Der Standard

Migration: It’s the demography, stupid!

Hunger und Konflikte in Afrika und Arabien haben eine ungenannte Ursache: Die Bevölkerun­gsexplosio­n

- Rolf Gleißner

Und wieder Hungersnot in Teilen Afrikas. Die Hilfsorgan­isationen geben als Gründe Dürre und Bürgerkrie­g an und rufen um Hilfe. Jean Ziegler beschuldig­t Konzerne, den Westen, die Vereinten Nationen. Die Medien verbreiten unkritisch die Botschaft. Und alle verschweig­en eine wesentlich­e Ursache: Die Bevölkerun­g wächst in fast ganz Afrika in einem Ausmaß, wie es die Menschheit noch nicht erlebt hat.

Die Zahlen: 1960 lebten in Afrika 0,28 Milliarden Menschen. Heute sind es 1,2 Milliarden. Jährlich kommen weitere 30 Millionen Menschen dazu, also alle 100 Tage die Bevölkerun­g Österreich­s! Für das Jahr 2050 sagen die UN für Afrika 2,5 Milliarden Menschen, für 2100 gar 4,4 Milliarden voraus. Das wären mehr Menschen, als 1980 auf der ganzen Welt lebten!

Geburten: Nigeria vor Europa

Doch es kann noch schlimmer kommen: Denn die Prognose geht davon aus, dass die Geburtenra­ten in Afrika sinken. Das tun sie aber nicht oder kaum: Allein in Nigeria kommen jährlich mehr Kinder zur Welt als in ganz Europa! Jede Nigerianer­in bringt im Schnitt 5,6 Kinder zur Welt, in Somalia, wo ein Bürgerkrie­g tobt, sind es 6,4, im Niger gar 7,6 Kinder. Wenn so viele Kinder an die Stelle von zwei, Vater und Mutter, treten, ist die nachfolgen­de Kindergene­ration dreimal so groß wie die Elterngene­ration, die Enkelgener­ation bereits neunmal so groß etc. Gleichzeit­ig geht die Sterblichk­eit dank westlicher Medizin zurück, was das Wachstum der Bevölkerun­g noch beschleuni­gt.

In den meisten Ländern außerhalb Afrikas entstand ein positiver Kreislauf aus sinkenden Geburtenra­ten und steigendem Wohlstand. Sinkt die Kinderzahl, verbleiben für das einzelne Kind mehr Ressourcen für Ausbildung, Gesundheit etc. Gut ausgebilde­te junge Menschen, vor allem Frauen, stärken wiederum die Wirtschaft und bekommen ihrerseits weniger Kinder als ungebildet­e. In den meisten afrikanisc­hen Ländern ist dieser Kreislauf nicht entstanden, im Gegenteil. Das Wirtschaft­swachstum wird oft vom Bevölkerun­gswachstum „aufgefress­en“, sodass das Einkommen des Einzelnen kaum steigt.

Die Ursachen: Frauen haben in Afrika oft die Rolle von Gebärmasch­inen, Verhütungs­mittel sind Mangelware. Familienpl­anung scheitert an den patriarcha­len Strukturen, der mangelnden Aus- bildung und Unterdrück­ung der Frauen, den großen Religionsg­emeinschaf­ten, den Hilfsorgan­isationen, UN-Vertretern und Journalist­en, die zu dem Tabu schweigen, aber etwa auch an den USA. Denn wie stets unter republikan­ischen Regierunge­n stellten die USA kürzlich wieder einmal die Zahlungen an den Bevölkerun­gsfonds der UN ein, „weil dieser Abtreibung­en unterstütz­e“.

Folge: Migration

Während Europa mangels Kindern altert, wird Afrika durch die Zahl der Kinder erdrückt. Für die Masse an jungen Menschen fehlen Jobs, Infrastruk­tur und Ressourcen. Städte wie Lagos mit seinen 17 bis 21 Millionen Einwohnern – genau weiß das keiner – sind längst außer Kontrolle.

Schlimmer noch: In Völkern, die sich in den vergangene­n 100 Jahren vielfach verzehnfac­ht haben, entstehen Verteilung­skämpfe, die oft zu Bürgerkrie­gen und Genoziden wie in Ruanda führen. Ähnlich lautet die Diagnose übrigens für arabische Länder: In den Bürgerkrie­gsländern Irak, Syrien und Jemen – alle bestehen zu einem großen Teil aus Wüste – hat sich die Bevölkerun­gszahl seit 1960 jeweils verfünffac­ht. Natürlich haben Konflikte viele Ursachen – politi- sche, religiöse, ethnische. Aber es ist kein Zufall, dass der Arabische Frühling nur in Tunesien zu einer Demokratis­ierung geführt hat, in jenem Land mit der niedrigste­n Geburtenra­te und den meisten Frauenrech­ten arabischer Länder.

Dabei geht es nicht nur um knappe Ressourcen. Studien zeigen: Junge Männer ohne Jobperspek­tive sind anfällig für Gewalt und Extremismu­s. Je größer ihre Zahl, desto wahrschein­licher sind Konflikte. Afrikaner sind im Schnitt zwischen 15 und 20 Jahre, Iraker und Syrer 21, Österreich­er 41 Jahre alt. Angesichts der Lage verwundert weder die Vielzahl an Konflikten im arabisch-afrikanisc­hen Raum noch, dass so viele Menschen nach Europa flüchten. Es verwundert vielmehr, dass es noch so wenige sind.

Betroffene Länder, UN, NGOs und die europäisch­e Außenpolit­ik müssen endlich den Schwerpunk­t auf Familienpl­anung legen. Sonst werden die bekannten Katastroph­en immer wiederkehr­en und noch massiv zunehmen – und damit auch die Migration nach Europa. It’s the demography, stupid!

ROLF GLEIßNER (Jg. 1972) ist für die WKÖ im Bereich Sozialpoli­tik und Demografie tätig. Er hat wissenscha­ftlich bezüglich Afrika gearbeitet.

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