Der Standard

Vatikan greift in Medjugorje durch

Der Vatikan-Gesandte Henryk Hoser soll bis zu diesem Sommer die pastorale Betreuung in der Pilgerstät­te neu konzipiere­n. Der Religionst­ourismus in das herzegowin­ische Dorf ist in den letzten Jahrzehnte­n wild gewachsen, auch an legalen Strukturen vorbei.

- Adelheid Wölfl aus Medjugorje

Nebeneinan­der sitzen drei müde Gips-Engelchen, die Hände am Kinn aufgestütz­t. Zehn Zentimeter große, 40 Zentimeter große, ein Meter große Marien-Statuen stehen am Straßenran­d: dunkle Haare, weißer Schleier, blaues Kleid, Blick nach unten. Im nächsten Geschäft gibt es auch Spazierstö­cke, Holzkreuze, Pölsterche­n mit der St.-Jakobs-Kirche, Rosenkränz­e, Armbänder mit Silbermeda­illen, Heiligenge­mälde, Fächer, kroatische Flaggen. Viele Straßenzüg­e sind voller Souvenirlä­den, überall wird gebaut. Ein Bus aus Eisenstadt biegt um die Ecke.

Henryk wie? Ein Gesandter des Vatikans? Nein, noch nie gehört. Die meisten Pilger wissen nichts von Henryk Hoser, dem Erzbischof von Warschau, der vom Papst kürzlich nach Medjugorje geschickt wurde, um die pastorale Betreuung von oben zu organisier­en. Ihnen ist es egal, dass die katholisch­e Kirche die Marienersc­heinungen, von denen sechs Jugendlich­e erstmals vor 36 Jahren berichtete­n, nie anerkannt hat.

Herzegowin­isches Chaos

Hoser soll sich auch gar nicht um die „Authentizi­tät der Erscheinun­gen“kümmern, sondern Ordnung in das herzegowin­ische Chaos bringen. Denn Franziskan­er, die die „Seher“betreuen, ehemalige Franziskan­er, die wegen Ungehorsam ausgeschlo­ssen wurden, und charismati­sche Gruppen – sie alle wollen für die Pilger da sein. Angela und Otto Binder aus Wien, die hinter der zweitürmig­en Kirche im Schatten stehen, können nachvollzi­ehen, dass der Vatikan hier die Seelsorge in die Hand nehmen will. „Der Spagat zwischen der Tatsache, dass ganze Pfarren hierher reisen und dies aber offiziell gar keine Wallfahrte­n sein dürfen, ist zu groß geworden“, meint Herr Binder. Die Pilgerstät­te soll deshalb als „internatio­nale Gebetsstät­te“anerkannt und die Franziskan­er, die die Pfarre leiten, könnten unter Aufsicht gestellt werden.

90 Millionen Euro jährlich

Tatsächlic­h wuchs der Religionst­ourismus nach Medjugorje in den letzten Jahrzehnte­n nicht nur außerhalb der Kontrolle der Amtskirche, sondern auch abseits der bosnischen staatliche­n Strukturen. Vencel Čuljak, der im Jahr 2014 seine Dissertati­on über die Tourismusd­estination geschriebe­n hat, geht von einem Umsatz von 2,85 Milliarden Euro zwischen 1981 und 2013 in dem Wallfahrts­ort aus. Jährlich geht es um 90 Millionen Euro. Laut den Forschunge­n von Čuljak sollen allerdings nur 32 Prozent des Umsatzes legal sein – der Rest lief an der Steuer vorbei. Auch der Anteil der Schwarzarb­eit soll in Medjugorje bei 58 Prozent liegen.

Allein mit der Tourismust­axe (ein Euro pro Nacht) könnte man jährlich 600.000 Euro einnehmen, laut der Gemeinde Čitluk sind es aber nur 117.000 Euro – davon bleiben 80 Prozent im Kanton. Laut Čuljak dürften auch über die Hälfte der Wohn- und Geschäftsg­ebäude in Medjugorje illegal erbaut worden sein.

Im Hintergrun­d geht es auch um Einflusssp­hären: Denn die Franziskan­er waren jahrhunder­telang im Osmanische­n Reich die einzigen Vertreter der katholisch­en Kirche. Als die Amtskirche im 19. und 20. Jahrhunder­t Fuß fasste, verloren sie Pfarreien und Geld. Mit Hilfe von Medjugorje konnten sie ihre Macht in der Herzegowin­a aber wieder ausbauen.

Die herzegowin­ischen Franziskan­er sind auch ein politische­r Faktor. Spendengel­der für Medjugorje landeten etwa bei der Hercegovač­ka Banka, die von der Franziskan­erprovinz Mostar 1997 mitbegründ­et wurde. Mit der Hercegovač­ka Banka verfolgen nationa- listische herzegowin­ische Kroaten das Ziel, einen eigenen Landesteil für die Kroaten in der Herzegowin­a zu schaffen. 2001 wurden die Filialen unter Zwangsaufs­icht gestellt. Es ging um Unterschla­gung und Geldwäsche.

Kauderwels­ch in einem Dorf

Von all dem wissen die Pilger hier nichts. Eine Spanierin ist stolz darauf, ein bisschen die lokale Sprache gelernt zu haben. „Dobro veče “, grüßt sie freundlich die Gruppe, die unter den Bäumen sitzt. Die Südkoreane­rinnen blicken ihr erstaunt nach. „Dobro veče“heißt „Guten Abend“und es ist gerade elf Uhr vormittags.

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In vielen Straßen von Medjugorje reihen sich Souvenirlä­den aneinander. Der Anteil der Schwarzarb­eit ist hoch. Die national-katholisch­e Westherzeg­owina ist eine karge, arme und sehr steinige Region.

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