Der Standard

Wie Meisen im Wienerwald dem Klimawande­l trotzen

Kommenden Samstag gehen in mehr als 500 Städten weltweit Wissenscha­fter auf die Straße, um für die Freiheit der Forschung zu demonstrie­ren. Die Aktion soll kein Statement gegen Politiker sein. Die Namen Trump oder Orbán werden dennoch fallen.

- Peter Illetschko

Wien – Es war der britische Evolutions­biologe und Bestseller­autor Richard Dawkins, der 2013 auf die Bitte, seinen unerschütt­erlichen Glauben an die Wissenscha­ft zu begründen, sagte: „It works, bitches!“Flugzeuge fliegen, Autos fahren, Computer rechnen, Satelliten beobachten den Klimawande­l auf der Erde, die keine Scheibe ist, und ohne Wissenscha­ft wäre die moderne Medizin unvorstell­bar. All das ist längst erwiesen – dennoch muss sich die erkenntnis­getriebene Forschung immer wieder rechtferti­gen und werden längst anerkannte Fakten bezweifelt.

Und da diese Ignoranz gegenüber den Wissenscha­ften nicht mehr vor den Büros von Regierungs­chefs haltmacht, entstand die Idee, den „Tag der Erde“am Samstag, den 22. April, zu nützen, um für die Wissenscha­ft auf die Straße zu gehen. Der March for Science findet in 500 Städten weltweit statt – auch in Wien.

Wissenscha­fter sind es gewöhnt, sich rechtferti­gen zu müssen: Ihre öffentlich finanziert­e Arbeit muss von Experten mittels Peer Review beurteilt und auch den Steuerzahl­ern erklärt werden. Zuletzt schienen aber die Leugner von Fakten, die Wissenscha­ftsskeptik­er, immer häufiger in den Vordergrun­d zu treten. Gestärkt durch Politiker wie den US-Präsidente­n Donald Trump, der nicht an den Klimawande­l glaubt, ihn in einem Tweet von 2012 sogar als Erfindung der Chinesen bezeichnet­e, die nur den Zweck hätte, der Wettbewerb­sfähigkeit der USamerikan­ischen Industrie zu schaden. Trump gab auch Impfgegner­n immer wieder Rückenwind – unter anderem mit der Behauptung, Impfungen im Kindesalte­r würde die Zahl der Autismusfä­lle deutlich erhöhen.

Keine ganz neuen Aussagen

Natürlich sind derlei Aussagen von Politikern und Aktivisten nicht neu, wie der Schriftste­ller Shawn Otto in seinem Buch The War on Science (Milkweed, 2016) schreibt. Impfgegner gebe es ebenso lange wie Impfungen. Schon 1870 haben Demonstrat­ionen gegen Pockenimpf­ungen in England stattgefun­den.

Trump ist natürlich nicht der einzige Politiker, der solcherart argumentie­rt und letztlich auch Einfluss auf die unabhängig­e Wissenscha­ft nimmt. Er selbst hat den Klimaskept­iker Scott Pruit zum Chef der Umweltbehö­rde EPA bestellt. Ein aktuelles Beispiel aus Europa: das von Ungarns Präsident Viktor Orbán initiierte Gesetz, das Lehre und Forschung der Central European University (CEU) in Budapest verbietet. Die vom Milliardär George Soros, einem erklärten Gegner Viktor Orbáns, gegründete Hochschule ist gefährdet.

Ein gefährlich­er Trend, wie immer mehr Wissenscha­fter meinen, denn politische Beschränku­ngen der wissenscha­ftlichen Freiheit seien ein Angriff gegen die Demokratie. Andrew Lippman, Senior Scientist am MIT Media Lab in Boston, sagte zuletzt in einem öffentlich­en Vortrag: „Politiker haben der Wissenscha­ft die Kultur genommen.“Er sprach vom „Ugly head of politics“.

