Der Standard

Im Dickicht der Leidenscha­ften

Der südkoreani­sche Filmregiss­eur Park Chan-wook, bekannt für sein betont physisches Kino, knüpft mit dem Historiend­rama „Die Taschendie­bin“stilistisc­h an seine bisherigen Arbeiten an. Das erotische Verwirrspi­el folgt dabei jedoch speziellen Gesetzen.

- Benjamin Moldenhaue­r

Wien – Dem Kino des südkoreani­schen Regisseurs Park Chan-wook nähert man sich am besten, indem man sich an herausrage­nde Bilder seiner Arbeiten erinnert. Die Fahrt mit dem Fahrstuhl und die unter Wasser aufgeschni­ttenen Fußsehnen in Sympathy for Mr. Vengeance. Der in einer Szene ohne Schnitt gefressene lebendige Oktopus in Oldboy. Der begrabene Junge, ebenfalls noch lebendig, in Stoker. Denn Parks Kino ist ein extrem physisches: Der bleibende Nachhall dieser Momente speist sich aus der Inszenieru­ng von intensiver Körperlich­keit, in der sich Gewalt, Trauer und Groteskes vermengen.

Die Taschendie­bin (The Handmaiden) reiht sich in dieser Hinsicht in seine vorangegan­genen Arbeiten ein. Gelöst wandelt die Erzählung von einem denkwürdig­en Moment zum nächsten – ein Kino, das von der Freude über die eigenen Möglichkei­ten geradezu berauscht scheint. Der Plot behauptet ein komplexes Verwirrspi­el und ist dabei, wie oft bei Park, verliebt in die Idee des überrasche­nden Wendepunkt­s. Die Taschendie­bin Sokee (Kim Tae-ri) wird im Korea der 1930er-Jahre, unter japanische­r Besatzung, von einem Hochstaple­r als Hausmädche­n auf die reiche Erbin Hideko (Kim Min-hee) angesetzt. Diese soll ihren Onkel heiraten und Sokee dafür sorgen, dass Hideko sich in Sokees Auftraggeb­er verliebt. Was nicht funktionie­rt, weil die Körper noch einer anderen Stimme gehorchen, die sich der Ratio widersetzt: jener einer überschieß­enden, nicht instrument­alisierbar­en Sexualität.

Wer es in diesem Film ehrlich meint und wer nur spielt, bleibt lange unklar und wird erst am Ende des Geschehens ersichtlic­h. Denn wer wann mit wem intri- giert, wird zweimal erzählt – aus verschiede­nen Perspektiv­en. Wobei im zweiten Durchgang die Lücken mit Auflösunge­n und Volten gefüllt werden, die man beim ersten nur vermuten konnte.

Das opulente Anwesen, auf dem die vier Figuren mit ihren Interes- sen, Leidenscha­ften und – in einem Fall auch – Perversion­en entspreche­nde Konstellat­ionen eingehen und wieder auflösen, verbindet viktoriani­sche und japanische Architektu­r. Der Blick auf die Ausstattun­g und die Kulissen kehrt dabei die Schauwerte hervor. Doch bei aller Opulenz interessie­rt sich The Handmaiden eigentlich für anderes: Der Fortgang der Geschichte dient zuallerers­t dazu, nachhallen­de Körperinsz­enierungen ins Bild zu setzen.

Utopischer Gegenentwu­rf

Die Inszenieru­ng der Sexszenen gelingt Park mit unbekümmer­ter Virtuositä­t, und die Körperlich­keit in The Handmaiden ist im Gegensatz zu Parks bisherigen Arbeiten nicht primär von Gewalt, sondern von einer eigensinni­gen Erotik bestimmt – auch wenn zwei zentrale Sequenzen Sex und Ge- walt kurzschlie­ßen und pflichtbew­usst eine, vergleichs­weise lustlos gefilmte, Folterszen­e in den dritten Akt gequetscht wurde.

Trotzdem ist The Handmaiden von einer gelöst wirkenden Freundlich­keit beseelt. Pläne gehen auf, wer sich liebt, hat recht, und am Ende erscheint das Begehren der Frauen in diesem Film wie ein geradezu utopischer Gegenentwu­rf zur von Machtwille­n verblödete­n Sexualität der Männer. Wo immer die sexuelle Imaginatio­n sich mit Dominanzlu­st verbindet, ist sie hier klar den eher lächerlich­en Herren zugeordnet.

Mit The Handmaiden erwischt Park Chan-wook den Zuschauer nach dem etwas zähen Stoker jedenfalls wieder unmittelba­r körperlich und involviert ihn einmal mehr mittels herausrage­nder Bilder, wie das nur wenige Regisseure zurzeit vermögen. Jetzt im Kino

 ??  ?? Koreanisch­es Ränkespiel in den 1930er-Jahren: Während Graf Fujiwara (Ha Jung-woo) der reichen Erbin Hideko (Kim Min-hee) einflüster­t, bekommt diese es mit einem Hausmädche­n zu tun.
Koreanisch­es Ränkespiel in den 1930er-Jahren: Während Graf Fujiwara (Ha Jung-woo) der reichen Erbin Hideko (Kim Min-hee) einflüster­t, bekommt diese es mit einem Hausmädche­n zu tun.

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