Michael Ballhaus 1935–2017
Der große Kameramann und Regisseur aus Berlin starb im Alter von 81 Jahren
Berlin – Die Essenz seiner Arbeit hat Michael Ballhaus einmal so zusammengefasst: „Ich blieb ruhig, es war die Kamera, die sich bewegte.“Vielleicht war diese Ruhe, von der er spricht, tatsächlich genauso wichtig wie sein Auge. Denn die bedeutendsten künstlerischen Temperamente, mit denen Ballhaus in seiner großen Karriere zusammenkam, waren beide „Besessene“: Rainer Werner Fassbinder und Martin Scorsese. Ein bayerischer Deutscher und ein italienischer Amerikaner, dazwischen Michael Ballhaus, Weltbürger aus Berlin.
Seine berühmteste Übung mit beweglicher Kamera ist in einem der unbekannteren Filme von Fassbinder zu sehen: In Martha (1974) spielte Margit Carstensen eine Bibliothekarin, ein spätes Mädchen, das sich in Karlheinz Böhm als sadistischen Schönling verschaut. Die erste Begegnung dieser beiden Ungleichen wird durch das Kameramanöver, das später als „Ballhaus-Kreisel“zur Trademark wurde, perfekt charakterisiert – ein Taumel, bei dem sich in dem Moment, in dem sich eine Welt öffnet, schon das Gefängnis abzeichnet, zu dem die Beziehung werden wird.
Mit Fassbinder und Scorsese
Michael Ballhaus, geboren 1935 in Berlin, aufgewachsen in einer Familie, die er als Künstlerkommune erlebte, fand den Weg in sein Metier bei Max Ophüls: Lola Montez (1955) gab mit opulenter Form und melodramatischem Inhalt viel von dem vor, was später für Fassbinder den Kern seiner Operationen an der Filmgeschichte ausmachte.
Die Lehrjahre verbrachte Ballhaus beim Fernsehen, als Kameraassistent beim Südwestfunk, wo er Regisseur Peter Lilienthal kennenlernte, mit dem er wichtige frühe Arbeiten gestaltete. Seinen ersten Kinofilm drehte Ballhaus freilich in kommerziellem Zusammenhang: Mehrmals täglich (1969) mit Didi Hallervorden. Schauspieler Ulli Lommel stellte die Verbindung zu Fassbinder her, die 1971 mit Whity zu einer ersten Zusammenarbeit führte. Es folgten 14 weitere gemeinsame Filme, darunter Klassiker wie Mutter Küsters Fahrt zum Himmel oder Die Ehe der Maria Braun.
Als Fassbinder 1982 starb, war Michael Ballhaus bereits in den USA (zwischendurch hatte er eine Folge der Alpensaga fotografiert: Der deutsche Frühling, über das Jahr 1938). Peter Lilienthal drehte Dear Mr. Wonderful in New York, mit einem Mann in der Hauptrolle, der damals bereits ein Fixstern im Universum von Martin Scorsese war: Joe Pesci. Den ersten amerikanischen Film machte Ballhaus allerdings für John Sayles: Baby It’s You (1983). Es folgten große Arbeiten mit Martin Scorsese, wobei es einige Jahre dauerte, bis The Last Temptation of Christ, der damals schon geplant war, tatsächlich realisiert werden konnte. Dreimal war Ballhaus für einen Oscar nominiert, zuletzt 2003 für Gangs of New York.
Seit den 1980er-Jahren lebte er in Los Angeles und Berlin. Seit 1958 war Ballhaus mit der Schauspielerin und Ausstatterin Helga Betten verheiratet, sein Sohn Florian ist ebenfalls Kameramann. Nach Bettens Tod heiratete Ballhaus 2011 Sherry Hormann, mit der er beim Natascha-KampuschFilm 3096 Tage zusammenarbeitete. Das deutsche Kino, das man in seiner Frühzeit einmal mit einer entfesselten Kamera assoziierte, brachte Ballhaus auf seine Weise auf Weltniveau: mit einem beweglichen Blick, der niemals in technischer Virtuosität ins Leere lief.