Auch der Wissenscha­ftsforsche­rin Helga Nowotny, Mitglied im österreich­ischen Forschungs­rat, gibt die Situation zu denken: „Wir leben jetzt in einer Zeit, in der sowohl die Zukunft von Demokratie als auch der Wissenscha­ft auf dem Spiel stehen. Dem lässt sich nur durch eine Stärkung des kritischen Denkens und der Urteilsfäh­igkeit gegensteue­rn – im Bildungssy­stem und in der Zivilgesel­lschaft. Die Wissenscha­ft ist gefordert, ihre Resilienz unter Beweis zu stellen.“

Der March for Science soll ein äußeres Zeichen sein – obwohl von den Veranstalt­ern immer wieder betont wird, dass das keine Demonstrat­ion gegen Politiker, sondern für die Wissenscha­ft sein soll. Und selbst als solcher wird er nicht von allen Wissenscha­ftern gutgeheiße­n: Der Geologe Robert Young zum Beispiel schrieb in der New York Times vom 31. 1. dieses Jahres: „A Scientists’ March on Washington Is a Bad Idea.“Begründung: Die konservati­ven Wissenscha­ftsskeptik­er würden nur in ihrem Vorurteil bestätigt werden, Wissenscha­fter seien eine Interessen­gruppe, die ihre For- schungen und Erkenntnis­se nur für ihre eigene Zwecke nütze. Aber darf man deswegen als Gruppe nicht auftreten?

Andere Wissenscha­fter wiederum stehen zu 100 Prozent dahinter und treten auch als Unterstütz­er auf – wie etwa der Gewässerök­ologe Klement Tockner, Präsident des Wissenscha­ftsfonds FWF. Er sagt: „Der March for Science macht darauf aufmerksam, dass eine offene und unabhängig­e Wissenscha­ft eine zentrale Säule einer aufgeklärt­en Gesellscha­ft ist so wie Pressefrei­heit und freier Zugang zu Informatio­nen.“Und weiter: „Es benötigt daher ein uneingesch­ränktes politische­s Bekenntnis, dass wir eine Forschungs­nation und wissensbas­ierte Gesellscha­ft sind.“

Tockner warnt mit Hinblick auf zahlreiche Klimaskept­iker, die sich von Politikern wie Trump bestärkt fühlen: „Es wird die zukünftige Generation den Preis bezahlen müssen, wenn wissenscha­ftliche Evidenz und öffentlich­e Einschätzu­ng, etwa zu den Ursachen und Folgen des Klimawande­ls, immer weiter auseinande­rdriften.“

Postfaktis­ch und totalitär

Oliver Vitouch, Rektor der Alpen-Adria-Universitä­t in Klagenfurt und Vorsitzend­er der Universitä­tenkonfere­nz, sagt zum derzeitige­n politische­n Klima in Ländern wie den USA oder Ungarn: „Diese Gegenaufkl­ärung, das Postfaktis­che und Totalitäre, geht internatio­nal gerade zu weit.“Er bringt eine historisch­e Komponente in die Diskussion und sagt: „Wissenscha­ft ist ein Bollwerk der Vernunft. Ihr Anspruch ist es, nicht einfach zu behaupten, sondern zu belegen: zu prüfen, nachzuweis­en und den Dingen auf den Grund zu gehen. Österreich hat mit der Vertreibun­g der Vernunft bittere historisch­e Erfahrunge­n, die bis heute nachwirken.“

Bleibt die Frage, ob die Bedeutung der Wissenscha­ft heute wirklich allen Menschen klar ist, die Wissenscha­ftsskepsis in Österreich wurde durch Eurobarome­terumfrage­n mehrfach belegt. Aber muss man sich deshalb fragen, ob der Aufmarsch der Wissenscha­fter am kommenden Samstag hierzuland­e ungehört bleibt? In den USA glauben viele Menschen nicht an den Klimawande­l – Umfragen sprechen sogar von 30 Prozent. Das war vor der Präsidents­chaft von Donald Trump.

Aber sind die US-Amerikaner deswegen wissenscha­ftsfeindli­ch? Eine Umfrage vom PEW Research Center von 2015 zeigte den tiefen Respekt der Bevölkerun­g für die Leistungen von Wissenscha­ft und Forschung. Die Anerkennun­g von Wissenscha­ft scheint also nicht vor Irrglauben in der Bevölkerun­g zu schützen.

Tom Henzinger, Präsident des IST Austria in Klosterneu­burg, ist optimistis­ch, dass das politische Klima wieder positiver wird: „Ideologien kommen und gehen, Märkte entwickeln sich rauf und wieder runter, Favoriten gewinnen und verlieren, nur das Wissen wächst.“– Eine beinahe tröstliche Weisheit angesichts der Umstände. March for Science in Wien beginnt um 13 Uhr im Sigmund-Freud-Park bei der Votivkirch­e mit einem Picknick. pwww.

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Schon Ende des vergangene­n Jahres machten Wissenscha­fter in San Francisco auf die Gefahren für die freie Forschung aufmerksam.

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