufgeschnittenen Fußsehnen in Sympathy for Mr. Vengeance. Der in einer Szene ohne Schnitt gefressene lebendige Oktopus in Oldboy. Der begrabene Junge, ebenfalls noch lebendig, in Stoker. Denn Parks Kino ist ein extrem physisches: Der bleibende Nachhall dieser Momente speist sich aus der Inszenierung von intensiver Körperlichkeit, in der sich Gewalt, Trauer und Groteskes vermengen.
Die Taschendiebin (The Handmaiden) reiht sich in dieser Hinsicht in seine vorangegangenen Arbeiten ein. Gelöst wandelt die Erzählung von einem denkwürdigen Moment zum nächsten – ein Kino, das von der Freude über die eigenen Möglichkeiten geradezu berauscht scheint. Der Plot behauptet ein komplexes Verwirrspiel und ist dabei, wie oft bei Park, verliebt in die Idee des überraschenden Wendepunkts. Die Taschendiebin Sokee (Kim Tae-ri) wird im Korea der 1930er-Jahre, unter japanischer Besatzung, von einem Hochstapler als Hausmädchen auf die reiche Erbin Hideko (Kim Min-hee) angesetzt. Diese soll ihren Onkel heiraten und Sokee dafür sorgen, dass Hideko sich in Sokees Auftraggeber verliebt. Was nicht funktioniert, weil die Körper noch einer anderen Stimme gehorchen, die sich der Ratio widersetzt: jener einer überschießenden, nicht instrumentalisierbaren Sexualität.
Wer es in diesem Film ehrlich meint und wer nur spielt, bleibt lange unklar und wird erst am Ende des Geschehens ersichtlich. Denn wer wann mit wem intri- giert, wird zweimal erzählt – aus verschiedenen Perspektiven. Wobei im zweiten Durchgang die Lücken mit Auflösungen und Volten gefüllt werden, die man beim ersten nur vermuten konnte.
Das opulente Anwesen, auf dem die vier Figuren mit ihren Interes- sen, Leidenschaften und – in einem Fall auch – Perversionen entsprechende Konstellationen eingehen und wieder auflösen, verbindet viktorianische und japanische Architektur. Der Blick auf die Ausstattung und die Kulissen kehrt dabei die Schauwerte hervor. Doch bei aller Opulenz interessiert sich The Handmaiden eigentlich für anderes: Der Fortgang der Geschichte dient zuallererst dazu, nachhallende Körperinszenierungen ins Bild zu setzen.
Utopischer Gegenentwurf
Die Inszenierung der Sexszenen gelingt Park mit unbekümmerter Virtuosität, und die Körperlichkeit in The Handmaiden ist im Gegensatz zu Parks bisherigen Arbeiten nicht primär von Gewalt, sondern von einer eigensinnigen Erotik bestimmt – auch wenn zwei zentrale Sequenzen Sex und Ge- walt kurzschließen und pflichtbewusst eine, vergleichsweise lustlos gefilmte, Folterszene in den dritten Akt gequetscht wurde.
Trotzdem ist The Handmaiden von einer gelöst wirkenden Freundlichkeit beseelt. Pläne gehen auf, wer sich liebt, hat recht, und am Ende erscheint das Begehren der Frauen in diesem Film wie ein geradezu utopischer Gegenentwurf zur von Machtwillen verblödeten Sexualität der Männer. Wo immer die sexuelle Imagination sich mit Dominanzlust verbindet, ist sie hier klar den eher lächerlichen Herren zugeordnet.
Mit The Handmaiden erwischt Park Chan-wook den Zuschauer nach dem etwas zähen Stoker jedenfalls wieder unmittelbar körperlich und involviert ihn einmal mehr mittels herausragender Bilder, wie das nur wenige Regisseure zurzeit vermögen. Jetzt im Kino